RotFuchs 205 – Februar 2015

Ein vaterlos Aufgewachsener erzählt seine Geschichte

Erinnern an starke Menschen

Bruni Steiniger

Werner Wüste, heute 83, war bei der DEFA zu Hause. Nach Regiestudium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg folgten produktive Jahre bei Karl Gass. Seinen letzten eigenen Film drehte er 1991 nach einer Idee von Grischa Benjamin. „Wir waren in Tschernobyl“ ist ein 90-minütiger Dokumentarfilm über Menschen in der verstrahlten Region.

Schon immer bewegte ihn das Schicksal anderer. Er konnte nicht einfach zusehen, mußte sich auseinandersetzen und Zeugnis ablegen. Auch über sich selbst. Sein Leben verlief wie das vieler anderer Proletarierkinder in der Nazizeit, und doch gab es manches, das sich davon unterschied und ihn zu einem Klassenkämpfer, einem überzeugten Antifaschisten machte. Da waren zunächst seine Eltern, Kommunisten aus dem Ruhrgebiet, die es nach Berlin verschlug. Sein Vater wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Damals war Werner Wüste fünf Jahre alt. Erst neun Jahre später, nach der Befreiung vom Faschismus, sah er ihn wieder. Die Mutter tat alles, um das Bild des Vaters nicht verblassen zu lassen, ermunterte ihn immer zu eigenem Denken, ließ ihn teilhaben an unvergeßlichen Ereignissen, die in dem Jungen das Bewußtsein für den Wert überlebenswichtiger Solidarität und Hilfe unter Gleichgesinnten schärften.

Das Nicht-vergessen-Wollen und die Erinnerung daran begleiten Werner Wüste bis heute. Er hat sie in seinem Buch „Vaterlos“, das 2014 im verlag am park erschien, festgehalten. Der Autor rekonstruiert darin nicht nur sein eigenes Leben und das seiner Familie, er erinnert damit auch an Zeitgenossen, die der Mutter und ihm halfen, die Nazizeit zu überstehen. Dazu gehörten der Gefängnispfarrer Harald Poelchau und dessen Frau, Prof. Emil Fuchs, dem die Mutter den Haushalt führte, und dessen Tochter Elisabeth, die Genossen Fritz, „Atze“ und Erwin und nicht zuletzt Hilde Benjamin, mit deren Sohn Mischa ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Was er über diese und viele andere zu Papier bringt, sei „keine Geschichte im eigentlichen Sinne, Reihung von Episoden eher; Knoten im Lebensfaden. Und im Erinnern an starke Menschen gewonnene Zuversicht, eine andere, eine neue, eine ehrliche und menschliche Ordnung könne doch möglich sein“. Für eine solche neue Ordnung muß man bereit sein zu kämpfen. Das ist es, was der Vater ihm mitgab auf seinen Weg und was zum Credo seines Lebens wurde. „Das Nazi-Thema ist noch immer nicht abgeschlossen“, sagt Werner Wüste. „Geschichte läuft uns nach“, wenn wir es zulassen.

Auch dafür, daß sich nicht wiederholt, was damals geschah, hat Werner Wüste sein mit zahlreichen Fotos illustriertes Buch verfaßt. Es ist spannend, einfühlsam, aufschlußreich, wird zu einem berührenden Lesestoff nicht nur durch die wortgewandte, auf Details Wert legende Sprache. Vor allem sind es auch die Briefe und Notizen seines Vaters und der Freunde, die Zeugnis über den Mut und den Humanismus von Menschen ablegen, die selbst unter schwersten Bedingungen nicht aufgaben. „Vaterlos“ ist keineswegs nur Rückblick, sondern eine Mahnung an uns alle, die Kraft für einen Kampf zu finden, der heute über unsere Zukunft entscheiden wird.

Werner Wüste:

Vaterlos

verlag am park, Berlin 2014, 188 Seiten
ISBN 978-3-945187-13-5

16,99 Euro