RotFuchs 197 – Juni 2014

Australien peinigt Bootsflüchtlinge
in KZ-ähnlichen Internierungslagern

Folterhöllen vor der Küste

RotFuchs-Redaktion

Brutale Gewaltakte in einem Lager für Refugees auf der zu Australien gehörenden Insel Manus haben ein grelles Schlaglicht auf die „Einwanderungspolitik“ Canberras geworfen. Der 23jährige iranische Kurde Reza Berati, der an einer Hochschule auf dem Fünften Kontinent seine Architekturstudien fortsetzen wollte, wurde unter mysteriösen Umständen ermordet. Er war dorthin verschleppt worden, nachdem die Küstenwache das Boot, unter dessen Passagieren er sich befand, aufgebracht hatte. Kurz nach dem Zwischenfall, bei dem mehr als 70 weitere Internierte verletzt worden waren, verkündete Scott Morrison, Einwanderungsminister der rechtsgerichteten Regierung des Liberalen Toni Abbott, zunächst abwiegelnd: Berati habe sich durch einen Fluchtversuch aus dem Lager selbst in Gefahr begeben. Doch mehrere Zeugen, darunter die beherzte Dolmetscherin Avita Bokal, bekundeten, daß der junge Mann beim Betreten des Computer-Raumes hinausgeprügelt, brutal mißhandelt und weggeschleift worden sei. Diese Tatsachen konnte dann Abbotts Minister im Zuge einer „Nachprüfung“ des Geschehens nicht mehr in Abrede stellen. Rod St. George, der in dem früher nur für Männer eingerichteten Internierungslager auf Manus für Gesundheit und Sicherheit verantwortlich gewesen war, sagte aus, in dem maßlos überfüllten Camp seien zu seiner Zeit sexuelle Übergriffe und physische Folter an der Tagesordnung gewesen.

Das australische Einwanderungsamt wies solche Angaben des Beamten zwar zurück, gestand aber ein, daß sich dort und in anderen Lagern vor der Küste Selbstverstümmelungen, das Zunähen des Mundes und fatal endende Fluchten aufs offene Meer des öfteren zugetragen hatten.

Derzeit befinden sich über 4300 Flüchtlinge wegen versuchten „illegalen Eindringens“ in den einstmals selbst von „Boat People“ mehrheitlich begründeten Staat des britischen Commonwealth in Camps auf Manus, Nauru und Papua Neu-Guinea.

Obwohl diese Männer, Frauen und Kinder (!) kein Verbrechen gegen Australien begangen haben, werden viele von ihnen schon seit Jahren unter unmenschlichen Bedingungen gefangengehalten.

Nach den jüngsten Vorfällen erklärte Premierminister Abbott zynisch, die Internierten könnten ja auf eigene Kosten in die Hauptstadt Canberra fliegen, um vor dem Oberhaus des Parlaments über das Geschehen auszusagen. Demgegenüber verlangte Sarah Hansen-Young, Senatorin der australischen Grünen, eine Überprüfung der Zustände an Ort und Stelle. Diese sollte nicht nur auf Manus, sondern auch in allen anderen Flüchtlingslagern erfolgen.

Die couragierte Melbourner Monatsschrift „the Beacon“ (Das Leuchtfeuer) – es handelt sich um das dem RF regelmäßig zugehende Blatt der unitarischen Kirchgemeinde – schlug sich einmal mehr für eine gute Sache in die Bresche. Unter der Schlagzeile „Verzicht auf Handeln bedeutet Komplizenschaft!“ verlangte dessen Leitartikler, „von jedem anständigen Australier“, die Abbott-Regierung aufzufordern, „das Verfrachten von Menschen in vor der Küste gelegene Konzentrationslager sofort zu beenden. Die Regierung spielt jetzt den Gastgeber für unsere eigenen Guantánamos.“ Mit der Bezeichnung vor Hunger und Gewalt Fliehender als „Illegale“ müsse unverzüglich Schluß gemacht werden, las man im „Beacon“. Australiens aufeinanderfolgende Regierungen der Labour Party wie der Liberalen versuchten der Bevölkerung nicht ohne Erfolg einzureden, ohne Visa an Land gegangene Bootsflüchtlinge seien als „Kriminelle“ zu betrachten.

Das kirchliche Blatt verweist auf den Standpunkt des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), das schon seit langem seine Besorgnis über die anhaltende Zwangsinternierung auf Nauru und Manus zum Ausdruck gebracht habe. Die Fortsetzung dieser Praxis stelle einen Völkerrechtsbruch dar.

Der „Beacon“-Leitartikel schloß mit den Worten: „Es ist an der Zeit, daß jeder Australier die Abbott-Regierung wissen läßt: Nicht in meinem Namen!“

Der unabhängige Journalist und Buchautor Antony Loewenstein konstatierte in der diesem Thema gewidmeten „Beacon“-Ausgabe: „Nach 20 Jahren ständig zunehmender Grausamkeit gegenüber Flüchtlingen ist es an der Zeit einzugestehen, daß wir in eine Sackgasse geraten sind.“ Westliche Führer lebten in der Vorstellung, „daß sie sich gegenüber Machtlosen und Unsichtbaren alles herausnehmen könnten“. Asylsuchende besäßen in ganz besonderem Maße keine Stimme, zumal sie weder durch Reporter noch von Anwälten aufgesucht werden dürften.

Australien nehme für sich in Anspruch, eine Demokratie zu sein, schreibt Loewenstein. Dabei habe es an einer wirklich demokratischen Politik Canberras in bezug auf Asylsuchende nie zuvor so gemangelt wie jetzt. Doch die am Ruder Befindlichen tangiere das nicht. Die australische Regierung fühle sich unbesiegbar, solange sie von Amerikas Sicherheitsdecke geschützt werde.

Nicht minder aufschlußreich ist ein „Beacon“-Beitrag der Koordinatorin Pamela Curr vom Beratungszentrum für die Rechte Asylsuchender. „60 % der Australier wünschen sich härtere und zugleich kargere Bedingungen in den Internierungslagern. Sie haben keinen Grund zur Besorgnis: Die Abbott-Regierung wird sie ihnen liefern“, stellt die erfahrene Flüchtlingsberaterin fest. Die Camps vor der Küste entsprächen Standards der Dritten Welt. Auf Aqua gebe es z. B. sechs Toiletten für 400 bis 500 Menschen. Schwangere Frauen müßten dort oftmals bis zu 90 Minuten in der Schlange stehen, bis sie die absolut unhygienischen Aborte benutzen könnten. Auf der Insel Manus seien die „unerwünscht Einreisenden“ in überhitzten, nach Regenfällen aber sofort unter Wasser stehenden Zelten zusammengepfercht.

Besonders kritikwürdig sei Canberras Krieg gegen Kinder. Wenn sie auf australischem Boden zur Welt kämen, werde den Müttern schon kurz nach der Entbindung mitgeteilt, ihr Nachwuchs besitze natürlich keinerlei Anspruch auf Staatsbürgerrechte und werde als ebenso illegal wie seine auf dem Fünften Kontinent gestrandeten Eltern betrachtet.

RF, gestützt auf „the Beacon“, Melbourne, und „The Guardian“, Sydney