Erinnerungen an Peter Edel
Peter Edel war ein geliebtes, verwöhntes Kind aus bürgerlicher Familie mit künstlerischen Ambitionen. Sein Onkel hat in Deutschland zur Popularisierung der Plakatkunst beigetragen, und künstlerische Talente steckten auch in dem Jungen, der schon frühzeitig malte und zeichnete.
Aber dann wurde er als Halbjude von der Schule gewiesen. Sein Vater versuchte unterzutauchen, während die blonde Mama aus Ostpreußen wenigstens den Sohn retten wollte.
Es war ein Zufall, daß sie sich an der Wohnungstür begegneten, aber als er begriff, mit wem er sprach, rannte er Käthe Kollwitz hinterher, und auf dem U-Bahnsteig verabredeten sie heimlichen Unterricht. Ihre Lehre für ihn: Näh deine eigene Jacke, sei es mit groben Stichen. Und wäre diese Jacke aus Sackleinwand, so sei das immer noch besser, als Brokat vortäuschen zu wollen.
Wir wissen, was dann kam. Er hielt zu Esther, seiner Kindheitsliebe. Sie heirateten, hungerten gemeinsam, fürchteten sich, hofften, gingen manchmal heimlich ins Kino und taten zur Todesstrafe für ihre Herkunft die Gefährdung durch eine zweite hinzu: Sie leisteten Widerstand, klebten nachts Plakate: „Wer Bücher verbrennt …“ Haß und Verfolgung, sogar Verachtung mußten sie hinnehmen. Aber Esther hat bis zuletzt geglaubt, Peter werde überleben. Das stand auf einem Zettel, den er in seinem Koffer fand, als sie schon fort war, auf ihrem eigenen Leidensweg, der in Auschwitz nach medizinischen Experimenten endete. Dort war auch Peter Edel, und er glaubte bis zu seinem Tod, er habe Esther einmal in Auschwitz gesehen.
Wie überlebt ein Mensch fünf Konzentrationslager, zuletzt Sachsenhausen, wo er zur Gruppe der Häftlinge gehörte, die englisches Geld fälschen sollten? Ein Himmelfahrtskommando, in dem die Männer trotzdem versuchten, die mögliche Herstellung zu sabotieren.
Bei seiner Befreiung in Mauthausen war er immer noch ein ganz junger Mann. Er fand Helga, später nicht nur seine und Sakowskis, sondern auch meine Fernseh-Dramaturgin und enge Freundin. Peter Edel war mein Freund. Also erzähle ich, was ich von ihm gelernt habe, und was ich ihm geben konnte. Als ich ihn das erste Mal am Rednerpult erlebte, war das für mich eine prägende Erfahrung. Er hatte keinen Zettel, las also nicht ab. Seine Rede war klangvoll und streng geformt und kam so leicht, als hätten die Wörter und Argumente einander schon immer gesucht. Sein schöner Kopf war durch die freie Rede frei – und ich habe verstanden, welch eine Chance darin liegt, ganz bei den Zuhörern zu sein. Daran habe ich mich seither, über fünfzig Jahre, gehalten.
Ich konnte ihm nichts anderes geben als meinen Respekt, meine unstillbare Lust aufs Zuhören, das mir in reichem Maße zuteil wurde, und meinen durch ihn bestärkten Instinkt für gefährliche und gefährdende politische Situationen. Ich brachte ihm einen großen Bruder mit ein, der ihn mit dem Auto fuhr, und ihn mit eingeschmuggelten Presseerzeugnissen versorgte, und der tolerierte, daß Edel mit seiner Aktentasche das Auto zerkratzte, weil ihm mitunter alle Gesten entglitten.
Im Restaurant hatte er immer Angst, dem anderen sei die letzte Portion serviert worden und er müsse hungrig bleiben. Und die Nächte, das Wegtauchen in den Traum, haben Helga viel Schlaf gekostet. Er leuchtete ihr oft mit der Taschenlampe ins Gesicht, um zu glauben, daß er lebte. Die Häftlingsnummer 164 145 trug er bis zu seinem Tod.
Wir haben Seite an Seite auch sehr schmerzhafte politische Konflikte und Krisen durchgestanden, in denen ich nicht nur die eigene Integrität verteidigen mußte, sondern auch den Freund, dem herabsetzende Angriffe galten. Es ging dabei um viel mehr als um die eigene Arbeit oder Partei. Die hat uns damals eine heiße Kartoffel in die Hand gedrückt, dabei getan, als hätte sie nichts mit den Problemen zu tun – und uns hinterher getadelt, daß alles so gekommen ist.
Wer „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ im Fernsehen erlebt hat, der weiß viel über Peter und Esther. Was war es, das ihm dann die Kraft gegeben hat, eine zweibändige Autobiographie anzufangen, obwohl es schon Anzeichen der tötenden Krankheit gab?
Wir wohnten da als Nachbarn, hätten uns vom Balkon aus sehen können, so hat er es aufgeschrieben, aber einfacher war doch, mich anzurufen und zum Vorlesen einzuladen. Das Tröstende und das Unerträgliche. Wir haben Mazze gegessen, obwohl er auf den jüdischen Teil seiner Identität nur anekdotischen Wert legte. Er konnte aber wunderbar Witze erzählen, die nur er erzählen durfte.
Es gab etwas anderes, gegen das frühe Herkunft, Leiden und auch menschliche Enttäuschungen niemals ankamen: Er war und blieb sein Überleben lang ein undogmatischer, durchblickender, unbeirrbarer Linker. Auch da hatte ich viel zu lernen.
Einen einzigen Wunsch habe ich ihm nicht erfüllt. Ich war nicht mit Helga und ihm in der Gedenkstätte Auschwitz. Das konnte ich nicht.
Ich glaubte seine Erfahrung bei uns gut aufgehoben. Daß er, ehrend, im Pergolenweg beigesetzt würde, war ihm recht. Ich verstand das, denn er war lobsüchtig, im tiefsten Wesen nicht von den Schlägen und vielfachen Erniedrigungen heilbar. Etwas in ihm konnte bis zum Ende nicht glauben, daß er so viel wert sei wie jeder andere. Seine Bewegungen waren meist elegant, aber manchmal warf er Gläser um und verlor gänzlich die Fähigkeit, Gesten zu koordinieren.
Viel später habe ich an seinem Grab in Friedrichsfelde eine Genugtuung empfunden. Nun durfte Helga neben ihm liegen, was das Protokoll der Partei vorher nicht gestattete.
Sie und ich, wir haben nicht geschafft, das Kulturhaus in Weißensee, dem sein Name abgesprochen werden sollte, zu erhalten. Sie haben es durch unsere Aktion nicht umbe-nannt, aber als wir gingen, sagten wir: „Nun werden sie alle Zuwendungen streichen und lassen das Haus verkommen, dann haben sie ihr Ziel ja auch erreicht.“
Es kam so. Peter Edels „Wenn es ans Leben geht“ kann man manchmal antiquarisch kaufen. Ich wünschte mir eine Neuauflage. Es ist ein Lehrbuch über menschliche Größe und ein Stück deutscher Geschichte, die keiner von uns verdrängen sollte. Und ich denke noch immer, worin wir uns einig waren. Es muß verteidigt werden. Auch im Namen von Peter Edel.
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