Kämpfer gegen die Apartheid und exemplarischer Kommunist
Erinnern an Südafrikas Chris Hani
Ende 2013 nahm Südafrikas multi-ethnische Gesellschaft Abschied von Nelson Mandela, der am 5. Dezember im Alter von 95 Jahren in Johannesburg verstorben war. Trauergäste aus aller Welt, Staatsoberhäupter und hochrangige Regierungsvertreter nahmen an der bewegenden Gedenkfeier im Stadion von Soweto teil, um dem Nationalhelden der Republik am Kap die letzte Ehre zu erweisen. Vor allem Mandelas trotz leidvoller fast 27jähriger Kerkerhaft an alle Südafrikaner gerichtete historische Botschaft der Vergebung und Versöhnung brachte diesem außergewöhnlichen Menschen und humanistischen Staatsmann weltweite Hochachtung ein. Eine moralische Maxime, die zur unabdingbaren Voraussetzung für ein künftig freies, demokratisches Südafrika geworden ist.
Bei der Trauerfeier sah man im weiten Rund nicht wenige junge Leute, die voller Stolz ein gelbes T-Shirt mit dem Bildnis Chris Hanis, des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP), trugen, der am 10. April 1993 vor seinem Haus im Johannesburger Vorort Boksburg erschossen wurde. Der Mörder Janusz Walus, Immigrant aus Polen und Mitglied der scharf rechts gerichteten Afrikaner- Widerstandsbewegung (AWB), wurde schnell gefaßt und rechtskräftig verurteilt.
„Der Mord war ein Akt irrer Verzweiflung, ein Versuch, den Verhandlungsprozeß (zur Beseitigung der Apartheid – d. A.) zum Scheitern zu bringen“, schrieb Nelson Mandela in seiner Autobiographie „Der lange Weg zur Freiheit“. Doch die fanatischen Reaktionäre erreichten ihr Ziel nicht. Ein Jahr nach Hanis Tod fanden in Südafrika die ersten demokratischen Wahlen statt, bei denen der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) einen überwältigenden Sieg errang.
Wer war Chris Hani? Der charismatische Politiker stand Nelson Mandela im gemeinsamen Kampf gegen das Apartheidregime besonders nahe. Er nahm dessen politische, ökonomisch-soziale und weltanschauliche Ansichten achtungsvoll auf und bewertete sie bisweilen auch kritisch. Dieser von Respekt geprägte Umgang beruhte auf Gegenseitigkeit.
Chris Hani war ein Sympathieträger der aufstrebenden jungen Generation Südafrikas. Als exzellentem Redner gelang es ihm, sie zu begeistern und im besten Sinne des Wortes politisch aufzuklären, ihr die Ziele der Kommunisten nahezubringen. Im Urteil Mandelas sprach Chris ihre Sprache, und sie hörte ihm zu. Er war akademisch gebildet, sehr belesen und verfügte über solide Kenntnisse im Marxismus. Ein hervorragender Agitator mit argumentativer Kraft, vermochte Chris Hani sein Publikum, das er nicht überreden wollte, zu überzeugen. Seine äußere Erscheinung beeindruckte. Bilder zeigen ihn als militärischen Führer in Drillich-Uniform oder bisweilen auch im hellen Tropenanzug, stolz eine Makarow-Pistole an der Seite tragend. Hani war einer, der gerne tanzte, sang und lachte. Er gehörte zu jenen, welchen die Frauen zugetan waren. Kurzum, er war eine attraktive Persönlichkeit.
Chris Hani wurde nur 50 Jahre alt. Als Martin Thembisile Hani kam er am 28. Juni 1942 in Sabalele bei Cofimvaba in der ehemaligen Transkei-Provinz Südafrikas – der heutigen Ostkap-Provinz – zur Welt. Prägend für seinen weiteren Lebensweg war die extreme Armut, mit der er sich seit frühester Kindheit konfrontiert sah. Dieses Erleben war auch der wesentliche Grund für seine Entscheidung, im Alter von 15 Jahren der ANC-Jugendliga beizutreten. Schon bald profilierte er sich als verantwortungsbewußter Funktionär des Verbandes. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurde er an der Fort-Hare-Universität durch den erfahrenen Anti-Apartheid-Kämpfer Govan Mbeki für die SACP geworben. 1962 beendete er sein Studium als Bachelor of Arts in Latein und Englisch. Im selben Jahr schloß sich Chris Hani der neugegründeten militärischen Organisation des ANC – dem Umkhonto we Sizwe (MK) – an.
Im Verlauf seiner 30jährigen Mitgliedschaft in ANC und Kommunistischer Partei erwies sich Hani als einer der hervorragendsten Führer in der Geschichte des Anti-Apartheid-Kampfes. Zu dessen Marksteinen gehörte 1955 die Verabschiedung der Freedom Charta, welche die Grundprinzipien der Befreiungsbewegung Südafrikas formulierte. Durch das Verbot des ANC und anderer kämpferischer Organisationen nach dem Massaker von Sharpeville 1960, der Einführung weiterer Apartheidgesetze sowie der Einkerkerung solcher ANC- und MK-Führer wie Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki und vieler anderer nach dem berüchtigten Rivonia-Prozeß (1963) geriet die Anti-Apartheid-Bewegung zeitweilig in arge Bedrängnis.
Zu diesem Zeitpunkt bot die UdSSR den südafrikanischen Freiheitskämpfern eine umfassende militärische Ausbildung an. Auch Chris Hani erwarb in der Sowjetunion entsprechende Kenntnisse.
Wichtig für die Verstärkung des Anti-Apartheid-Kampfes Anfang der 60er Jahre war die schrittweise Einrichtung von Stützpunkten des ANC/MK in den unabhängig gewordenen Staaten Tansania und Sambia. 1967 erfolgte unter Chris Hanis Leitung eine erste gemeinsame Operation des MK und der Simbabwischen Befreiungsfront ZAPU im damaligen Süd-Rhodesien, dem heutigen Simbabwe. Das Ziel bestand darin, vom dortigen Territorium aus geeignete Wege der Einschleusung von Freiheitskämpfern nach Südafrika zu erkunden. In der sogenannten Wankie Campaign bewährten sich MK-Angehörige erstmals im bewaffneten Kampf gegen die Soldateska Pretorias. Hier erbrachte der junge Chris Hani den Beweis seiner Fähigkeit, in Zukunft den „bewaffneten Arm“ des ANC führen zu können.
Mitte der 70er Jahre wurde für die Kämpfer des MK das Königreich Lesotho zu einem wichtigen Operationsgebiet. Von dort entsandte man eigene Leute in den Apartheidstaat, um die erforderliche Logistik zur Intensivierung des Befreiungskampfes zu schaffen. Nach dem opferreichen Aufstand in Soweto (1976) erfolgte ein besonders großer Zulauf engagierter Jugendlicher. Sie waren vom Haß auf das Terrorregime der Apartheid erfüllt. In Ausbildungslagern auf dem Boden Tansanias und Sambias wurden sie militärisch geschult. Doch Chris Hani wußte, daß die Vermittlung waffentechnischer und politischer Kenntnisse bei diesen überwiegend unerfahrenen Kämpfern eine Einheit bilden mußte.
In den 80er Jahren verstärkte sich der Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika. So wurden seitens des ANC und seiner bewaffneten Formation zunehmend verdeckte Kampfformen wie Sabotage angewandt, die auch weiße Viertel erfaßten. Diese neue Militärstrategie erschütterte mehr und mehr das Regime Pretorias.
Chris Hanis herausragende Rolle bei all diesen Aktionen wurde von der ANC-Führung gewürdigt und anerkannt. 1987 ernannte sie den bereits erfahrenen Kämpfer zum Stabschef des MK. Im April 1990 kehrte dieser nach Südafrika zurück. Dort konzentrierte sich Hani auf die Vorbereitung der ersten wirklichen Wahlen in der Geschichte Südafrikas und den vom ANC angestrebten friedlichen Übergang von der Apartheid zur Demokratie. Diese Vision nahm angesichts von Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis zugunsten der sozialistischen Länder und der nationalen Befreiungsbewegungen realistische Züge an. In dieser Zeit wurde Chris Hani der populärste politische Führer Südafrikas an der Seite Nelson Mandelas. Er war zu der Erkenntnis gelangt, daß der bewaffnete Widerstand gegen das Apartheidregime eingestellt werden mußte, um im ganzen Land eine demokratische Wahlen begünstigende Atmosphäre des Friedens und der Stabilität zu schaffen. In seiner Autobiographie „Mein Leben“ schrieb er: „In der gegenwärtigen politischen Situation ist die Entscheidung unserer Organisation, den bewaffneten Kampf aufzugeben, ein wichtiger Beitrag, den Fortgang der Verhandlungen zu sichern.“
Im Dezember 1991 wurde Chris Hani zum Generalsekretär der KP Südafrikas gewählt. Er gab seine Funktion beim MK auf, zumal das Ende des rassistischen Regimes bereits abzusehen war. Der beliebte Politiker konzentrierte sich jetzt darauf, die Reihen der SACP zu festigen und zahlenmäßig zu verstärken. Zugleich ging es ihm um ein noch engeres vertrauensvolles Zusammenwirken mit dem ANC.
Das Augenmerk des KP-Generalsekretärs galt vor allem auch den südafrikanischen Gewerkschaften. Deren Dachverband COSATU besaß schon bald nach seiner Gründung im Jahre 1985 etwa eine halbe Million Mitglieder. Die von Hani organisierte politische Bildungsarbeit in den Unions richtete sich darauf, in der Industrie, den Bergwerken und Häfen tätige Arbeiter für den Anti-Apartheid-Kampf zu mobilisieren. Das Wirken der gewerkschaftlichen Basis, dessen Hauptziel mit dem der südafrikanischen Kommunisten im Einklang stand, sollte dem Aufbau eines antirassistischen, demokratischen und auch ökonomisch befreiten Südafrikas dienen. Der frühere COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi sagte über Chris Hanis bestimmenden Einfluß auf die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung: „Unsere Zukunft wird mit dem Blut von Chris Hani geschrieben werden.“
Das Fundament des nationalen Befreiungskampfes in Südafrika war die Dreier-Allianz aus ANC, SACP und COSATU. Es gab in der ersten Zeit nach der Proklamierung der Apartheid als Staatsdoktrin der weißen Rassisten Ende der 40er Jahre in diesem Bündnis noch Risse, und es ist heute neuen Erschütterungen ausgesetzt, bei denen sowohl Rechtsopportunisten aus den Reihen des ANC als auch linkssektiererische „Revoluzzer“ eine Rolle spielen.
Die ANC-Führung hegte anfangs erhebliche Vorbehalte gegenüber politischen Grundpositionen der südafrikanischen Kommunisten. So äußerte Nelson Mandela in seiner Autobiographie, daß ihm „die ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Religion“ mißfalle. Besonders problematisch war jedoch seine Kritik, daß die SACP das Land vornehmlich „durch die Optik des Klassenkampfes“ betrachte. Mandela folgerte: „Ich fand die Idee nicht besonders relevant für das heutige Südafrika.“ Seine Position änderte sich mit zunehmender Schärfe des Anti-Apartheid-Kampfes. Vor allem die bewaffneten Aktionen des MK, bei denen kommunistische Kämpfer wie Chris Hani eine entscheidende Rolle spielten, bewirkten bei Mandela und anderen ANC-Führern ein Umdenken. Die im Befreiungskampf gewachsenen persönlichen Sympathien zwischen Mandela und Hani sowie deren solidarischer Umgang miteinander trugen wesentlich dazu bei, das Bündnis der beiden wirksamsten Kräftegruppierungen Südafrikas zu festigen.
Chris Hani sah in Nelson Mandela bereits frühzeitig einen Freiheitshelden, als er selbst noch in der ANC-Jugendliga aktiv war und mit den Zielen der Widerstandsbewegung erst näher vertraut gemacht wurde. Mandela wiederum schätzte an Hani die Stärke seines Charakters und vor allem dessen Fähigkeit, gleichermaßen politischer Organisator und militärischer Führer im Untergrund zu sein. Seine Wertschätzung galt auch so profilierten weißen SACP-Funktionären wie Joe Slovo und Ruth First.
„Mein lange gehegter Widerstand gegen den Kommunismus brach langsam zusammen. Ich konnte und wollte die Aufrichtigkeit solcher Männer und Frauen nicht länger in Zweifel ziehen“, bekannte Mandela. Deshalb akzeptierte er auch die Position des ANC, „Marxisten in seinen Reihen willkommen zu heißen“.
Der gewaltsam herbeigeführte Tod Chris Hanis war für die südafrikanische Gesellschaft fraglos ein schwerer Verlust im fortwährenden Kampf zur endgültigen Überwindung von Apartheid und rassistischer Unterdrückung. In seiner Autobiographie fand Nelson Mandela die eindringlichen Worte: „Südafrika war eines seiner größten Söhne beraubt worden, eines Mannes, der bei der Umgestaltung des Landes in eine neue Nation von unschätzbarem Wert gewesen wäre. Eines Mannes, der die ganze Nation mit seiner Leidenschaft und seiner Fähigkeit erregte.“
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