Max von der Grün über den Arbeiter-Alltag im Westen
und eine Nazi-Provokation
„Flächenbrand“ im Ruhrgebiet
In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mischte Max von der Grün mit seinem Roman „Irrlicht und Feuer“ die etablierte bürgerliche Literaturszene auf. Der schreibende Bergarbeiter hatte darin die realen Lebensbedingungen der Kumpel ausgeleuchtet – und bekam es prompt mit wütenden Protesten und seiner fristlosen Entlassung aus der Zeche zu tun. Zugleich begründete dieses Buch seinen internationalen Ruhm als Arbeiterschriftsteller. Auch die dramatische Handlung seines Romans „Flächenbrand“ aus dem Jahre 1979 spielt im Arbeitermilieu des Stahl- und Kohlereviers. Höchste Aktualität gewinnt „Flächenbrand“ jedoch vor allem durch die Dramatik um eine sich bewaffnende neofaschistische Organisation. Der Ich-Erzähler und Romanheld Lothar und sein Freund Frank decken die Machenschaften auf. Aber sie verlieren dabei: Der eine das Vertrauen in den Rechtsstaat und beinahe seine Tochter, der andere den Kampf um den Erhalt der Nordsiedlung und seine Funktion als SPD-Ortsvereinsvorsitzender.
Lothar Steingruber denkt nach, grübelt über seine Entlassung bei einem Bauunternehmen sieben Monate zuvor und über seinen Rausschmiß aus der SPD. Die zuständigen Parteiführer hatten ihm sein Zusammengehen mit Kommunisten bei einer gewerkschaftlichen Protestaktion verübelt.
An Lothars Wohnviertel, in dem Facharbeiter mit ihren Familien im bescheidenen Eigenheim leben und wo auch er sein Häuschen gebaut hat, grenzt die Nordsiedlung. Sie soll abgerissen werden. Deren Bewohner sind sozial schlechter gestellt, doch auch sie hängen an ihrem Zuhause. Generationen von Arbeiterfamilien waren dort verwurzelt. Frank stellt sich kraft seiner örtlichen SPD-Führungsposition an die Spitze der Abrißgegner. Doch der Bauunternehmer Bahlke verfügt über weitreichende Verbindungen bis hinein in die Reihen der SPD-Stadtverordneten – und nutzt sie. Denn das hochprofitable Geschäft auf dem frei werdenden Baugelände will sich Bahlke keinesfalls entgehen lassen.
Vor diesem Handlungshintergrund entwickelt von der Grün einen zweiten Erzählstrang: Lothar Steingruber, der arbeitslose Maurer, hat bei der Suche nach einer qualifikationsgerechten Stelle resigniert. Er nimmt zunächst Bahlkes zweifelhafte Job-Offerte an: Kraftfahrer-Dienstleistungen, über die er nicht sprechen und nichts dokumentieren darf. Als er jedoch entdeckt, daß die Kisten, die er transportiert, illegale Waffenlieferungen sind, kündigt er bei Bahlke und übernimmt eine Stelle als Totengräber auf dem städtischen Friedhof. Sorgen macht ihm sein einziges Kind, die begabte Abiturientin Claudia. Nach Ablehnung an der Musikhochschule verschwindet das Mädchen angeblich ins Ausland. Doch Lothars Frau Helen, Claudias Mutter, ahnt, daß etwas daran nicht stimmt. Helen ist es auch, die als beamtete Bibliothekarin in der Familie Steingruber für wirtschaftliche Sicherheit sorgt – und außerdem für ein waches Bildungsinteresse ihres Mannes durch solide Belesenheit. Lothar leidet also weder unter Hunger noch an mangelndem Wohnraum oder am Fehlen geistiger Nahrung. Dennoch fühlt er sich zunehmend bedrückt: Arbeitslosigkeit ist ein hartes Los.
Eindringlich schildert von der Grün die Gefühle eines Menschen, den die scheinbar anonyme Macht des Arbeitsmarktes unter die Überflüssigen aussondert.
Lothars neuer Job an den letzten Ruhestätten der Verstorbenen bringt ihm Beschaulichkeit und melancholischen Rückzug. Bis er eines Friedhofsarbeitstages im Inneren einer steinernen Familiengruft ein Waffenlager entdeckt. Er zieht Schlüsse aus verdächtigen Beobachtungen und informiert seinen älteren Kollegen Bühler, später auch den jungen Pfarrer, seinen Freund Frank und andere Mitstreiter. Gemeinsam planen sie eine gewagte, spektakuläre Aktion. Ein aufsehenerregender Demonstrationszug durch die Dortmunder Innenstadt zwingt die Behörden zum Handeln und die Polizei zur Festnahme der führenden Terrorzellen-Mitglieder.
Am Ende führt von der Grün die Erzähllinien zusammen. Der dubiose, krimineller Umtriebe überführte Neu- und Altnazi-„Verein zur moralischen Erneuerung Deutschlands“ brauchte die Waffen, die Bahlke beschaffte. Mit diesem Wissen will Frank den Unternehmer unter Druck setzen. Er soll die Finger von der Nordsiedlung lassen. Doch der Deal mißlingt, weil Bahlke den Trumpf der von ihm korrumpierten SPD- Stadtverordneten ausspielt.
So endet das Buch nicht mit einem Sieg über die neu erstarkende rechte Szene, aus deren Fängen Lothars Tochter Claudia gerade noch mit knapper Not entkommen ist, sondern mit einem Bild von Zerstörung. Wie Panzer im Krieg brechen die Räumfahrzeuge im frühen Morgengrauen über die traditionsreiche Nordsiedlung herein: „… sie knickten Gartenzäune nieder wie Streichhölzer, entwurzelten Obstbäume, es dröhnte, knirschte und splitterte vor uns. Und die Häuser stürzten unter den schwingenden Eisenkugeln zusammen. (…) Der Pfarrer hatte recht: Das war Krieg. (…) Das war generalstabsmäßig geplant. Und es ist ihnen auch gelungen, diese Aktion bis zur letzten Sekunde geheimzuhalten. (…) Warum? (…) Die Nordbau-AG hat wahrscheinlich befürchtet, daß im letzten Moment von irgendeiner Seite Widerstand kommen könnte.“
Widerstand leisten bildet den Kern in Max von der Grüns Botschaft. Widerstand ist nötig, ob gegen Naziterrorzellen und deren Netzwerker in den Behörden oder in den etablierten, von Lobbyisten durchdrungenen Verwaltungen und Gremien der „marktkonformen Demokratie“. Nicht allein deshalb ist der Roman über die Dortmunder Lebenswirklichkeit der 70er Jahre eine Empfehlung. Wie die Entwicklung der rechten Szene gerade dort zeigt, hatte Max von der Grün mit „Flächenbrand“ schon vor über 35 Jahren zu Recht eindringlich gewarnt.
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