RotFuchs 198 – Juli 2014

DR-Chefredakteur Juri Klugmann trifft ins Schwarze

Gewalt ist keine Lösung

Juri Klugmann

Die in Kanada erscheinende und international verbreitete „Deutsche Rundschau“ veröffentlichte in ihrer April-Ausgabe den folgenden – von uns im Wortlaut nachgedruckten – Leitartikel ihres auch von Andersdenkenden geschätzten Chefredakteurs Juri Klugmann. Das renommierte Blatt stellte – wohl auch, um Vergeßliche an früher Gesagtes zu erinnern – das bekannte Symbol christlicher Kriegsgegner „Schwerter zu Pflugscharen“ in das Zentrum des Beitrags.

Liebe Leserinnen und Leser!

Unsere internationale Deutsche Rundschau ist mit ihrer Gründung vor 17 Jahren angetreten, eine Völker, Kulturen und Religionen verbindende Monatszeitung, eine unabhängige Stimme und Interessenvertretung im Ausland lebender Deutsch sprechender und lernender Menschen zu sein. Dies ist und bleibt die Richtschnur unseres journalistischen Handelns. Aus diesem Grund werden wir uns zum Thema Ukraine weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen. Wir sind überzeugt, daß Sie sich ein eigenes Urteil bilden und bieten Ihnen deshalb mit unseren Pro- und Contra-Beiträgen und Kommentaren Denkanstöße an.

Meine Gedanken zu diesem Thema sind von persönlichen Erinnerungen geprägt. Vor 44 Jahren besuchte ich zum ersten Mal Kiew und die Hafenstädte am Schwarzen Meer. Vier Jahre später arbeitete ich zusammen mit Tausenden anderen begeisterten Jugendlichen aus der damaligen DDR am Bau der Erdgasleitung vom Ural bis nach Westeuropa. Unser Abschnitt war der durch die Ukraine. Doch das spielte keine Rolle, denn sie gehörte ebenso zur früheren Sowjetunion wie deren Kern Rußland.

Begeisterung für das Projekt und für die Freundschaft führte mich dorthin – so wie andere ostdeutsche Jugendliche auch. Sie alle trugen das blaue Hemd der Jugendorganisation FDJ, das auch die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Jugend begleitete. Wir fühlten uns an der vordersten Front. Im Kreis der Rohrleger, Schweißer und all der anderen Bauarbeiter in Krementschuk wuchs die Freundschaft zu Ukrainern ebenso wie zu Russen. Ob Kiew, Berlin oder Moskau auf der Geburtsurkunde stand, war egal.

Dann kam ein schwerer Unfall, der mich in allen Fasern meines ums Überleben kämpfenden Körpers spüren ließ, wie wichtig Völkerverständigung ist. 1976 lag ich für Wochen im Krankenhaus in Krementschuk, aufopferungsvoll betreut von ukrainischen Ärzten wie Roman, Sascha, Nina und Larissa. Später lud ich sie alle aus Dankbarkeit zu mir nach Berlin ein.

Im Krankenhaus hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich hörte von der Ukraine, die als Kornkammer Europas und „Lebensraum Osten“ jahrhundertelang die Eroberungsgier fremder Diktatoren, Herrscher und Mächte auf sich zog und in verheerenden Kriegen enorme Opfer gebracht hatte. Betroffen stand ich an den Gräbern unbekannter Soldaten und Zivilisten und auf blutgetränkter Erde. Wie können Ukrainer und Russen jemals wieder freundschaftliche Beziehungen zu uns Deutschen pflegen?, fragte ich mich. Und doch, trotz alledem, luden sie meine Freunde und mich in ihre Häuser und Familien ein, bewirteten uns und sangen uns ihre schwermütig klingenden Volkslieder vor. Die slawische Volksseele ist Fremden schwer verständlich. Wer von all den heute die westliche Welt Regierenden weiß von der Kiewer Rus? Welche Politiker, die sich heute so besorgt in ukrainische und russische Angelegenheiten einmischen, interessiert es, daß Russen, Ukrainer und Weißrussen gemeinsame Wurzeln haben?

Wer das Selbstbestimmungsrecht der Völker fordert, sollte diese Elle überall anlegen und dabei die Geschichte nicht vergessen. Die Krim, um die jetzt so heftig gestritten wird, war immer Spielball der Mächte. Vor 200 Jahren eroberte sie Katharina die Große. Sie gründete die Stadt Sewastopol, damit Rußland einen Zugang zum Schwarzen und dadurch zum Mittelmeer bekam. Vor 60 Jahren schlug der damalige sowjetische Parteichef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow die Krim per Dekret der Ukraine zu. Weder das russische noch das ukrainische Volk wurden je von den Mächtigen befragt, ob sie das so wollten. Jetzt gibt es die Chance, das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen.

Wer die slawischen Brüder Ukrainer und Russen zum Bruderkrieg anstachelt, hat nicht die Interessen dieser Völker im Sinn, sondern seine eigenen geopolitischen Machtinteressen. Man muß kein Freund von Wladimir Putin sein, um zu erkennen, daß große Teile der Bevölkerung seines Landes hinter ihm stehen. Viele hoffen, daß er Rußland wieder zu einstiger Macht und Bedeutung verhilft.

Und man darf nicht übersehen, daß es viele Menschen in der Ukraine nach Europa zieht. Von dort erwarten sie Fortschritt und Wohlstand. Sanktionen, Boykotte und Drohungen werden Putin weder einschüchtern noch in die Knie zwingen, sondern seine Machtposition im eigenen Land eher stärken. Ausbleibende Hilfe für die am Rande des Staatsbankrotts stehende Ukraine wäre ebenso fatal. Weitere Unruhen würden das Land noch mehr schwächen. Die Folgen sind auch anderswo auf der Welt zu sehen und reichen von wachsender Armut bis zu anschwellenden Flüchtlingsströmen.

Es ist die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden. Gewalt gehört nicht dazu. In der Stunde der Diplomatie sollten eigene Machtinteressen zurückstehen. Der schwelende Konflikt um die Krim ist ein Problem der Weltgemeinschaft. Unsere internationale „Deutsche Rundschau“ tritt für die friedliche Verständigung der Völker ein. Sie auch?