RotFuchs 203 – Dezember 2014

Warum die Erfolgsbilanz des DDR-Außenhandels
unterschlagen wird

Erinnerungen eines Export-Strategen

Kurt Engel

Vor 25 Jahren ging die DDR zugrunde. Als langjähriger Außenhändler stelle ich fest, daß man aus den Medien der BRD kaum Richtiges über die Exportbilanz des sozialistischen deutschen Staates erfahren kann. In den Berichten wurde allenfalls Schalck-Golodkowskis Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) Raum gegeben.

Um der Wahrheit näher zu kommen, will ich als inzwischen 85jähriger, der auf dieser Strecke Erfahrungen sammeln konnte, zum Sachverhalt Stellung nehmen.

1953 kam ich als junger Ingenieur in den VEB EKM, Kraftwerksbau, der für das damalige Energieprogramm der DDR geschaffen worden war. Von dort delegierte man mich in das Ministerium für Maschinenbau.

Seinerzeit fehlte es der DDR noch an wesentlichen Elementen der metallurgischen Industrie. Mit Hilfe der Planwirtschaft wurden der Wiederaufbau und die Neuentwicklung ganzer Industriezweige sinnvoll gelenkt und vorangetrieben. So schuf man die Möglichkeit, schon bald an die Aufnahme des Exports von Anlagen zu denken. Zu diesem Zeitpunkt machte sich das Fehlen eines geeigneten industriellen Partners für den Außenhandel mit Anlagen und Projekten bemerkbar. Unter Minister Heinrich Rau wurde das Zentrale Projektierungsbüro für Maschinenbau am 1. Juli 1954 in den VEB Industrieanlagen-Export (INEX) umgewandelt. Es entstanden die Außenhandelsbetriebe INVEST-EXPORT (IE) und CHEMIEAUSRÜSTUNGEN (CA). 200 Ingenieure aus den Exportbetrieben der DDR wurden im Ministerium für Außenhandel zusammengezogen.

Zuvor hatte INEX in Ägypten bereits Tender-Ausschreibungen über 284 km Freileitungen mit 42 Schaltstationen im Nil-Delta und die schlüsselfertige Errichtung des Kraftwerkes Damanhour für sich entschieden. Am 1. April 1954 schloß der Außenhandelsbetrieb IE mit der Volksrepublik China Verträge über die Projektierung und Lieferung von Ausrüstungen, die Überwachung ihrer Montage sowie die Inbetriebnahme und Leistungsbewertung ab. Es handelte sich um Dampferzeuger, Turbinen, Erzeugnisse der Geräte- und Regelungstechnik sowie um Feuerungen. Die Lieferungen aus volkseigenen Betrieben der DDR waren für die Kraftwerke in Chengshow, Dachiuang, Hanchang, Peking, Kanton, Datung, Ginsi und Namping (damalige Schreibweise) bestimmt.

Im August 1955 wurde ich als Ingenieur für Auslandseinsatz vom Ministerium für Außenhandel eingestellt und in der Handelspolitischen Abteilung bei der DDR-Botschaft in Peking eingesetzt. Für die zahlreichen Abstimmungen mit den örtlichen Bauorganisationen, den Einsatz der Fachkräfte aus der DDR und deren Betreuung bildete man im chinesischen Ministerium für Wasser- und Energiewirtschaft einen Bau-Stab unter Leitung des VEB Energie- und Kraftwerksanlagen (EKE). In dieser Zeit waren Hunderte Fachkräfte aus der DDR in China tätig, um die gelieferten Ausrüstungen bis zur Inbetriebnahme zu installieren. Neue Exportverträge konnten abgeschlossen werden, so für das Heizkraftwerk Taoting sowie 64 Kleinkraftwerke mit Dampferzeugern und Turbosätzen von 1,5 MW und 3,2 MW. Die Anbahnung für das Großkraftwerk Liauling mit Turbosätzen von 50 MW wurde weiter konzipiert.

Auch die Pläne für das Rundfunkteile-Kombinat DOC in Peking, das Meßgerätewerk MENA in Sian und das Schleifscheibenwerk Schach in Deschgshou konnten realisiert werden. Die Leistungen der Fachkräfte aus der DDR wurden gebührend anerkannt. Auch ich erhielt vor meiner Abreise die Freundschaftsmedaille der Volksrepublik China.

Ein anderes Betätigungsfeld lag für mich im Nahen Osten. Die DDR hatte mit der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) 1958 in Kairo ein Kreditabkommen vereinbart. Der VEB INEX wurde für eine Reihe von Objekten, darunter eine Anlage zur Herstellung von Freileitungsmasten, eine Verzinkerei für 9000 t, eine Hartfaserplattenanlage und ein Lehrkombinat für Glas-Verarbeiter als Partner gewonnen. Gemeinsam mit Textimaprojekt fungierte INEX als Generalauftragnehmer für die Baumwollspinnerei in Sibin el Kom, Veredlungsanlagen in Shoura el Kema und in Tanta.

Von 1962 bis 1966 war ich Beauftragter des Generaldirektors des Außenhandelsbetriebes IE in Kairo. Ein Baustab für das Büro Invest Export hatte die Aufgaben zur Realisierung des erwähnten Abkommens zu lösen.

1967 übertrug man den Kombinaten, die jeweils mehrere Betriebe einer Branche zusammenfaßten, eigenständige Außenhandelsfunktionen. Damals war ich Direktor für den Export metallurgischer Anlagen des Schwermaschinenbau-Kombinats „Ernst Thälmann“ (SKET), dessen Schwerpunkt zu dieser Zeit neben den Lieferungen an die UdSSR vor allem in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien lag. Dabei ging es um Leistungen für das Walzwerk Zenica, das Buntmetall-Kombinat Prokulje und das Kaltwalzwerk in Smederrevo.

In Algerien wurden durch INEX ein Armaturenbetrieb und durch SKET ein Drahtwalzwerk ausgerüstet.

1977 nahm das Export-Volumen derart zu, daß im Ministerium für Außenhandel der DDR (MAH) unter meiner Leitung die Abteilung Anlagenexport gebildet wurde. Für Angebote von Außenhandelsbetrieben führte man eine reguläre „Verteidigung“ ein, zu der die Vertreter der einzelnen Außenhandels- und Export-Betriebe, der Kombinate und anderer Stellen wie der Kreditkommission und der Deutschen Außenhandelsbank der DDR eingeladen wurden.

Das Anbahnungsvolumen beim Anlagenexport lag 1989 bei etwa fünf Milliarden Mark der DDR. Auch bei der Beratung von DDR-Regierungsdelegationen, die in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW) entsandt wurden, spielten kommerzielle Vereinbarungen über die Errichtung von Anlagen eine immer bedeutendere Rolle. Dabei ging es u. a. um Projekte in Iran, Ägypten, Irak, Syrien und Libyen.

1990 wurde diese erfolgreiche Entwicklung jäh beendet. Die BRD wickelte alles, was auch nur nach Volkseigentum roch, gnadenlos ab und steckte die dabei erzielten Gewinne ein. Wie viele DDR-Außenhändler wurde auch ich unter diesen Umständen nicht mehr gebraucht. Bei Anlagen mit Kredit-Bedingungen, die bereits in Betrieb waren, kassierte die BRD noch zu zahlende Raten, welche der DDR zustanden, ohne Hemmungen ein.

Diesen Text habe ich im wesentlichen aus dem Gedächtnis geschrieben. Ich konnte mich nur auf die Festschrift „INEX 1954–1964“ stützen, deren Titelseite den Text illustriert. Wie es danach weiterging, versuchte ich zu rekonstruieren. Ich möchte diese Aufzeichnungen nicht abschließen, ohne den Autoren und Gestaltern des „RotFuchs“ für ihre ständige Mühe zu danken.