Wieland Herzfelde:
John Heartfield – Leben und Werk
Fotografie plus Dynamit
Als „Fotografie plus Dynamit“ bezeichnete Adolf Behne die Fotomontagen John Heartfields. Die Entwicklung der Fotogehört zu den großen Leistungen der proletarisch-revolutionären Kunst in den zwanziger Jahren. Heartfields Arbeiten haben noch heute eine besondere Popularität, nicht nur als künstlerische Dokumente der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik. Revolutionäre Künstler, auch in Westberlin, haben die Tradition der Fotomontage aufgenommen. Allein 1969 und 1970 fanden in der DDR, in der BRD, in England, in Dänemark, in Bulgarien und in Westberlin 19 Heartfield-Ausstellungen statt.
In dieser Situation ist es verdienstvoll, daß der VEB Verlag der Kunst Dresden jetzt (1971) in einer zweiten Auflage Wieland Herzfeldes Buch über Leben und Werk seines Bruders John Heartfield von 1962 herausgebracht hat. Für diese Neuauflage hat Wieland Herzfelde sein Buch überarbeitet und erweitert. Ausgestattet ist der Band mit 240 großformatigen Abbildungen von typographischen Arbeiten, Buchumschlägen, Bühnenausstattungen, Theaterplakaten und Fotomontagen zur Zeitgeschichte des 1891 geborenen und 1968 verstorbenen John Heartfield.
Heartfields Werk erwuchs aus seiner engen Verbundenheit mit der Arbeiterbewegung, mit der einzigen konsequent revolutionären Partei des organisierten Proletariats, der KPD, der beide Brüder „sogleich nach ihrer Gründung, in der Silvesternacht 1918“ (W. Herzfelde), beitraten.
Neben Peter Paul Eickmeier, Otto Dix, Rudolf Schlichter und George Grosz arbeitete Heartfield als Zeichner für die ab 1923 von der KPD herausgegebene satirische Wochenzeitschrift „Der Knüppel“, in der aber auch einige Fotomontagen veröffentlicht wurden, etwa zu Gedichten von Erich Weinert. Seine berühmten Fotomontagen zur Zeitgeschichte schuf er ab 1927 für die AIZ, die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. Unermüdlich engagierte sich Heartfield in der Agitations- und Propagandaarbeit der Partei. Er machte Wahlplakate und auch das Zeichen des Roten Frontkämpferbundes, die erhobene, geballte Faust. „Wofür immer er sich einsetzte“, schreibt Wieland Herzfelde, „stets war er ein politischer Künstler. Das bedeutete auch aktive Teilnahme an den Kundgebungen, Kampagnen und Kulturveranstaltungen der Partei. Er trat nicht selten als ein Redner auf, der durch seine Leidenschaftlichkeit und Warmherzigkeit ungemein überzeugend wirkte.“
„Es ist schwer“, berichtete DDR-Kulturminister Klaus Gysi als Augenzeuge, „jene Atmosphäre des Vertrautseins, des Dazu-Gehörens wiederzugeben, mit der die Arbeiter auf einer Versammlung der Partei damals ihren Johnny begrüßten, diese Mischung aus tiefem Respekt, aus Anerkennung, wie sie das Proletariat jeder echten schöpferischen Leistung zollt, mit verständnisvoller, schmunzelnder Fürsorge und Anteilnahme und mit Stolz auf ihn.“
Mit besonderer Energie hatte sich John Heartfield eingesetzt für die Organisierung der demokratischen und sozialistischen Künstler. Er hielt dies für „einen eminent wichtigen Faktor unserer politischen Arbeit“. Neben George Grosz und Rudolf Schlichter gehörte John Heartfield zur Leitung der „Roten Gruppe“, der ersten mit der KPD verbundenen Vereinigung revolutionärer Künstler, die im Juni 1924 entstanden war. Von den Künstlern der „Roten Gruppe“, die sich um den „Knüppel“ scharten, wurde in dieser Zeitschrift eine der schlagkräftigsten Formen antiimperialistischer und proletarisch-revolutionärer Kunst weiterentwickelt: die Karikatur.
Was sich durch die „Rote Gruppe“ in Ansätzen herausgebildet hatte, wurde zur Grundlage der Arbeit der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands, kurz Asso genannt: die unmittelbare Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei und die Heranführung der Werktätigen an die Kunstproduktion. Mit der Asso, an deren Gründung im Frühjahr 1928 John Heartfield maßgeblich beteiligt war, entstand die erste planmäßige und organisierte bildnerische Kunstbewegung der deutschen Arbeiterklasse. Die progressiven Tendenzen, die demokratisch orientierten Programme bürgerlicher Kunst erhielten mit der Asso eine reale Grundlage: Sie wurden radikal weitergeführt durch die Entwicklung der Produktion und Konsumtion bildender Kunst zum Bestandteil der allgemeinen Parteitätigkeit des Proletariats. Bis 1933 hatte die Asso in 16 Städten Ortsgruppen aufgebaut, der nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 400 und 800 Mitglieder angehörten.
Die Überlegenheit der proletarisch-revolutionären Kunst erwies sich ganz besonders an der Entwicklung einer völlig neuen Kunstgattung, eben der Fotomontage durch John Heartfield. Als selbständige Kunstgattung ist die Fotomontage aus einer Synthese von Fotografie, Malerei und Graphik entstanden, in die nicht zuletzt auch literarische Momente eingegangen sind wie die Verwendung von Schriftzeichen und kurzen Texten sowohl direkt im Bild oder als Bildunterschrift. Durch die Fotomontage können verschiedene Vorgänge und Ereignisse miteinander verbunden und in ihren Beziehungen zueinander sinnfällig gemacht werden. Über äußerliche Ansichten bestimmter Dinge hinaus wird durch die konkrete Zuordnung in der Fotomontage deren Wesen und innerer Zusammenhang offenbart. Dadurch wirkt die Fotomontage nicht nur in besonderer Weise aufklärend und agitatorisch auf den Betrachter, sondern sie provoziert zugleich auch eine Stellungnahme zum Gegenstand der Montage. Denn wo das Foto durch seine dokumentarische Authentizität jeden Gegner verstummen läßt, zwingt die Fotomontage zur Auseinandersetzung mit der Einordnung eines bestimmten Vorganges in seine gesellschaftlichen Zusammenhänge durch den Fotomonteur.
Aus dieser besonderen Wirkungsweise der Fotomontage ergab sich ihr großer Wert für die proletarisch-revolutionäre Kunst, deren Maßstab ja immer die Anwendbarkeit der Künste im Klassenkampf war. Gerade an der Entwicklung der Fotomontage zeigte sich, wie sehr die revolutionären Künstler die Agitations- und Propagandaarbeit der Kommunistischen Partei voranbringen konnten. Es zeigte sich aber ebenso, wie sehr die Anforderungen der Agitations- und Propagandaarbeit der Partei auf der anderen Seite die Tätigkeit der Künstler befruchteten und wie sich erst aus diesem Zusammenwirken eine neue Kunstgattung hervorbringen ließ.
Wieland Herzfeldes Buch über seinen Bruder, an dessen erster Fassung Heartfield selbst noch mitgearbeitet hatte, gewinnt seinen Wert aus dem Zusammenhang von biographischen Fakten, historischen Details und theoretischen Analysen. Dies, die zahlreichen Abbildungen und die beigefügten Auszüge von Stimmen der verschiedensten Persönlichkeiten über Heartfield erheben das Buch in den Rang eines Standardwerkes über den Fotomonteur, das jeder fortschrittliche Mensch in seinem Bücherschrank haben sollte. Darüber hinaus ist dieses Buch ein Dokument der liebevollen Pflege und Würdigung des Erbes der proletarisch-revolutionären Kunst in der Deutschen Demokratischen Republik.
Den Beitrag entnahmen wir leicht gekürzt der Westberliner Tageszeitung
„Die Wahrheit“ vom 24./25. Juli 1971.
Nachricht 626 von 2043