Gysi und Schorlemmer: Was bleibt von der DDR?
Fragen ohne Antworten
Vor einiger Zeit las ich Gregor Gysis und Friedrich Schorlemmers Buch „Was bleiben wird“. So lautet der Titel der beiden sich philosophierend gegenseitig hochschaukelnden Herren, moderiert von H. D. Schütt. Für mich und meine Familie im weitesten Sinne sowie für Millionen ihrer ehemaligen Bürger ist das Erlebnis DDR mehr als das, was dieses Buch beherrscht. So kann ich wesentliche Aussagen nicht einfach wegstecken. Ich bin mir bewußt, dafür von einigen mit dem heute üblichen Klischee „Betonkopf“ belegt zu werden.
Es verwundert schon, daß bei einer Bilanz der DDR deren weltweit anerkannter Friedenspolitik nicht der gebührende Platz eingeräumt wird. Selbst dem Moderator scheint das kaum aufgefallen zu sein, was mich in diesem Falle nicht verwundert. Die übliche Ausrede „staatlich verordnet“ zieht hier nicht.
Auch das heutige Kriegsgeschrei ist staatlich verordnet und wurde dem Bundesbürger gleich nach dem „Beitritt“ der DDR unter dem Deckmantel „gewachsener Verantwortung“ eingetrichtert. Dabei stört es die Regierenden nicht, daß rund 80 % der Deutschen gegen Kriege sind. Wenn der Sozialismus nicht mehr als die 40 Jahre Frieden in Europa zustande gebracht hätte, wäre allein damit seine Existenz bereits voll gerechtfertigt.
Die DDR war noch kein Jahrzehnt Geschichte, da zerbombte die BRD „in Wahrnehmung ihrer gewachsenen Verantwortung“ im Verbund mit der NATO Jugoslawien: Einige Jahre später verlor sie gemeinsam mit dieser in Afghanistan den ersten Krieg seit Staatsgründung. Weitere Bundeswehreinsätze in Afghanistan, Syrien und Mali lassen neue Niederlagen erahnen. Das US-Kommando Africom leitet von deutschem Boden aus seine Drohnenangriffe. Das „Weißbuch der Bundeswehr“ für 2016 läßt neues Unheil erahnen.
Auch solche historischen Errungenschaften wie die Brechung des Bildungsprivilegs der Reichen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, gleicher Lohn für gleiche Arbeit durch Zerschlagung der Macht der Monopole stoßen in diesem Buch eher auf Spott und Häme.
Der Pastor beschreibt das Spannungsfeld, welches zwischen oben und unten, Glück oder Unglück in dieser Gesellschaft entscheidet. Schorlemmer meint: „Du bist ein armer Hund, aber die Krone der Schöpfung.“ Er glaubt, der Mensch müsse das aushalten und durchleben. Gerade er aber sollte wissen, daß eine Gesellschaft nicht nur aus Starken besteht. Auch Schwache haben ein Recht auf ein Leben in Würde und materieller Absicherung. „Zuckererbsen für jedermann“, forderte Heinrich Heine.
An einer Stelle beschwert sich Schorlemmer darüber, daß ihm einst seine Mitschüler die Kreuzzüge und Hexenverbrennungen vorgehalten hätten. Und wie war das mit der Ausrottung ganzer Völker und den vielen im Namen Gottes geführten Kriegen? Oder den zwei zuvor priesterlich gesegneten und dann über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben?
Schorlemmer meint, die Arbeiterbewegung habe strukturelle Fragen gestellt, das Christentum aber gehe von der Veränderungsbedürftigkeit des einzelnen aus. „Verändere dich und du veränderst die Welt!“ Die Antwort auf die Frage nach der Struktur hat immerhin einen 40jährigen Friedensstaat auf deutschem Boden hervorgebracht. Kaum waren er und Staaten seinesgleichen Geschichte, gab es in Europa wieder Krieg, die politische und ökonomische Erpressung Schwächerer. Und der oberste Feldprediger ist sogar Bundespräsident.
Seit mehr als 2000 Jahren verändern sich die Menschen, wie sie glauben, zum Besseren. Hat sich dadurch die Welt verbessert? Viele wollten das tatsächlich erreichen. Ich kenne nur wenige, die sich so zum Negativen verändert haben wie der Moderator dieses Gesprächs.
Es liegt mir fern, die christliche Religion zu diffamieren. Sie hat der Menschheit Großes gegeben. Aber hat der christliche Glaube in der BRD tatsächlich etwas zum Guten gewendet? Als Kind des Kalten Krieges entstanden, spielt sie diese Rolle noch immer. Die DDR-Bürger kamen aus einem überwiegend von Atheisten geführten Staat in die angeblich von christlicher Verantwortung geleitete BRD. Heißt es nicht in der Präambel des Grundgesetzes: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott …?“
Verantwortung aber wird nach dem „Beitritt“ der DDR zunehmend militärisch definiert. Dafür hat Bundespräsident Gauck – ein Prediger Gottes – bei seinem Antrittsbesuch in der Hamburger Universität der Bundeswehr im Jahr 2012 und auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 maßgeblich die Weichen mit gestellt.
Wo die beiden Interviewten etwas Positives über die DDR aussagen, findet sich fast immer ein „Ja, aber“. Gysi benennt deren aus Sicht der Autoren wenige positive Seiten, so die Stellung der Frauen und die Polikliniken. In „Wendetagen“ sprach er einmal von einer modernen Gesellschaft, in welche die DDR-Bürger mit dem „Beitritt“ gelangten. Sicher kennt er die Worte eines unserer Klassiker, daß die Reife einer Gesellschaft an der Stellung der Frau in dieser zu messen sei. Trotz verordneter Quote in einigen Bereichen liegt man da in der BRD noch meilenweit zurück.
„Ich kann nicht an die Wende denken, ohne das Heute mit in Betracht zu ziehen. … Das Ergebnis ist deprimierend“, sagte die populäre Schauspielerin Walfriede Schmidt.
Was habe ich mir eingetauscht? Die BRD ist ein schönes Land mit überquellendem Wohlstand für einen Teil der Gesellschaft. Sie führt entgegen ihrem Grundgesetz Angriffskriege. Sie ist keine Demokratie im Sinne von Volksherrschaft, sondern eine marktkonforme Diktatur der Bourgeoisie. In der Handhabung der Flüchtlingsfrage offenbart die CDU/CSU/SPD-Regierung ebenso ihre Unfähigkeit wie bei der Beherrschung von Rassismus und Neofaschismus. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, stehen hierzulande vor brennenden Unterkünften. Wann werden es Synagogen und Moscheen sein?
In einigen Passagen des Buches wird sichtbar, daß es für Schorlemmer nichts gibt, was ihm „die DDR im nachhinein angenehmer machen könnte“. Aber er besteht auf dem „Denken und Fühlen bestimmter Ideen, die mit der Existenz dieses Systems verbunden waren und mit dessen Verschwinden nicht aus der Welt sind“.
Kann ein so gebildeter Mann derart naiv sein zu glauben, ausgerechnet die heutige Gesellschaft sei dazu imstande, diese Menschheitsideale einzulösen! Eine groteske Vorstellung!
Ich habe die BRD nie für besser gehalten, als sie heute ist. Daraus ergaben sich meine Ängste vor dem Verschwinden der DDR. Im Bewußtsein vieler Menschen wird mehr von ihr bleiben, als die beiden Autoren und ihr Moderator erkennen wollten.
Ich kann das Buch niemandem empfehlen, will er nicht sein Geld zum Fenster hinauswerfen.
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