Längeres gemeinsames Lernen –
eine Grundthese linker Bildungspolitik
Gedanken eines Insiders
Zunächst sei an das seit 1956/57 bestehende Schul- und Bildungssystem der DDR erinnert.
Für alle Schüler gab es die zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS) mit einer entwicklungs- und lernpsychologisch begründeten Gliederung in Unter-, Mittel- und Oberstufe. Erst in der 8. Klasse, also im 14. Lebensjahr der Schüler, wurde eine Entscheidung über den weiteren Bildungsweg getroffen: entweder Besuch der Erweiterten Oberschule (EOS) ab Klasse 9 zum Erwerb der Hochschulreife oder weiterer Besuch der 9./10. Klasse der POS mit anschließender Berufsausbildung, ggf. auch Berufsausbildung mit Abitur.
Die Partei Die Linke und deren „Vorläufer“ waren stets gegen die Anpassung des Schulwesens des Ostens an den Westen. Sie besaßen dabei die volle Unterstützung von Erziehungswissenschaftlern der DDR.
Allerdings gab es sehr unterschiedliche Positionen, was eine „Gemeinschaftsschule“ (Gesamtschule, Schule für alle) sein, wie lange das gemeinsame Lernen der Schüler dauern und wann die Wegentscheidung zum Abitur erfolgen sollte.
Offen blieb dabei zumeist, wie und in welchen Schritten, in welchen Zeiträumen eine solche Gemeinschaftsschule wieder zu erreichen wäre.
Was war 1990/91 der katastrophalste Beschluß bei der Anpassung des DDR-Schulwesens an die Schulstruktur der BRD?
Die Unter- und Mittelstufenklassen der DDR-Oberschulen wurden schulorganisatorisch und pädagogisch inhaltlich aus der „Einheitsschule“ ausgegliedert und als selbständige Schulform Grundschule (Klasse 1 bis 4/ Klasse 1 bis 6) installiert. Von diesem Moment an war bereits in Klasse 4 bzw. 6 darüber entschieden worden, welchen weiteren Bildungsweg die heranwachsenden Kinder gehen durften. Das Ergebnis bestand in sozialer Differenzierung.
Zur Überwindung und Aufhebung dieser Trennung gäbe es aus linker Sicht zwei denkbare Varianten: den jahrgangsweisen „Aufbau“ der Grundschulen wieder zu durchgängigen Gemeinschaftsschulen von Klasse 1 bis Klasse 10 oder die erneute Ausdehnung der existierenden Sekundärschulen 1 in den Unterstufenbereich.
Beide Wege wären auf Grund der räumlich-materiellen Möglichkeiten und personellen Ausbauerfordernisse nicht sinnvoll und kaum möglich.
Leider gibt es in den neueren bildungspolitischen Dokumenten der BRD fast keine Aussagen über folgende Fragen:
Was ist heute eigentlich Hochschulreife und Studierfähigkeit – und dies bezogen auf die sehr unterschiedlichen Studienrichtungen?
Auf welchen Wegen könnte das Abitur für möglichst viele Heranwachsende erreicht werden?
Wie müßte eine „Abiturschule“ (gymnasiale Oberstufe) heute ausgestaltet sein?
Könnten die heutigen Gymnasien überhaupt reformiert werden?
In einer Reihe bildungspolitischer Publikationen werden die Gymnasien zumeist nur sehr kritisch – sicherlich auch weitgehend zu Recht – hinterfragt und beurteilt, aber leider meist nur mit der Tendenz, sie vollständig abzuschaffen, sowie mit der Zielsetzung, dafür überall nur Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe anzubieten.
Ich halte angesichts des derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses eine vollständige Abschaffung der Gymnasien und den Verzicht auf eine gesonderte Abiturschule für absolut unrealistisch.
Linke Bildungspolitik muß ein Konzept erarbeiten, daß möglichst viele Jugendliche die Hochschulreife erwerben können und dies auf verschiedensten Wegen.
Dazu wären vor allem folgende Fragen zu beantworten:
Wie müßte die Leistungsfähigkeit und wie könnten die Wirkungsbedingungen der zum Abitur führenden Schulstufen wesentlich verbessert werden?
Wäre eine vier- bzw. fünfjährige Abiturschule nicht auch aus entwicklungs- und lernpsychologischer Sicht pädagogisch-didaktisch besser zu gestalten?
Eine Reduzierung der Klassenjahrgänge auf vier Jahre (gegenüber bisher acht- bzw. sechsjährigen Gymnasien) würde ermöglichen, daß die Anzahl der parallelen Klassen um einiges erhöht werden könnte. Somit würden ohne zusätzlichen personellen und räumlichen Aufwand in den jetzigen Schulgebäuden wesentlich mehr Abiturschüler aufgenommen.
Selbstverständlich müßten auch weiterhin alle anderen Wege zum Abitur (nach erfolgreichem Abschluß der 10. Klasse der Gemeinschaftsschule) gefördert und ausgebaut werden.
Es gibt regional und auf kommunalpolitischer Ebene viele von den linken Fraktionen initiierte und geförderte Aktivitäten, um vielfältige Betätigungs- und Bildungsmöglichkeiten für die verschiedenen Altersgruppen – beginnend mit frühkindlicher Entwicklungsphase – anzubieten. Diese Bemühungen müßten viel mehr in den bildungspolitischen Veröffentlichungen der Partei Die Linke propagiert werden. Wir beschränken uns leider oftmals nur auf schulstrukturelle und schulpädagogische Fragen.
Die Erzieher- und Lehrertätigkeit ist einerseits eine psychisch, physisch und emotional außerordentlich anstrengende, belastende Tätigkeit. Andererseits muß sie täglich mit besonderer Kreativität geleistet werden. Es bedürfte also generell einer höheren gesamtgesellschaftlichen Wertschätzung dieser Berufsgruppen zur Beförderung des geistig-moralischen Antriebs und der Leistungsbereitschaft eines jeden Pädagogen. Demzufolge müßte analysiert werden, welche gesamtgesellschaftlichen, sozialen, arbeitsrechtlichen und tariflichen Rahmenbedingungen, aber auch unterrichts- und schulorganisatorischen Bedingungen eine wirkungsvolle pädagogische Tätigkeit in der unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Bildungs-und Erziehungsarbeit erschweren.
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