Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene RotFüchse
„Flaschenpost“ aus Schweden
Bücher schreiben ist, als würde man eine Flaschenpost auswerfen. Ufer und Empfänger gibt es viele. Man hofft auf freundliche Ufer und sensible Empfänger, nahe oder ferne. Eines Tages war eine „Flaschenpost“ von mir in Schweden angekommen. Mein Kinderbuch „Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart“, erschienen im Kinderbuchverlag Berlin, war vom Norstedts Förlag Stockholm 1987 auf Schwedisch herausgebracht worden. Fremdartig hieß es jetzt „Ängeln med guldmustascherna“. Das Buch lag vor mir wie eine Antwort aus nördlicher Ferne, die nun bei mir in Potsdam (DDR) gelandet war.
1988 habe ich das Buch in schwedischer Sprache mit Widmung an die von mir sehr verehrte Astrid Lindgren und dem Vermerk nach Stockholm geschickt, ich erwartete keine Antwort. Es solle nur ein Geschenk aus Verehrung sein. Sie sei für mich in ihrer Art, Kinder so ernst zu nehmen, ein großes Vorbild. Zu meiner Freude traf der nebenstehende Brief bei mir ein.
Er machte mich sehr glücklich, und ich fühlte auf wunderbare Weise bestätigt, was den Sinn einer Flaschenpost zwischen Ländern, die Kultur und Kunst miteinander tauschen, ausmacht. Dann kam im nächsten Jahr eine Einladung nach Schweden zu einem Sprachkongreß skandinavischer Länder, der in den ersten Oktobertagen 1989 in Stockholm stattfand.
Ich sollte dort vor Deutschlehrern und Germanisten über DDR-Kinderliteratur sprechen und aus meinem Buch „Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart“ lesen. Auch in deutschsprachigen Schulen und im Stockholmer DDR-Kulturzentrum waren Lesungen geplant. Ich sagte gerne zu und begab mich per Zug und Fähre über Saßnitz und Malmö nach Stockholm.
Die Lesungen und Gespräche mit schwedischem, dänischem und norwegischem Publikum fanden in herzlicher, von Interesse geprägter und achtungsvoller Atmosphäre statt. Ich konnte davon berichten, daß unser Kinderbuchverlag viele skandinavische Titel im Programm hatte, allen voran Astrid Lindgren mit „Pippi Langstrumpf“, „Karlsson auf dem Dach,“ „Mio, mein Mio“ und „Ronja Räubertochter“ in sehr hohen Auflagen, die immer ganz schnell vergriffen waren.
Dr. Horst Hein und seine Frau Petra vom DDR-Kulturzentrum betreuten mich und führten mich auch ins schwedische Kinderbuchinstitut (SBI). Die Direktorin Dr. Sonja Svensson zeigte mir die umfangreichen Sammlungen einschlägiger Bücher aus aller Welt, darunter auch meine literarischen Kinder „Moritz“, „Ein Schneemann für Afrika“ und „Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart“ in deutschen wie schwedischen Ausgaben. Dann aber kam die Überraschung: Sonja Svensson und Horst Hein ließen mich wissen, ich sei am Nachmittag des nächsten Tages zu Astrid Lindgren in deren Wohnung eingeladen. Ich rief daraufhin die Cheflektorin unseres Verlages, Dr. Katrin Pieper, in Berlin an und fragte sie, ob ich Astrid Lindgren in die DDR einladen sollte. Sie meinte, es wäre wunderbar, wenn mir das gelänge. In Begleitung von Sonja und Horst stand ich am nächsten Nachmittag in der Dalagatan Nr. 46 vor der Tür. Ich klingelte, und da sahen wir auch schon Astrid Lindgren leibhaftig und lächelnd vor uns. Mir war, als sei ich in einen Traum geraten. Die nächsten Stunden verliefen locker und heiter. Auch das in Schweden übliche Du in der Unterhaltung fiel mir bald leicht, und ich verlor meine Scheu vor dieser wunderbaren, weltberühmten Frau. Sie war so schlicht, so herzenswarm und erzählte in perfektem Deutsch, als junge Frau habe sie vor dem Krieg in Dresdens Semperoper den „Freischütz“ gesehen. Sie wußte um die totale Zerstörung des Bauwerks. So konnte ich ihr berichten, daß man die Semperoper inzwischen wieder aufgebaut habe. Sie könne das Haus besuchen, auch der „Freischütz“ stehe wie einst auf dem Spielplan.
Ich überbrachte Astrid Lindgren die Einladung nach Berlin und erzählte ihr, wie sehr die Kinder in der DDR ihre Bücher lieben. Sie bedankte sich für diese frohe Nachricht und berichtete, daß sie noch ab und zu mit Lesungen unterwegs sei, auch per Flugzeug. Berlin wäre ja nicht so weit. Ja, vielleicht werde sie im Frühling des nächsten Jahres den Plan verwirklichen und kommen.
Diese Zeit der offenen Herzlichkeit war eine Sternstunde meines Lebens. Wir sprachen über die Bedrohtheit der Welt, über unsere Verantwortung für die Kinder und daß sie es sind, die immer aufs neue die Hoffnung auf eine bessere Welt verkörpern. Auch darüber, daß wir mit unseren Büchern vielleicht einen Beitrag leisten können.
Obwohl Astrid Lindgren damals schon 80 Jahre zählte, war sie über das Geschehen rund um den Erdball voll informiert. Ich erinnere mich an ihr Berührtsein von den damaligen Ereignissen in der DDR. In Ungarn hatte man die Grenzen geöffnet, und Tausende flüchteten über Österreich in den Westen. Sie meinte, es sei doch schlimm, daß manche Krankenhäuser deshalb in Not gerieten, weil Ärzte und Schwestern weggingen und ganze Wirtschaftzweige zusammenbrächen.
Als Abschiedsgeschenk erhielt ich eines ihrer Bücher mit einer schönen Widmung. Wir umarmten einander, wobei ich die leise Hoffnung hegte, sie im nächsten Frühling in Berlin wiederzusehen.
Als ich dann aber am 7. Oktober 1989 – dem 40. Jahrestag der DDR – aus Schweden heimkam, spürte man auf den Straßen, in den Medien und im Gesichtsausdruck der Menschen bereits, daß etwas Entscheidendes geschehen würde. Und im folgenden Jahr gab es dann mein kleines, großes Land nicht mehr.
In der Erinnerung bleibt mir die Wertschätzung und von Herzen kommende Gastfreundschaft, die mir damals als dessen Sendbotin in Schweden zuteil wurde.
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