RotFuchs 206 – März 2015

Eine Märchengestalt,
die mich an Tante Frieda erinnert

Frau Holle

Edda Winkel

Werner Klemke hat sie in einem der schönsten Bücher des Jahres 1963 mit wenigen Strichen ins Bild gesetzt, pausbäckig, freundlich, das Gesicht von großer Haube umrahmt, schaut sie aus dem Fenster auf das fleißige, bettenklopfende Mädchen und den federflaumigen Flockenregen herab.

Frau Holle ist für mich mehr als eine Märchengestalt, welche die Fleißigen belohnt und die Faulen bestraft.

Für mich hat sie das Gesicht meiner Tante Frieda aus Körkwitzer Kindertagen.

Sie war liebevoll um mich besorgt, päppelte mich mit Bratkartoffeln und Speck, frischer Milch und saftigen Birnen, führte mich sanft an kleine Aufgaben heran: Heu wenden, Garben aufstellen, aus Mehl und Wasser sämige Soße anrühren, Tiere sorgsam behüten und Menschen in Not nicht übersehen.

Die „Frau Holle“ der Gebrüder Grimm ist beliebt und bekannt bei uns. 2006 wurde sie als schönstes deutsches Märchen ausgezeichnet. Aber hast du gewußt, daß Frau Holle auch eine Sagengestalt ist? Sie soll auf einem Berg zu Hause gewesen sein, möglicherweise den Hörselbergen bei Eisenach, vielleicht dem Hohen Meißner bei Kassel. Dort gibt es den unendlich tiefen Frau-Holle-Teich. Er muß wohl der Eingang zu ihrer anderen Welt sein. Im Volksmund ist sie für den Schnee im Winter verantwortlich: Je mehr sie die Betten schüttelt, um so höher liegt er. Wenn sie im Frühjahr über die Felder wandert, erweckt sie die Natur, segnet die Saat und läßt die Pflanzen sprießen.

Auch Spinnen und Weben hat Frau Holle die Menschen gelehrt. Sie herrscht über die Schätze im Innern der Erde. In manchen Gegenden gilt Frau Holle gar als Baby-Bringerin.

In den Rauhnächten zwischen dem 23. Dezember und dem 5. Januar mußte früher die Arbeit ruhen. Dann kam Frau Holle auf die Erde, um nachzusehen, wer das Jahr über fleißig oder faul gewesen war. Sie prüfte die Seelen der Menschen. Als alte hilflose Frau in Gestalt der Muhme Mählen bat sie um Nahrung und Obdach. Wer half, wurde reich belohnt, wer geizig war, bestraft. Der Holunder, auch Holler, ist ihr geweiht. Schon möglich, daß sie daher ihren Namen hat. Für mich ist Frau Holle ein Vorbild, eine liebevolle Mutter.

Um das Tor mit seinen Möglichkeiten beneide ich sie, aber hindurchgehen würde ich vorsichtshalber nicht.

Ich würde Renate vorschicken, die bekäme für ihren unbestechlichen Gerechtigkeitssinn einen Goldregen, Amrei für ihre Solidarität und freundliche Fürsorge, Carla für Standhaftigkeit und herzerfrischenden Frohsinn, Martina für schöpferischen Gedankenaustausch und Steffi für heilende Zuwendung und … Ja, noch viele andere Frauen wären hier zu nennen. Und die zweite Möglichkeit des Tores?

Ich würde es vor dem Bundestag aufstellen und seine Wirkung auf leere Versprechungen richten. Da würden sich die Reihen lichten.

Die eingesparten Diäten könnten den Goldregen des ersten Tores verstärken.