RotFuchs 192 – Januar 2014

Gibt es eigentlich einen Neofaschismus?

RotFuchs-Redaktion

Ich bin gegen „Neofaschismus“. Gegen die Sache, selbstverständlich; und das bedarf keiner Begründung. Aber auch aus sprachlichen und sachlichen Gründen (die ja immer miteinander zusammenhängen) bin ich gegen den Namen. Seit einiger Zeit ist es üblich geworden, Bewegungen, Organisationen, Gruppen, Parteien in Deutschland, Italien und anderswo „neofaschistisch“ zu nennen. So üblich schon, daß ich selbst neulich einmal, um mich schnell und kurz verständlich zu machen, dieses Wort habe gebrauchen müssen, dieses voreilige, falsche, gefährliche Wort. Warum „neofaschistisch“? Warum denn „neo“? Die österreichischen „Unabhängigen“ (wovon sind die wohl, da wir grade bei Namen und Sprache sind, unabhängig?) nennt man so, Vereine, die in Italien den Uomo Qualunque ersetzt haben, Rechtsparteien des (ebenfalls sehr zu Unrecht) sogenannten Bonner Parlaments.

Aber das sind doch ganz einfach faschistische Parteien, Parteien des guten alten – vielmehr des alten schlechten und bösen – Faschismus, so schlecht und böse, wie es der alte Faschismus war, und gar nichts, aber auch gar nichts ist neu daran. Außer daß Hitler und Mussolini fehlen, aber Hitler und Mussolini waren ja gar nicht das Entscheidende und die Entscheidenden im Faschismus, es ist anti-antifaschistisch, wenn nicht schon profaschistisch, den Faschismus ausschließlich mit den „Führern“ identifizieren zu wollen und die Hintermänner, die Eigentlichen, zu vergessen. Außer daß die alten Trommler und Tenöre fehlen, also; und daß die Hemdfarben und überhaupt einige Farben gewechselt haben. Aber kommt es auf das Hemd und die Farben, die doch nur Erkennungszeichen waren, an oder auf das, was in den Hemden steckt und mit den Farben übermalt ist, auf die Erkennungsmarke oder auf Willen und Meinung (oder Meinungs- und Willenlosigkeit) der Träger? Was ist da „neo“, was ist da neu?

Wir kennen die Weise, wir kennen den Text, wir kennen auch die Verfasser; grade die erkennen wir recht gut wieder. Es sind die alten Handlanger und die alten Drahtzieher, die sich da wieder zusammengefunden haben. Nichts daran ist neu, sogar der Schwindel und die Frechheit sind die alten. Und wenn wir sie „neu“ betiteln, lassen wir glauben, es könne einen andern Faschismus geben als eben den Faschismus. „Neofaschismus“, das klingt abwartend, gedehnter, weicher, unbestimmter; das klingt, als könne man da mal zusehn, als könne sich da was entwickeln, als könne da was noch Unbestimmtes draus entstehn, immerhin; das klingt aufgefrischt und gereinigt, ohne die plumpen Irrtümer und die zu groben Verbrechen, zwar faschistisch schon, aber doch neo, nicht einfach verbrecherisch gegen die Menschheit, schwarz- oder braunhemdig, SS-röckig, phalangistisch und teuflisch; gemäßigt, man wird schon sehn, ein Faschismus, der was gelernt hat, neo, das klingt wie aufgebessert. Wenn wir das sagen, geben wir, ohne es zu wollen, dem Faschismus eine Chance und eine Hoffnung.

Nichts da. Der Faschismus kann viele Farben tragen und manche Hemden und Uniformen anziehn, aber nicht seine Essenz ändern. Das zu behaupten, ist nicht unhistorisch, sondern rechtens, historisch gegründete Gegenwartserkenntnis: der Faschismus ist die letzte Verteidigungsform des zugrunde gehenden imperialistischen Kapitalismus, und wie dieser verfallen kann, sich verschärfen kann, zucken und toben kann, aber sich nicht wesentlich umformen, sich vor allem nicht „erneuern“ kann, so kann der Faschismus sich wandeln, vielleicht sogar sich umgestalten, aber nicht sich ändern. Jeder neue Faschismus ist ganz und gar der alte. Nennen wir ihn also auch so, und verweigern wir ihm die Neugier, die Gnadenfrist, das Abwarten des Spannungsmoments, die wir, unwillentlich und sogar unwissentlich, ihm mit der Vorsilbe geben.

Es hat einen Neukantianismus und eine Neuromantik geben können – und auch da bliebe noch festzustellen, wie weit sie doch bloßer Abklang der alten waren. Eine mit andrer Tonstärke und mit anderm Tempo angedrehte Walze ist nicht neu, und sogar Variationen tun dem Thema nicht weh. Einen veränderten, erneuerten, neuen Faschismus kann es so wenig geben wie einen Neomilitarismus, Neokapitalismus oder Neo-imperialismus. Es sind, bis wir sie endgültig totgeschlagen haben, immer die alten, unabänderlichen Blutgespenster. Nieder also, wie der Faschismus, auch der Neofaschismus!

Rudolf Leonhard in „Unsere Republik“, Kongreß-Verlag, Berlin 1951


Neofaschismus ist nicht nur eine Art bloßes Relikt der Vergangenheit in der bundesdeutschen Gegenwart, gebildet aus einigen naturgemäß bald aussterbenden anpassungsunfähigen Altfaschisten, das ist keineswegs nur eine in unsere Gesellschaft hinüberlebende, übriggebliebene Resterscheinung und der Rückstand aus dem Hitler-Reich, sondern eine sich aus dieser Gesellschaft der Bundesrepublik selbst heraus durchaus neu produzierende und den alten Faschismus reproduzierende, ihn damit auch durchaus neu produzierende politische Erscheinung …

Ob allerdings der Begriff „Neofaschismus“ ohne Bedenken als der wissenschaftlich exakte bezeichnet und empfohlen werden kann, hängt nun allerdings ganz davon ab, welche Bedeutung gegenwärtig dem „Neo“ in diesem Wort zuerkannt werden soll. Soll ihm das Gewicht einer substantiellen, in irgendeiner Weise den Inhalt oder die Struktur, die Ideologie oder politische Strategie betreffenden Aussage zukommen, dann müßten sich sofort die schwersten wissenschaftlichen Bedenken gegen ihn erheben. Denn alle Untersuchungen der unter ihm begriffenen Erscheinungen ergeben nur immer wieder, daß da eben gerade gar nichts „neo“ ist.

Da sich freilich der Ausdruck „Neofaschismus“ nicht nur weithin eingebürgert hat … und er kaum widerruflich scheint, bleibt zu seiner vertretbaren weiteren Verwendung im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nur der Weg, dann aber die Vereinbarung zu treffen, daß dem Wörtchen „neo“ lediglich die Bedeutung einer bloßen Zeitangabe zukommen soll, es also nichts anderes besagt, als daß von Faschismus nach und seit dem Ende des zweiten Weltkriegs die Rede ist.

Reinhard Opitz in „Faschismus und Neofaschismus“, Verlag Marxistische Blätter, Fankfurt am Main 1984