Vor 30 Jahren trafen sich die Kommunisten
dreier deutscher Parteien
Es blieb bei der Premiere
Die Spaltung Deutschlands und Berlins hatte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD), der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und die Herausbildung der besonderen, selbständigen politischen Einheit Westberlin zur Folge. Dort entstanden die SED und die KPD, später die DKP sowie die SEW als voneinander unabhängige kommunistische Parteien.
Am 26. September 1983 wandten sich SED, DKP und SEW mit einem gemeinsamen Appell an die Parteien der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und Jugendverbände, an alle Menschen in Europa, die in Frieden leben wollen. „Wir, die kommunistischen Parteien auf deutschem Boden … erheben unsere Stimme in einer Zeit, da Entscheidungen größter Tragweite bevorstehen, die das Schicksal der Völker Europas, ja der gesamten Menschheit betreffen. Die deutschen Kommunisten haben am Ende des zweiten Weltkrieges, nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus, gemeinsam mit den Sozialdemokraten, mit Christen und Nichtchristen den Schwur geleistet, alles dafür zu tun, damit niemals mehr von deutschem Boden ein Krieg ausgehen kann. In diese Verpflichtung ist das Vermächtnis von 50 Millionen Toten, der Kämpfer gegen die Hitlerbarbarei, der im Faschismus Ermordeten und der Opfer auf den Schlachtfeldern und in den Bombenkellern eingegangen.“
Dafür hätten die deutschen Kommunisten über drei Jahrzehnte gearbeitet und gekämpft: In der Deutschen Demokratischen Republik beim Aufbau der Arbeiter-und-Bauern-Macht, des ersten sozialistischen deutschen Friedensstaates; in der Bundesrepublik Deutschland im Widerstand gegen die Remilitarisierung, für Entspannung und sozialen Fortschritt; in Westberlin gegen die Frontstadtpolitik und für Beziehungen des Friedens und der Zusammenarbeit mit der DDR.
In dem Appell hieß es weiter: „Heute erklären wir: Mit der geplanten Stationierung der US-Mittelstreckenraketen wiederholt sich die Gefahr eines neuen Krieges von deutschem Boden, vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus. Europa darf nicht Euroshima werden! Noch ist es Zeit …“
Der gemeinsame Appell der drei Parteien löste in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung ein lebhaftes Echo aus. Er demonstriere „hohes Verantwortungsbewußtsein“ und widerspiegele den Geist der antifaschistischen Tradition der deutschen Kommunisten, erklärte damals James Jackson von der Führung der KP der USA. Die Warnung, daß Europa bei Stationierung der US-Raketen ein Euroshima werden könne, erinnere an die Worte Ernst Thälmanns, ein Machtantritt Hitlers bedeute Krieg.
Der antifaschistische Widerstandskämpfer Max Seydewitz, nach 1945 Ministerpräsident des Landes Sachsen, stellte zu dem Dokument fest: „In über 90 Jahren mußte ich zwei furchtbare Weltkriege erleben. Nunmehr haben die Kommunisten auf deutschem Boden den gemeinsamen Appell an die Menschheit gerichtet, in dieser schicksalsschweren Zeit alles zu tun, um das vor rund vier Jahrzehnten abgegebene Gelöbnis von Millionen Deutschen wahr zu machen. Ich wünschte, daß er tief in den Verstand und in die Herzen der Menschen dringt; daß ein jeder begreift, daß wir in dieser Stunde der Gefahr die verbrecherische Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden verhindern müssen.“
Zum ersten Mal hatten sich die drei Parteien angesichts der enormen Verschärfung der Kriegsgefahr zu einem gemeinsamen Schritt entschlossen. Eine solche Initiative hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Weder zur Einbeziehung Westberlins in das westdeutsche Währungssystem noch dann, als Westberlin de facto zu einem Land der Bundesrepublik erklärt wurde. Auch nicht zur Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls am 13. August 1961. Damals war die SEW noch keine eigenständige Partei. Erst nach der Unterzeichnung des Vierseitigen Abkommens über Westberlin am 3. September 1971 erlangten die Kommunisten Westberlins ihre volle organisatorische Selbständigkeit. Sie arbeiteten und kämpften fortan als SEW mit Gerhard Danelius als Vorsitzendem.
Der gemeinsame Appell war demnach ein historisches Dokument in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Nachkriegsjahre. Ihm gebührt ein angemessener Platz in deren Chronik.
Niemand von uns konnte indes ahnen, daß diese erste gemeinsame Aktion der drei Parteien auch deren letzte sein würde. Nach der Annexion der DDR gab es keine drei sich zum Marxismus-Leninismus bekennenden Parteien hierzulande mehr. Als einzige überdauerte die DKP.
Im Gefolge der Konterrevolution lösten sich die beiden anderen Parteien auf. Die SEW verwandelte sich zunächst in eine „Sozialistische Initiative“, um am 30. Juni 1991 ihre Tätigkeit gänzlich einzustellen. Ein Teil der Mitglieder schloß sich der im Osten entstandenen Partei des Demokratischen Sozialismus – der PDS – an.
Bei seinem ersten Besuch in der Bundesrepublik hatte der damalige Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breshnew, davon gesprochen, daß es schwer sei, „am Rhein Kommunist zu sein“. Ich bemerkte daraufhin, die Lage der Kommunisten in Westberlin wäre aus meiner Sicht noch sehr viel schwerer. Immerhin hatte es die SEW mit vier Besatzungsmächten und zwei deutschen Staaten zu tun. Sie lebte und kämpfte unter Bedingungen scharfer Interessenkonflikte auf dem Boden eines Territoriums, das als politisches Pulverfaß und „Speerspitze des Antikommunismus“ galt. Sie mußte ihre politische Tätigkeit in einer antisozialistischen Frontstadt entwickeln.
Die SEW bestand nicht lange. In der kurzen Zeit ihres Wirkens aber erwarb sie sich in den zugespitzten Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden bleibende Verdienste.
Mit dem nahezu gleichzeitigen Untergang der SED und dem Beitritt eines weitaus geringeren Teils ihrer Mitglieder zur PDS fand das zeitweilige Nebeneinanderbestehen dreier kommunistischer Parteien auf deutschem Boden – ein einmaliger Vorgang – sein Ende. Als Parteien, die sich zum Marxismus-Leninismus und zur kommunistischen Sache bekennen, gibt es nur noch die DKP und die KPD. Dieser Umstand und das Entstehen einer völlig veränderten politischen Landschaft für Kommunisten in Deutschland, die auch weiterhin gravierenden Wandlungen unterliegen dürfte, bedarf einer gründlichen Analyse und Bewertung.
Unser Autor war von 1973 bis 1990 Vorsitzender der DKP.
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