Faule Früchte aus dem
neoliberalen Treibhaus
„Aufstand der Massen?“ lautet der Titel einer lesenswerten Schrift der marxistischen Publizisten Peter Rath-Sankhakorn und Werner Seppmann aus dem pad-Verlag Bergkamen, erschienen in dessen Schriftenreihe „Forum Gesellschaft & Politik e. V.“ Wie im gleichnamigen „Kultbuch“ von Ortega y Gasset aus dem Jahre 1929 (dort ohne Fragezeichen) geht es um einen philosophischen und soziologischen Essay zum Protestverhalten der Menschen in Krisenzeiten des Kapitalismus. Gassets Ansatz war allerdings ein elitärer, aristokratischer Ansatz. Er war ungehalten darüber, daß der „Massenmensch“ sich nicht mehr gehorsam zur Obrigkeit verhält. Rath-Sankhakorn und Seppmann behandeln dagegen das Phänomen einer Politisierung der Massen von rechts als Verwesungsprodukt der etablierten Politik, als Folge eines Krisenkapitalismus, der viele Menschen verunsichert, aber auch als Manöver, das den wahren Charakter der Gesellschaft verschleiert.
Im Mittelpunkt der Schrift steht die Analyse der Hintergründe und der Motivationsbasis der neu entstandenen rechtspopulistischen Bewegungen und Stimmungen aus sozial Verunsicherten und Wutbürgern, gekennzeichnet nicht zuletzt durch erstaunliche Erfolge der Sammlungspartei AfD. Die sozialdarwinistische Agendapolitik „war das neoliberale Treibhaus, in dem der Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft befördert wurde“. In der Gesellschaft vorhandene „rechtspopulistische Mentalitäten“ wurden „verstärkt und kanalisiert“. Vorausgegangen war eine „Inkubationszeit zur Profilierung rechter Einstellungen“. Berechtigte Kritik werde umgelenkt – in Richtung von Sündenböcken, aber auch von „abstrakten Größen“ wie eines herrschenden „politischen Kartells“.
Die Autoren verweisen auf die „alltagspraktische Überzeugungskraft rechter Schablonen“ und schätzen ein, daß es keine „geschlossene rechtsextremistische Theorie“ gibt, hingegen rechte Schablonen, rechtsextremistische Weltanschauungselemente und rechtspopulistische Signalworte: „Die realen Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung werden in ein ideologisch konformes Erklärungsschema transferiert.“ Sie sehen einen Zusammenhang zwischen dieser Überzeugungskraft diffuser Identifikationsmuster und dem konterrevolutionären Charakter unserer Epoche, zu einer Situation, da es an linkem Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge fehle. Nicht übersehen werden dürfe, so die Autoren, daß zivilisatorischer Verfall (wie der rechtsextremistische Terror gegen Flüchtlingsheime) auf diese Bewußtseinsprozesse einwirke. Es erfolge einerseits eine psychische Stabilisierung des Rechtspopulismus durch Haß. Aus rechtspopulistischen Einstellungen erwachsen andererseits Handlungs- und Aggressionsbedürfnisse.
Wie die Ablehnung jeglicher Vermögens- und Erbschaftssteuern zeige, verfolge die AfD eine neoliberale Politik. Dennoch, so schreiben die Autoren, meinen nicht wenige verunsicherte Menschen, diese Partei würde „ihre Interessen“ vertreten. Sie verweisen auf die Umweltfrage und das Thema Leiharbeit, wo die AfD sich konkret als „Interessenvertreter der einfachen Leute“ zu profilieren sucht. Das aber war offensichtlich nur der Anfang. Mittlerweile hat der Wahlparteitag der AfD mit der Verabschiedung zahlreicher sozialer Forderungen (wie der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I) vor Augen geführt, daß der Rechtspopulismus ganz systematisch den Linken in der sozialen Frage das Wasser abgraben will.
Die Autoren verstehen den Rechtspopulismus als „Ausdruck einer konkurrenzgeprägten Gesellschaftspraxis“. Er sei keine vorübergehende Episode. Er habe faschistische Akzente, ohne faschistisch zu sein. Er habe aber das Potential, bei „einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Krisentendenzen und nachhaltigen Legitimationserosionen“ bei der Herausbildung eines neuen Faschismus zur Verfügung zu stehen.
Ein bloß argumentierender Antifaschismus als Gegenstrategie sei wichtig. Die Vermittlung von kritischem Wissen sei dabei als ein „voraussetzungsvoller Prozeß“ zu begreifen. Aber all das habe nur eine begrenzte Wirkung. Die Linken stünden in erster Linie vor der Aufgabe, „für eine soziale Bewegung“ zu mobilisieren, „die mehr als nur aufklärend auf die Menschen wirkt“.
Peter Rath-Sankhakorn / Werner Seppmann:
Aufstand der Massen?
Rechtspopulistische Mobilisierung
und linke Gegenstrategien
pad-Verlag, Bergkamen 2017, 72 Seiten
5,00 €
Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen
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