Warum die NVA kein Traditionsspender
für die Bundeswehr sein kann
Gegen die Vermischung
von Feuer und Wasser!
Im Jahr 2012 erschien im Miles-Verlag eine Schrift unter dem Titel: „Tradition für die Bundeswehr – Neue Aspekte einer alten Debatte“. In diesem Sammelband kommen fünfzehn Autoren, vorwiegend Militärs, zu Wort. Die Herausgeber verstehen Traditionen als einen Prozeß, der „einem permanenten Wertewandel in der Gesellschaft unterliegt“ und „geistige Orientierung“ bietet.
Obwohl die Herausgeber anerkennen, daß die NVA „keinen verbrecherischen Krieg“ führte, hätte sie ebenso wie die „Wehrmacht … einem Unrechtsregime gedient“.
Zwei Gegenfragen: Ist den Herausgebern bekannt, daß die NVA überhaupt keinen Krieg geführt hat? Und somit natürlich erst recht keinen verbrecherischen! Ist ihnen in den Sinn gekommen, worin der Unterschied zwischen der einem „Unrechtsregime“ dienenden Armee, die nie einen Krieg führte, und der Armee eines „freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates“, die bereits an mehreren völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Kriegen teilnahm bzw. noch teilnimmt, besteht? Die Opfer dieser Kriege können die Frage nicht mehr beantworten.
Es ist nicht meine Absicht, das Traditionsbild der Bundeswehr als Ganzes zu bewerten. Es geht mir um den Beitrag von G. Glaser und R. Wenzke „Kann man in der NVA Traditionswerte für die Bundeswehr finden?“
Dr. Günther Glaser, emeritierter Professor und Kapitän z. S. der Volksmarine der DDR, und Dr. Rüdiger Wenzke, Absolvent der Sektion Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, jetzt Wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, vermeinen einem Ausspruch des damaligen Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière die Aufforderung zu entnehmen, es könne in der NVA-Geschichte etwas Traditionsbildendes für die Bundeswehr geben. In dieser Auseinandersetzung möchte ich mit einem klaren Nein antworten. Die Kritik an dieser Schrift verbinde ich mit der Frage nach meiner Identität. Habe ich 20 Jahre in einer Armee gedient, die zum „Wurmfortsatz einer Aggressionsarmee“ mutierte oder in einer Armee, deren oberster Auftrag die Sicherung des Friedens war? Meine These: Eine Armee, die nie einen Krieg führte, kann nicht an der Traditionsbildung einer anderen Armee beteiligt sein, die an völkerrechtswidrigen Kriegen mitwirkte und mitwirkt; einer Armee, die sich zwar auf das Grundgesetz beruft, es aber durch die Teilnahme an Angriffskriegen wiederholt gebrochen hat.
Glaser/Wenzke belegen im Abschnitt „Die Nationale Volksarmee in der SED-Diktatur (1956 bis Herbst 1989)“, wohl entgegen ihrer Absicht, daß die NVA eigentlich gar nicht traditionsbildend für die Bundeswehr sein könne. Neben den stereotyp wiederholten, eine solche Traditionsbildung ausschließenden angeblichen Merkmalen der NVA wie „Parteiarmee“, „Armee in einem Unrechtsstaat“, „Instrument einer Diktatur“ wird ihr besonders die Überbetonung des kommunistischen sowie die Vernachlässigung des bürgerlichen und militärischen Widerstandes in der Traditionspflege zum Vorwurf gemacht. Ich achte diesen Widerstand. Jeder hat dabei sein Leben riskiert, und viele haben es auch verloren. Allerdings ist es wissenschaftlich unredlich und moralisch verwerflich, andere für das zu verteufeln, was man selbst tut. So wird heute von den Siegern dieser Runde der Geschichte der proletarische und speziell der kommunistische Widerstand totgeschwiegen, heruntergespielt oder verunglimpft. Hinzu kommt, daß der Begriff des militärischen Widerstandes umstritten ist. Unbeachtet bleiben u. a. die Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien, Partisanen oder Deutsche, die in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition ihr Leben einsetzten. Unberücksichtigt bis abgelehnt bleiben das Wirken des Nationalkomitees Freies Deutschland sowie des Bundes deutscher Offiziere. Wo wird die sicher sehr differenzierte Gruppe der Wehrmachtdeserteure erfaßt, die bis vor kurzem noch nicht einmal rehabilitiert war?
„Mit der Vereinigung Deutschlands ist die ehemalige Nationale Volksarmee Teil der deutschen Militärgeschichte geworden.“ Auch wenn das ein ehemaliger Minister Rühe sagte, bleibt es Unsinn. Die NVA der DDR war von an Anfang an Teil der deutschen Militärgeschichte und nicht erst seit dem Anschluß der DDR an die BRD. Es sei denn, die beiden Autoren beharren auf jenem sinnlosen Konstrukt des „Gedient in fremden Streitkräften“, was sich ein Angehöriger der faschistischen Wehrmacht in der alten BRD nie hat gefallen lassen müssen. Es gibt im Beitrag der beiden Autoren auch keinen Hinweis darauf, daß die faschistische Wehrmacht nicht Teil der deutschen Militärgeschichte gewesen sei.
Es wirkt geradezu beleidigend, wenn sie schreiben, daß es in der NVA Menschen gab, „die sich nicht nur korrekt und anständig verhielten, sondern die sich – in Uniform – dem Regime widersetzten, sich die humanistischen und demokratischen Normen zu eigen machten …“ Weniger eindeutig wird die Sache allerdings, wenn es weiter heißt „aus welchen Motiven auch immer“. Also handelten die NVA-Angehörigen, die ihren Dienst auf der Grundlage der Verfassung der DDR, getreu dem geleisteten Fahneneid absolvierten und sich nicht widersetzten, unkorrekt und unanständig? Also war ihr Wille, den Frieden und die DDR zu verteidigen, kein humanistischer Wert?
Das Verhalten der NVA wie der anderen bewaffneten Organe im Herbst 1989 trug mit dazu bei, einen blutigen Bürgerkrieg zu verhindern, möglicherweise sogar einen 3. Weltkrieg. Unerwähnt bleibt in dem Beitrag auch der Befehl Nr. 10/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, Egon Krenz, über das Verbot der Schußwaffenanwendung bei Grenzdurchbrüchen.
Vergleichsweise genausowenig denkbar als Tradition für die Bundeswehr wäre das revolutionäre Erbe des Kieler Matrosenaufstandes sowie der Arbeiter- und Soldaten-Räte, die das Ende der kaiserlich-deutschen Streitkräfte besiegelten. Wer die auch international be- und geachtete Friedenspolitik der DDR in Zweifel zieht und zu sogenannten humanitären Einsätzen der Bundeswehr schweigt oder sie gar zur Friedensstiftung verklärt, macht sich unglaubwürdig. Da verwundert es kaum, daß das Wort Frieden bei beiden Autoren nur ein einziges Mal indirekt vorkommt. Der Satz „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden!“ stammt zwar nicht von der SED, umschreibt aber einen nicht unwichtigen Teil ihrer Beschlüsse und ihres Handelns. An das Versprechen, daß von deutschem Boden nie mehr Krieg, sondern nur noch Frieden ausgehen solle, hat sich die DDR – anders als die BRD – zeit ihrer Existenz gehalten.
Zumindest inkorrekt erscheint der Vorwurf an ehemalige Angehörige der NVA, die „kolportiert“ hätten, daß die „Traditionswürdigkeit der NVA … von den Siegern … vorschnell und pauschal abqualifiziert“ worden sei. Nichts wurde hier „kolportiert“, nur die Realität reflektiert. Das Abqualifizieren begann mit dem Kinkelschen DDR-Delegitimierungsaufruf. An seiner Realisierung haben beide Autoren kräftig mitgewirkt.
Wenn es seitens der NVA etwas gäbe, was die Bundeswehr in ihre Tradition aufnehmen könnte, so wäre es die begonnene, aber mit der Fiktion „Armee der Einheit“ abgebrochene und erledigte Militärreform der NVA. Gleiche Sicherheit für alle, strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, Konzentration auf die Landesverteidigung sowie Teilnahme an vertrauensbildenden Maßnahmen wären denkbare Ansätze. Ist das jedoch einer Armee im Einsatz, wie das weltweite Operationsgebiet dieser Aggressionsarmee schamhaft umschrieben wird, als traditionswürdig zuzumuten?
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