Exportschlager der Revolution
Kuba hebt sich ab. Drei Errungenschaften seiner Gesellschaft markieren den Unterschied zu anderen Ländern der Region besonders: das allen offen stehende Bildungssystem, die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und sein Gesundheitswesen. Nach wie vor garantiert der kubanische Staat allen Bürgern eine kostenlose medizinische Versorgung. Ein dichtes Netz aus Vorsorgeeinrichtungen, Familienärzten und Polikliniken steht im Alltag bereit. Die Medizin ist grundsätzlich präventiv ausgerichtet und – Not macht erfinderisch – setzt stark auf alternative und Naturheilmethoden. So vorbildlich das Gesundheitswesen organisiert ist, hat auch diese Perle der Karibik durch die schwere Wirtschaftskrise ab 1991 nach dem Wegfall der sozialistischen Partnerländer Kratzer abbekommen. Wie der Rest der Bevölkerung erlebten auch Ärzte und medizinisches Personal die weitgehende Entwertung ihrer Einkommen. Ausbleibende Investitionen ließen Einrichtungen verfallen, medizinisches Gerät veralten. Bei wichtigen Medikamenten und Verbrauchsmaterialien setzte Mangel ein. Die aus zwingenden Gründen eingeführte Doppelwährung aus nationalem Peso und dem Touristendollar CUC führte auch auf diesem Gebiet zu Ungleichheiten, das harte Geld verkürzt mitunter Wartezeiten oder verschafft Zugang zu besserer Behandlung.
Dr. Iliana Reyes Álvarez
Dennoch: Kubanische Ärzte zählen zu den besten weltweit. Die gute Vorsorge und medizinische Versorgung spiegeln sich statistisch unter anderem in einer hohen durchschnittlichen Lebenserwartung und einer niedrigen Säuglingssterblichkeit wider. Gesundheit ist ein Feld, aus dem das sozialistische System viel symbolisches Kapital schlägt. Und neben Prestige auch bare Münze: Die Humanmedizin ist längst einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und ein Exportschlager. Die in diesem Sektor erzielten Einnahmen – in Form von Öl oder Devisen – helfen dabei, Kubas Energieproblem zu lösen, dringend benötigte Importe zu realisieren und auch die Gesundheitsversorgung für seine eigenen Bürger zu verbessern.
Der Kollaps der Volkswirtschaft konnte überwunden werden. Wichtige Eckpfeiler der Gesellschaft, welche die Revolution unter Führung von Fidel Castro 1959 errichtete, blieben erhalten. Neue Märkte und Einnahmequellen waren dafür nötig. Kuba öffnete sich dem internationalen Tourismus. Heute spielt der Gesundheitssektor dabei zunehmend eine wichtige Rolle. Die Welt konnte wahre Wunder der medizinischen Forschung aus Kuba bestaunen: Hier wurden mit die ersten Impfstoffe gegen Meningitis und Hepatitis hergestellt, neue Therapien und Medikamente gegen Krebs entwickelt. Mehr dem Genuß als der Gesundheit dienlich: Kubanischer Rum eroberte den europäischen Markt und macht dort den Plagiaten von Bacardi ihren Platz streitig. Und nicht zuletzt: Bauarbeiter und Ingenieure wurden ins Ausland entsandt, um Geld zu verdienen: für sich und für die ebenso klammen Kassen des Staates.
Das gleiche gilt für ein ganzes Heer von Ärzten und medizinischem Personal: „Hecho en Cuba“. Zehntausende Angehörige des kubanischen Gesundheitswesens verrichten ihre Arbeit außerhalb des Landes. Kubaner im weißen Kittel sind nicht nur in der sogenannten Dritten Welt gefragt. Denn ihre Ausbildung und Motivation sind erstklassig. Ob Patientenpflege oder ärztliche Praxis: Hohe ethische Maßstäbe gelten, die ganzheitliche Zuwendung zum Patienten ist selbstverständlich. Ebenso wichtig wie Diagnosen sind Gespräche, die Erforschung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Seit 1999 wird solches Wissen und Können an der „Escuela Latinoamericana de Medicina“ (ELAM – Lateinamerikanische Hochschule für Medizin) an Medizinstudenten aus über 100 Ländern, sogar solchen aus den USA, meist kostenfrei weitergegeben.
Kubanische Ärzte gehen auch dorthin, wo sich dieser Berufsstand in anderen Ländern wegen mangelnder Einträglichkeit eher rar macht. Seit 2003 leben und arbeiten Jahr für Jahr bis zu 20 000 Mediziner und Krankenschwestern im Rahmen des Gesundheitsprogramms Misión Barrio Adentro in den Armenvierteln von Caracas und an anderen Orten Venezuelas. Das südamerikanische Bruderland gibt dafür vor allem von Havanna dringend benötigtes Erdöl zurück. Konnte Kuba in zurückliegenden Jahren sogar noch einen Teil des Energieträgers auf dem Weltmarkt zu Geld machen, zieht nun wieder Knappheit ein. Durch den Verfall des Ölpreises und die politische Destabilisierung steht Venezuelas Regierung von Präsident Nicólas Maduro, der 2013 in die übergroßen Fußstapfen des verstorbenen Hugo Chávez trat, selbst mit dem Rücken zur Wand.
Ärztemangel an den Peripherien der Megastädte und in abgelegenen Regionen wird auch in Brasilien dank einer Kooperation mit Kuba begegnet. Gegen den Protest der überwiegend konservativen Ärzteschaft des Landes holte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) im Rahmen des 2014 begonnenen Programms „Mais Médicos“ (Mehr Ärzte) 4000 kubanische Fachkräfte. Auch wenn deren Löhne kläglich sind, der Löwenanteil in den Haushalt ihres Staats fließt, sind solche in der Regel zweijährigen Einsätze für Kubaner durchaus lukrativ. Bei ihrer Rückkehr haben sie für heimische Verhältnisse ein kleines Vermögen zusammen. Attraktiv ist auch die Möglichkeit, andere Teile der Welt kennenlernen zu können. „Mais Médicos“ hat sich für die ärmeren Bevölkerungsteile im größten Land Südamerikas längst bewährt. Das rechte Rollback in Brasiliens Politik aber setzt auch hinter diese Zusammenarbeit für die Zukunft ein Fragezeichen.
Auf dem ganzen Kontinent berühmt ist die 2004 von Kuba initiierte „Misión Milagro“ (Mission Wunder). Kubanische Augenspezialisten beseitigen kostenlos Blindheit oder Sehstörungen bei Menschen mit niedrigen Einkommen aus Lateinamerika und der Karibik. Millionen erhalten dabei ihre Sehkraft zurück. Internationale medizinische Hilfe leistet das sozialistische Kuba von Beginn an anderen Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika und Lateinamerika. Nach Naturkatastrophen wie den Erdbeben 2010 in Haiti und Nepal 2015, bei Hilfsmaßnahmen wie gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika handelt Kuba schneller und aktiver als die reichen Länder. Trotz intensiven Versuchen des Brain-Drains, des Abwerbens von Spezialisten in die USA, gehen nur wenige Mediziner bei Auslandsmissionen von der Fahne.
Neben der Schönheit des Landes und der Neugier auf seine Gesellschaft voller Widersprüche sind es gerade das medizinische Know-how und günstige Angebote an Patienten aus aller Welt, die immer mehr Gäste auf die Insel locken. Dafür sorgt das Unternehmen Comercializadora de Servicios Médicos Cubanos (SMC). Verkaufschefin Dr. Iliana Reyes Álvarez hat dabei auch Deutschland fest im Blick. Es bestehe ein reger wissenschaftlicher Austausch auf diesem Gebiet zwischen beiden Ländern. Das reiche bis in die DDR-Zeit zurück, berichtet sie im Gespräch, schließlich hätten nicht wenige Kubaner im ostdeutschen Staat studiert. Wie Reyes betont, folge SMC bei seiner Arbeit „den Prinzipien einer sozialistischen Gesellschaft. Kubas Gesundheitswesen hat einen ethisch-humanistischen Charakter.“
Weitere Infos: www.erka-med.de oder cubainfo.de
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