Pentagon wollte A-Bombe auf DDR-Gebiet abwerfen
F. J. Strauß: Die Mauer war ein Glück
Am 13. August begingen die bundesdeutschen Medien einmal mehr den Jahrestag des Mauerbaus.
Sie berichteten über den Grund zu dieser Maßnahme so, wie man es uns in der Alt-BRD stets eingetrichtert hatte. Die Menschen wären der DDR weggelaufen, so daß nur die Errichtung der Mauer ihr weiteres Ausbluten habe verhindern können.
Andere Motive wurden nie genannt. Dabei gibt es doch einen erstklassigen Zeitzeugen, der schilderte, was mit dem Mauerbau sonst noch verhindert worden ist. Franz Josef Strauß war von Oktober 1956 bis Dezember 1962 Bundesverteidigungsminister und in dieser Eigenschaft bei allen wichtigen NATO-Beratungen zugegen. Gibt es eine bessere Quelle als ihn, um die Vorgeschichte des Mauerbaus in Erfahrung zu bringen? Aus seinem Buch „Franz Josef Strauß – Erinnerungen“ erfährt man, was sich in den Jahren vor dem 13. August 1961 auf seiten der NATO abgespielt hat.
Strauß macht kein Hehl daraus, daß die westlichen Alliierten der BRD einen detaillierten Angriffsplan gegen die Sowjetunion entwickelt hatten. Er selbst wurde in diesen eingebunden. Das Pentagon hatte vor, auf DDR-Territorium eine Atombombe abzuwerfen. Strauß wurde er-sucht, ein dafür in Betracht kommendes Gebiet auszuwählen. Er nannte den Amerikanern ein Objekt in der DDR und unternahm nichts, um die U.S. Air Force von ihrem Plan abzuhalten.
Später gestand der BRD-Verteidigungs-minister ein: „Der amerikanische Ge-danke eines Atombombenabwurfs auf einen sowjetischen Truppenübungsplatz hätte, wäre er verwirklicht worden, den Tod Tausender sowjetischer Soldaten bedeutet. Das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen. Die Amerikaner wagten einen solchen Gedanken, weil sie sehr genau wußten, daß die Sowjets damals noch nicht über präzise treffende und zuverlässig funktionsfähige Interkontinentalraketen verfügten, auch nicht über einsatzgenaue Mittelstreckenraketen, die in Stellung zu bringen gewesen wären. Der Krieg hätte also weitgehend in Europa stattgefunden, und zwar als konventioneller Krieg, dem die USA eine nukleare Komponente hinzufügen konnten. Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden.“
23 Jahre nach der „Wiedervereinigung“ wäre es an der Zeit, endlich einmal die tatsächlichen Hintergründe des Mauerbaus genauer zu erforschen. Das wäre eine spannende Aufgabe für unvoreingenommene Historiker, dürfte aber leider ein frommer Wunsch bleiben.
Im folgenden möchte ich die RF-Leser mit einigen Aussagen des Strauß-Buches vertraut machen, die im Kapitel „Berlinkrise und Mauerbau“ zusammengefaßt sind.
Strauß hat das Wort: „Zurück in Europa, wo ich zunächst Konrad Adenauer in seinem oberitalienischen Urlaubsort Cadenabbia aufsuchte, um ihm Bericht über meine Amerikareise zu erstatten, kam das ,contingency planning’ für den von uns angenommenen schlimmsten Fall, eine völlige Blockade Berlins, auf den Tisch: Die Russen geben am Tage X bekannt, daß ab soundsoviel Uhr der Zugang nach Berlin zu Wasser, zu Lande und in der Luft gesperrt ist – was unternimmt der Westen? Sämtliche contingency-Pläne wurden durchgespielt …“
Weiter O-Ton Strauß: „Die Gespräche im NATO-Hauptquartier in Paris sind in kurzen Abständen wiederholt und fortgesetzt worden. Eines Tages kam Foertsch zu mir …, um aufgeregt das Neueste zu berichten … Für den Fall, daß der von den Amerikanern geplante Vorstoß zu Lande nach Berlin von der Sowjetunion aufgrund ihrer Überlegenheit aufgehalten werde, hätten die USA die Absicht, so Foertsch, bevor es zum großen Schlag gegen die Sowjetunion komme, eine Atombombe zu werfen und zwar im Gebiet der DDR. Ich fragte nach: ,Im Gebiet der Sowjetunion?‘ ‚Nein‘, so die Antwort, ‚im Gebiet der DDR‘.“
Der einstige Chef der Hardthöhe fährt in seinem Buch fort: „Die Amerikaner brachten diesen Gedanken ernsthaft ins Gespräch, was schon daraus hervorgeht, daß sie uns nicht nur allgemein gefragt haben, sondern daß sie von uns wissen wollten, welches Ziel wir empfehlen. Das war die kritischste Frage, die mir je gestellt wurde. Ich sagte, diese Verantwortung könne niemand übernehmen. Ein Ziel wie Hiroshima oder Nagasaki komme, so meine eiserne Position, nicht in Betracht, damit würden wir uns trotz eines eventuellen Erfolges, nämlich Erzwingung der Zugänge zu Berlin, eine solche politische Last auferlegen, daß der Preis in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünde. Es war dann von einem russischen Truppenübungsplatz die Rede … Wenn diese Atombombe präzise geworfen und wenn sie einen begrenzten Wirkungsradius haben würde, dann wären die Opfer unter der zivilen Bevölkerung weitgehend auf die Menschen beschränkt, die auf diesem Truppenübungsplatz arbeiteten. Einen Truppenübungsplatz, den ich kannte, habe ich namentlich genannt – ich war dort im Jahre 1942 eine Zeitlang bei der Aufstellung einer neuen deutschen Panzerflakeinheit. Dies erschien mir, wenn es schon dazu kommen mußte und wir den Amerikanern nicht in den Arm fallen konnten, unter den gegebenen Übeln das geringste zu sein, obwohl es noch immer schlimm genug war.“ Strauß weiter: „Bei der Berlinkrise von 1961, die sich im Grunde drei Jahre lang aufgebaut hatte, merkte man plötzlich im Frühjahr, daß sich hier etwas zusammenbraute, was außerhalb des üblichen Ost-West-Geplänkels lag und eine weit über Deutschland hinausreichende, eine weltpolitische Dimension hatte. Man spürte, dies kann der Ernstfall werden, wenn nicht militärisch, dann jedenfalls politisch.“
Das Fazit des CSU-Politikers lautet: „Mit dem Mauerbau war die Krise, wenn auch in einer für die Deutschen unerfreulichen Weise, nicht nur aufgehoben, sondern eigentlich auch abgeschlossen.“ Sein Buch wurde bereits 1989 verlegt und kann im Internet heruntergeladen oder für ein paar Groschen beim Trödler erworben werden.
Mich – einen ehemaligen Wähler der Partei von Franz Josef Strauß – führte die Lektüre des hier zitierten Kapitels zu zwei neuen Erkenntnissen: Erstens hätte die NATO keine Skrupel gehabt, eine Atombombe auf DDR-Gebiet abzuwerfen. Zweitens hat es den der Sowjetunion unterstellten „Drang gen Westen“, der uns Alt-BRD-lern täglich suggeriert wurde, nie gegeben.
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