RotFuchs 234 – Juli 2017

Fakten zur Staatsgrenze zwischen
der DDR und der BRD sowie
zur Grenze um Westberlin (Teil 1)

Dr. Klaus Emmerich

Wie jede Staatsgrenze auf der Welt hatte auch die Staatsgrenze der DDR ihre spezifischen Besonderheiten. Sie war nicht nur eine Grenze zwischen Staaten, sondern auch eine Trennlinie zwischen dem Warschauer Vertrag und der NATO.

1.

Eigentlich gab es keine „Staatsgrenze der DDR“. Jede Staatsgrenze existiert grund­sätzlich nur zwischen konkreten Staaten: Staatsgrenze oder Grenze zwischen DDR und BRD, DDR und ČSSR sowie DDR und VR Polen etc.

2.

Der Verlauf der Staatsgrenze ist nicht gleichzusetzen mit den Sicherungsanlagen, egal welcher Art sie waren. Diese befanden sich ausschließlich auf dem Hoheits­gebiet, Territorium, Staatsgebiet der DDR. Der Bau, ihre Art und ihr Verlauf (der Abstand von der Staatsgrenze) wurden grundsätzlich durch die dafür zuständigen Organe der DDR auf der Grundlage der Rechtsvorschriften und darauf beruhenden dienstlichen Bestimmungen festgelegt. Bestimmte Ausnahmen wie das Verlegen von Minen wurden von den zuständigen Organen der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland bestimmt.

3.

Wenn alle Sicherungsanlagen der DDR sich ausschließlich auf ihrem Hoheitsgebiet befanden, folgt daraus, daß eine Identifizierung vom Verlauf der Staatsgrenze DDR/BRD mit den Sicherungsanlagen nicht nur falsch, sondern irreführend ist. Gerade zwischen beiden deutschen Staaten wurde entsprechend des Grundlagen­vertrages aus dem Jahre 1972 eine Grenzkommission gebildet, die die Staatsgrenze vermessen, teilweise (neu) festgelegt und markiert hat. Der vereinbarte neue Grenz­stein zwischen den beiden deutschen Staaten trug auf einer Seite das Kürzel DDR.

Im Grenzgesetz vom 25. März 1982 sind, ausgehend von der Verfassung der DDR, insbesondere Artikel 7, die Grundsätze geregelt. Das Grenzgesetz lautet in seiner Präambel: „Die strikte Achtung und Einhaltung der allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts, darunter die Achtung der Souveränität, der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung gutnach­barlicher Beziehungen, der Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen den Staaten und die entscheidende Grundlage einer stabilen Friedensordnung. In Wahrnehmung ihrer souveränen Rechte gestaltet die DDR ihre Beziehungen in Grenzangelegenheiten mit den benachbarten Staaten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und organi­siert den Schutz der Staatsgrenze einschließlich ihres Luftraumes und der Territorialgewässer.“

Das Grenzgesetz definiert im 1. Abschnitt, was die DDR unter Hoheitsgebiet, Staats­grenze, Seegewässer, Territorialgewässer, Innere Seegewässer, Grenzgewässer, Markie­rung und Kennzeichnung der Staatsgrenze und Grenzgebiete verstand. Meßlatte war immer das Völkerrecht.

Das Grenzgesetz bestimmte gleichfalls die Grundsätze für das „Überschreiten der Staatsgrenze“, Grenzübergangsstellen (GüSt), Transitverkehr, Verkehr über die Seegrenze allgemein, Aufenthalt ausländischer Wasserfahrzeuge und Kriegsschiffe, die friedliche Durchfahrt, Überflug über die Staatsgrenze, Grenzverletzungen, die Verantwortung für den Schutz der Staatsgrenze, die Befugnisse der Grenztruppen (u. a. das Recht zum Betreten; Beseitigung von Gefährdungen und Störungen; Persona­lienfeststellung und Klärung von Sachverhalten; Durchsuchung und Verwahrung; Gewahrsam; Durchsetzung von Maßnahmen der Grenztruppen; Anwendung von Schußwaffen; Maßnahmen bei Luftraumverletzungen; Kontrollrechte und Einbringen von Wasserfahrzeugen; Recht der Nacheile; Befugnisse anderer Schutz- und Sicher­heitsorgane; Grenzbevollmächtigte; Grenzkommissionen).

4.

Von besonderer Bedeutung, aber oftmals übersehen oder unterschätzt, war die „Anwen­dungsregel“ des § 39 Grenzgesetz, die lautet:

„Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind an der Staatsgrenze zu Berlin (West) entsprechend anzuwenden. Bestehende Rechte und Zuständigkeiten in Berlin (West) werden davon nicht berührt.“ 

Das hieß, auf die Grenze um Westberlin bezogen: Diese Grenze war keine Staats­grenze, an der jene Prinzipien galten, die oben skizziert wurden.

In den Folgebestimmungen (Grenzverordnung) wurden die Details geregelt, die sich z. B. auf die Bestimmungen für die Grenzgebiete; auf Arbeiten im Schutzstreifen, Veranstaltungen, Meldepflichten, Ordnungen in den Grenzgebieten, auf den Grenzge­wässern und Seegewässern zur BRD, zur ČSSR und zur VR Polen bezogen.

5.

Immer wieder wird behauptet, die Grenzfragen zwischen beiden deutschen Staaten, ausgehend vom 13. August 1961, hätten sich de facto mit dem 9. November 1989 erledigt.

Zum 25. Jahrestag des Anschlusses der DDR an die BRD erhielt ich von der hessi­schen Landesregierung (CDU und Grüne) eine Einladung, die unter dem Motto „Grenzen überwinden“ stand. In ihr war – in „konsequenter Nicht-Anerkennung der innerdeutschen Demarkationslinie als völkerrechtliche Grenze“ (22. Parteitag der CDU 2008) von einer „innerdeutschen Grenze“, womit unzweifelhaft die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten gemeint war, die Rede.

In diesem Zusammenhang sollte an das „Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra“ vom 3. Dezember 1984 (BGBl. I, Nr. 50, S. 1429) von Bun­despräsident Weizsäcker, Bundeskanzler Kohl und Bundesminister Bangemann unterzeichnet sowie im Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen, erinnert werden, in dem von der „Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ gesprochen wird. (§ 1 [2])

6.

Wer statt „Staatsgrenze zwischen der DDR/BRD“ den Kampfbegriff „innerdeutsche Grenze“ gebraucht, verletzt auch bundesdeutsches Recht.

7.

Die Staatsgrenze der DDR in ihrer Gesamtheit trennte bis zum 3. Oktober 1990 ihr Hoheitsgebietsgebiet von dem der Nachbarn BRD, ČSSR und VRP.

Aus der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten entstand mit diesem Datum um 0.00 Uhr eine innerdeutsche Grenze zwischen den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie Niedersachen; Sachsen-Anhalt und Niedersachsen; Thüringen und Niedersachsen, Hessen sowie Bayern; Sachsen und Bayern.

Am 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr, wurde aus der Staatsgrenze BRD/DDR eine inner­deutsche Grenze zwischen den alten und den angeschlossenen Ländern der BRD.

8.

Wer die Staatsgrenze meint, aber „inner-deutsche Grenze“ sagt, ignoriert nicht nur die Staatlichkeit beider deutscher Staaten, sondern fällt zugleich in Zeiten des kalten Krieges zurück und pflegt einen Mythos. Er ignoriert die Tatsache, daß es diese zwei deutschen Staaten überhaupt gab. Am 15. Februar 1973 erklärte Bundeskanzler Willy Brandt im Deutschen Bundestag zum Grundlagenvertrag: „Ob es uns paßt oder nicht, … aus Demarkationslinien wurden Staatsgrenzen.“ Diese Feststellung gilt auch noch nach über 25 Jahren Anschluß der DDR an die BRD.

Die Grenze in den Klassenauseinandersetzungen

Eine Gruppe fortschrittlicher junger Leute hatte mich zu einem Forum nach Westberlin eingeladen. Es war November und das Wetter trüb und unfreundlich.

Auf dem Weg zur Veranstaltung fuhr mich ein junger Mann, uns durchaus nicht feindlich gesinnt, an der Grenze entlang.

Und er sah mich an und sagte: „Das hier hat es in Deutschland noch nie gegeben.“

Er sah dann auf die Grenzbefestigungen, auf die Mauer, wie sie drüben sagen.

Ich konnte mir vorstellen, was er dachte, obwohl er uns nicht feindlich gesinnt war. Die Existenz der Grenze störte ihn. Ich sagte: „Das stimmt. Das hat es in Deutsch­land noch nie gegeben.“ Und ich sah ihn an und merkte die Verwunderung in seinem Gesicht. Ich fügte hinzu: „So sichtbar, eindeutig war die Grenze in den Klassenauseinandersetzungen in Deutschland noch nie. Das ist ein großes Plus.“

Günter Görlich