Faschisten im Europaparlament
Nur Monate nach dem im November 1989 durch die Außenminister der Staaten des Europarates gefaßten Beschluß, Kontakt zur DDR aufzunehmen, stattete dessen Generalsekretärin Catherine Lalumière dem bereits auf verlorenem Posten stehenden zweiten deutschen Staat einen kurzen Besuch ab. Die Visite fand zu einer Zeit statt, in der bekanntgeworden war, daß Frankreichs Präsident François Mitterrand, die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der italienische Außenminister Giulio Andreotti angesichts der sich abzeichnenden Vereinnahmung der DDR durch die BRD ernste Bedenken gegen das damit potentiell verbundene Wiedererstehen Großdeutschlands geäußert hatten.
Damals noch Leiter der Sektion Kapitalistische Länder in der außenpolitischen Redaktion des alten ND, wurde ich mit der Berichterstattung über die Begegnung des letzten authentischen DDR-Regierungschefs mit Madame Lalumière beauftragt. Hans Modrow, später selbst Europaabgeordneter der PDS, begleitete die Politikerin nach Cecilienhof, der Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens. Dort ergab es sich, daß ich von der Generalsekretärin des Europarats nach Strasbourg eingeladen wurde. Mir sollte Gelegenheit gegeben werden, mich mit der Arbeitsweise hier angesiedelter Institutionen – vor allem des Europaparlaments – vertraut zu machen. Mandatsträger unterschiedlicher politischer Richtungen seien zu Gesprächen mit einem Journalisten aus der DDR bereit.
Ohne auch nur im geringsten ahnen zu können, daß ich 2014 selbst einmal auf der Liste der DKP für das Europaparlament kandidieren würde, hatte ich in Strasbourg eine Reihe sehr aufschlußreicher Begegnungen. Am meisten beeindruckte mich die Ex-Präsidentin des Europaparlaments und mehrmalige französische Ministerin Simone Veil. Als ich die Résistance-Kämpferin, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, um ihre Meinung zur Bonner Strategie der „deutschen Wiedervereinigung“ bat, bestand deren Antwort aus drei Worten: „Horreur, monsieur, horreur!“ („Horror, Monsieur, Horror!“)
An diese Worte erinnerte mich ein Vorgang, der sich im Juni 2015 an gleicher Stelle zutrug: die Formierung einer faschistischen Fraktion im Europaparlament. Die Gruppierung wird von der bereits ihren Einzug in den Pariser Elysee-Palast anvisierenden Marine Le Pen, Vorsitzende des Auschwitz leugnenden rechtsradikalen französischen Zusammenschlusses Front National, und Geert Wilders – Hollands Ausländerhasser Nr. 1 – angeführt. Schon seit mehreren Wahlperioden sah man in Strasbourg Abgeordnete einer ganzen Reihe faschistischer und faschistoider Parteien aus Ungarn, Polen, Österreich, Griechenland, Finnland, Dänemark und weiteren Staaten, zu denen sich im Mai 2014 eine starke Gruppe prononciert Rechter von der die Tories bei den Europawahlen weit in den Schatten stellenden britischen UKIP gesellte. Graduelle Unterschiede und interne Differenzen erschweren es bis heute, alle Mandatsträger aus Formationen dieser Grundorientierung unter einen Hut zu bringen.
In Gaucks und Merkels neuem Großdeutschland, das die mutigen und stolzen Griechen am Nasenring vorzuführen bestrebt ist, begnügen sich solche Kräfte schon längst nicht mehr mit dem „rechten Rand“. Sie haben sich auch in Zentren der politischen Willensbildung wie der Regierungspartei CSU etabliert. Die Vorgänge auf dem Essener Parteitag der Allianz für Deutschland (AfD), der mit einer eklatanten Niederlage des „rechtskonservativ-wirtschaftsliberalen“ Flügels um Henkel und Lucke sowie dem Triumph der Pegida-Anhängerschaft endete, widerspiegelten die Neuformierung des teils noch getarnt, teils bereits unmaskiert agierenden neuen deutschen Faschismus.
Angesichts dieser wie ein Damoklesschwert über uns schwebenden Gefahr muß jede Bagatellisierung des Geschehens entschieden zurückgewiesen werden. Das betrifft nicht zuletzt die Sprache. Im Gleichklang bedienen sich die tonangebenden Medien und entsprechende politische Kräfte, aber auch nur deren Wortschöpfungen aufgreifende Blätter und Parteien anderen Zuschnitts des Begriffs „Rechtspopulismus“. Dabei handelt es sich um Irreführung pur. Populisten sind Personen oder Gruppierungen, die dem „Volk“ – in der Regel aus demagogischen Beweggründen – nach dem Munde reden. Auch die Hinzufügung des Wortes rechts sorgt hier nicht für Klarheit. Das gleichgeschaltete Gerede vom „Rechtspopulismus“ verschleiert nur das Wesen der Dinge: die Aushöhlung und Unterwanderung der bürgerlichen Demokratie mit dem Ziel ihrer Zerstörung.
Ideologische Nebelwerfer dieser Art waren übrigens bereits in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Einsatz: Um Hunderttausende deutsche Proletarier in die Totschlägerbanden der SA zu locken, tarnte sich Hitlers NSDAP mit einem „rechtspopulistischen“ Namen: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.
„Avante!“, die Wochenzeitung der portugiesischen Kommunisten, kommentierte die in Teilen Europas entstandene bedrohliche Situation mit den Worten: „Einmal mehr in der Geschichte erleben wir die Schaffung einer politischen Reserve als Antwort der herrschenden Klassen, die ihr Regiment in Zeiten der Krise durch Terror sichern wollen. Höhepunkt des Rechtsrucks im Europaparlament ist die Favorisierung der durch einen Putsch ans Ruder gekommenen rechtsextremen Kräfte der Ukraine durch die Mehrheit der Abgeordneten.“
Angesichts des dargestellten Geschehens sollten wir in der Benennung der Akteure und ihrer Ziele nicht zögerlich sein. Zur Abwehr der faschistischen Attacke müssen auch die Mittel der Sprache als Waffe eingesetzt werden. Jede verbale Verharmlosung einer Gefahr schmälert die Kampfbereitschaft jener, welche sich ihr entgegenzustellen bereit sind.
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