Warum die DDR dem Wohnungsbauprogramm
Vorrang einräumen mußte
Es brannte auf den Nägeln
In seinem Beitrag „Wohnvergnügen im „Szeneviertel“ (RF 199) schildert der Autor Rico Jalowietzki den Zustand von Wohnung und Haus im Prenzlauer Berg, in die er gezogen ist, um sich dann zu Versäumnissen der DDR bei der Altbausanierung zu äußern. Dabei stellt er folgende Thesen auf:
„Unter sozialistischen Bedingungen waren Miethäuser meist Volkseigentum oder gehörten Genossenschaften.“
„Bei der Sanierung unserer Altbausubstanz gab es enorme Defizite. … Sein Drängen auf Modernisierung unansehnlicher alter Gebäude (gemeint ist Bauminister Junker) stieß beim SED-Politbüro auf taube Ohren. Das konzentrierte sich auf die drei Millionen Einheiten … des Wohnungsbauprogramms.“
„Für die Renovierung der Altbaugebiete hätten die DDR-Bürger zweifellos in die Tasche greifen müssen. … Bekanntlich sind heutige BRD-Bürger ja auch dazu bereit, mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens für die Miete hinzulegen.“
Wie verhält es sich damit?
Jalowietzki irrt, wenn er meint, auch Altbauten wären „meist Volkseigentum“ gewesen. Das Eigentumsrecht an privaten Miethäusern wurde in der DDR nicht aufgehoben – weder für deren Bürger noch für Eigentümer, die ihren Wohnsitz außerhalb der DDR hatten. Die Verwaltung von Häusern, wo die Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren, oblag ganz überwiegend kommunalen Wohnungsverwaltungen. Kein Verwalter aber konnte ohne Zustimmung des Eigentümers Baumaßnahmen an einem Haus veranlassen. Daher hatte die DDR weder das Recht noch die Pflicht, Miethäuser, an denen sie keine Eigentumsrechte besaß, zu sanieren.
Wie taub aber waren die Ohren des SED-Politbüros in dieser Frage wirklich?
Ab Anfang der 70er Jahre konnten DDR-Hauseigentümer für Sanierungsmaßnahmen an Altbauten zinslose Kredite in Anspruch nehmen. Die Bereitstellung finanzieller Mittel war indes nur die eine, Material und Arbeitskräfte aber waren die andere Seite.
Als DDR und BRD 1972 über den Grundlagenvertrag verhandelten, wurden Vermögens- und Eigentumsfragen, also auch der Status von Mietshäusern mit BRD-Eigentümern, ausgeklammert. Bonn war an das Grundgesetz gebunden. Ab 1990, als die Hausbesitzer – gemäß der Regelung „Rückgabe vor Entschädigung“ – wieder über ihr Eigentum verfügten, erhielt die BRD einen großen Teil der Gelder zurück, die sie einst als Entschädigung für die Grundstücke, Gebäude und andere Vermögenswerte an jene geleistet hatte, die nach 1945 von Ost nach West gezogen waren. Die DDR hätte, um den Altbau selbst sanieren zu können, die Eigentümer mit Wohnsitz in der BRD enteignen müssen. Über die Folgen einer solchen Maßnahme muß hier nicht spekuliert werden.
Eine Begebenheit: 1980 erkundigte ich mich auf dem Katasteramt in Berlin nach einem Grundstück, auf dem ein fast abbruchreifes Haus stand. Der Mitarbeiter winkte ab. „Lassen Sie die Finger davon. Das Grundstück gehört einer Erbengemeinschaft. Ein Erbe lebt in Westberlin, ein anderer in Westdeutschland, ein dritter ist in Kanada. Wenn das Erbrecht zurück in die DDR kommt, sind Sie alles los – das Grundstück und das, was Sie in das Haus investiert haben.“ Damals habe ich dem Mitarbeiter des Katasteramtes nicht so recht geglaubt. 1990, als die Haus- und Grundstücksbesitzer ins Land kamen, wurde mir klar, vor welchem Schaden er uns bewahrt hat.
1987 feierte Berlin sein 750jähriges Bestehen. Um den Kollwitzplatz herum wurden aus diesem Anlaß – im Sinne der „Werterhaltung“ – Altbauten saniert. Haben es die West-Eigentümer, die nach 1990 erschienen, der DDR gedankt? Nein. Im Gegenteil. Viele Mieter, die zu DDR-Zeiten in solchen Häusern wohnten, wurden vertrieben, weil sie die West-Mieten nicht mehr bezahlen konnten.
Rico Jalowietzki betont, das Politbüro habe sich „auf die drei Millionen Einheiten des … favorisierten Wohnungsbauprogramms konzentriert“. War das falsch? Wer in den 80er Jahren auf einem DDR-Wohnungsamt zu tun hatte, wird ein Lied über die Stimmung unter den Wartenden singen können. Junge Leute, denen der Geduldsfaden riß, darunter auch die FDJ-Sekretärin Angela Merkel, besetzten kurzerhand leerstehende Wohnungen. Das noch von Walter Ulbricht unterzeichnete Gesetz zur Selbsthilfe legalisierte solche Aktionen.
Meine erste eigene Wohnung bekam ich mit 37. Bis dahin hatte ich in einem Zimmer mit Küchenbenutzung als Untermieter leben müssen. Vielen erging es ähnlich. Die Wohnzustände waren, gelinde gesagt, unhaltbar. Die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem war daher eine zwingend notwendige gesellschaftliche Aufgabe. Sie konnte nicht zugunsten der Sanierung der Altbausubstanz vernachlässigt werden.
Ist also die DDR schuld, daß Rico Jalowietzki heute in einem mit Mängeln behafteten Haus „im Szeneviertel“ wohnt, weil die DDR den Altbau nicht saniert hat? Hätten die Mieten erhöht werden müssen, wie er meint, damit der Altbau saniert werden konnte? Wenn ja, was hätte eine solche Mieterhöhung gebracht? Ein Heer von Arbeitslosen gab es nicht. Die Baukapazität war begrenzt. Und Ersatzquartiere für die Mieter, die für den Zeitraum der Sanierung nicht in ihren Wohnungen hätten bleiben können, wären erst zu schaffen gewesen. Mit flotten Sprüchen war die Wohnungsfrage nicht zu lösen.
„Eigentum verpflichtet“, heißt es im Artikel 14 des Grundgesetzes. Dieser Pflicht sind die Hauseigentümer West an ihrem Eigentum in der DDR nicht nachgekommen. So taub, wie der RF-Autor meint, waren die Ohren des SED-Politbüros nicht.
Bitte der Redaktion
Durch einen nicht von uns verschuldeten technischen Defekt war der Nachname des Autors leider unleserlich. Wir bitten um dessen baldige Übermittlung, damit in der nächsten Ausgabe eine korrekte Angabe nachgeholt werden kann.
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