RotFuchs 205 – Februar 2015

USA: Neue Qualität des Widerstandes
gegen Rassen- und Klassenterror

Ferguson ist ein Fanal

RotFuchs-Redaktion

Als US-Präsident Harry S. Truman 1950 den Korea-Krieg auslöste, ersuchte er den Kongreß der Vereinigten Staaten um dessen Zustimmung zu einer „Polizeiaktion“. Sie kostete Millionen Menschen das Leben.

Dieser Vorgang wiederholte sich – in völlig anderer Dimension – im Sommer und Herbst 2014 auf der innenpolitischen Ebene: 100 Tage nach der Ermordung des 18jährigen Afro-Amerikaners Mike Brown, der am 9. August mit erhobenen Händen und im Beisein zahlreicher Augenzeugen von dem weißen Polizisten Darren Wilson aus nächster Distanz mit einer automatischen Waffe zweimal in den Kopf und viermal in den Arm geschossen worden war, begann in den USA eine gigantische Operation. An ihr nahmen Tausende Angehörige der mit Armeewaffen ausgerüsteten Nationalgarde sowie Sondereinheiten der Polizei teil. Sie kamen in 38 US-Bundesstaaten zum Einsatz. Der ihnen erteilte Befehl lautete, den Widerstand der schwarzen Bevölkerung und breiter Sektoren sie unterstützender Antirassisten, die zu 150 Manifestationen gegen den Terror aufmarschierten, niederzuschlagen und die „gottgewollte“ Ordnung wiederherzustellen. In dieser Situation war den Machthabern jedes Mittel recht, Ferguson – die 21 000 Einwohner zählende und im US-Bundesstaat Missouri gelegene Vorstadt von St. Louis – fest im Griff zu behalten. Die Viertel der überwiegend schwarzen Bevölkerung waren Tag und Nacht in Pfefferspray-Schwaden gehüllt.

Roel Verrycken, Korrespondent des belgischen „Standaard“, traf zur Ausrüstung der US-Ordnungshüter die Feststellung: „Nur das Wort ‚Polizei‘ unterscheidet sie von Soldaten.“

Das rabiate Vorgehen der Roll- und Räumkommandos wurde von einer alle Dimensionen sprengenden Haßkampagne der Medien gegen afro-amerikanische Bürger des von einem schwarzen Präsidenten regierten Landes begleitet. Die sich gegen den Rassenterror der Herrschenden zur Wehr setzenden Demonstranten verunglimpfte man als „wilde Tiere“, während man ihre Kultur in rüdester Weise kriminalisierte. Nach Feststellungen der „New York Times“ wurden der Polizei-Sonderformation „SWAT“ seit 2006 insgesamt 435 gepanzerte Fahrzeuge, 533 Flugzeuge und Hubschrauber sowie 93 763 Maschinengewehre übergeben. Zwischen 1980 und 2000 erhöhte sich die Zahl ihrer vorwiegend gegen Schwarze gerichteten Einsätze nach Ermittlungen der Universität Kentucky um 1400 Prozent.

Bedeutende Sektoren der weißen Bevölkerung erliegen einmal mehr der rassistischen Gehirnwäsche und zeigen sich außerstande, das Leid ihrer schwarzen Landsleute auch nur annähernd nachempfinden zu können.

„Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist untrennbar mit dem Rassismus verbunden“, schrieb das portugiesische PCP-Organ „Avante!“ zu den Ereignissen in Ferguson. „Um das Maß der Empörung der Afro-Amerikaner, die sich jetzt in gewaltigen Aktionen Bahn bricht, begreifen zu können, muß man um die tiefen und niemals verheilenden Wunden wissen, die ihnen im Verlauf der Jahrhunderte geschlagen wurden. Wunden, die ihnen ein Wirtschaftssystem zufügte, dessen Strukturen seit eh und je aufs engste mit der institutionalisierten Unterdrückung der Schwarzen verbunden sind.“

Vor weniger als 100 Jahren hatte sich in St. Louis – nur einige Kilometer von Ferguson entfernt – eines der schrecklichsten Pogrome in der Geschichte der Vereinigten Staaten zugetragen. Dem Lynchterror durch Steinigung waren mehr als 150 Schwarze, darunter 39 Kinder, zum Opfer gefallen. Etwa die Hälfte der Ermordeten ging auf das Konto tatenlos verharrender Polizisten. Und – wie damals – stellen auch heute weiße Beamte mit dem Sheriffstern die weitaus brutalste Formation der Ku-Klux-Klan-Nachfolger dar. Sie bilden das Hauptinstrument bei der faktischen Außerkraftsetzung aller formell auf Gleichstellung zielenden Gesetze, mit denen die Vereinigten Staaten den Anschein einer wenigstens Integration vorspiegelnden Politik vermitteln wollen.

Doch Ferguson steht längst nicht mehr nur für Polizeigewalt und rassistische Unterdrückung. Es symbolisiert inzwischen zugleich auch Auflehnung und Widerstandsbereitschaft. Der beim Beginn des Konflikts dominierende Ruf ihre Waffenlosigkeit zur Schau stellender schwarzer Demonstranten „Hebt die Hände!“ ist inzwischen verhallt. Die zum Himmel gereckten offenen Hände haben sich geschlossen. Auf späteren Demonstrationen vernahm man bereits die Forderung nach einem Mindesteinkommen für alle und freier gewerkschaftlicher Betätigung. Anklänge von Klassenbewußtsein waren hier und dort zu vernehmen.

Ferguson distanzierte sich deutlich von gewissen systemintegrierten schwarzen Politikern der Demokratischen Partei Obamas. Statt dessen wurde mancherorts mit dem Aufbau unabhängiger Strukturen begonnen, deren Forderungen deutlich sozialen und ökonomischen Charakter tragen.

Ohne Zweifel hat die vorhersehbare Entscheidung einer Geschworenen-Grand-Jury, den uniformierten Mörder Mike Browns nicht anzuklagen, zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Doch der Widerstand des schwarzen Amerika zielt nicht in erster Linie auf die Verurteilung eines uniformierten Einzeltäters aus Ferguson, wo nur drei von 53 Polizeibeamten Afro-Amerikaner sind und 28 % der Bevölkerung unter der Armutsschwelle vegetieren. Dort findet – auch wenn das den meisten noch nicht bewußt ist – eine Klassenschlacht gegen das kapitalistische System der USA und dessen „Eliten“ statt.

RF, gestützt auf „People’s World“, New York, „Avante!“, Lissabon, und „Solidaire“, Brüssel