RotFuchs 195 – April 2014

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Das Schöne an den Frauen ist
wie sie mit dem Groschen knausern
und mit dem Herzen verschwenden
sie treiben sich immer zur Eile
und dann wieder können sie
unendlich lange und sogar vergeblich
      einfach warten
in der Arbeit kommen sie schnell auf den
      Punkt
in ihren Irrtümern ewig nicht
Frauen haben andere Zeiten als Männer
anderen Druck und also
eine andere Vorstellung vom Glück
von Hirngespinsten wenden sie sich ab
nicht ohne sie in ihrer Phantasie zu
      genießen
Kampfhandlungen zu Boden, zu Wasser
      oder in der Luft
das bringt Frauen nichts
fremde Gebiete besetzen und dabei das
      eigene
gänzlich aus dem Auge verliern
Frauen sind keine zu klein geratenen
      Männer
auch keine Sklaven
und zum Helden taugen sie nicht
Frauen kehren auf herzzerreißendem
      Umweg
weiser, faltiger, ein bißchen dicker oder
      dünner
gelassener, manchmal härter
zurück zu dem Wesen jenes Mädchens
das sie einmal waren oder sein wollten
oder nun endlich werden können
und fangen wieder an, zu sticken,
      zu backen
überall reinzureden, alles besser zu wissen
vielleicht sogar eine Nacht durchzuschlafen

ein Stück ihres eigenen Lebens zeigen sie
      dann nur noch
ihren Enkeln, die sie lieben
so, daß ihre Kinder ihre Kinder beneiden
      so war sie zu uns nie

Frauen können sich gelingen
wenn man sie läßt
wenn man sie im Frieden läßt

(1987)

Wir sind einen langen Weg gegangen. Die einzelne fand sich vielleicht die Freundin, die Weggefährtin, aber näher lag der Frau, Konkurrentin zu sein.

Neue Gesetze, die uns von der vielfältigen Vormundschaft durch den Mann freisprachen, haben die meisten von uns zunächst überfordert. Auch ich habe gezaudert. Auch bei mir kam die Erkenntnis lange vor dem kühlen Mumm, aufzubrechen in das Wagnis, selber die Verantwortung zu übernehmen, mich unabsehbaren Risiken auszusetzen. Es hat dann weniger Kraft gekostet, als vordem die Rechtlosigkeit. Ich habe Unterdrückung und Entmutigung erfahren. „Durch den Mann“, das hatte meine Generation leicht auf der Zunge, aber es ist Teil unserer Lebenslüge. Wir Kriegskinder hätten es früher besser wissen können. Unsere Mütter hatten eben bewiesen, daß sie den Männern an Geschicklichkeit nicht nachstehen, sie hatten sie ersetzt, die fernen Soldaten.

Die Mär vom schwachen Weib hatte ausgedient, als sie nicht mehr nützlich war. Wir Töchter nutzten unsere Chance. Sicher zunächst auch, weil wir in der Arbeit gebraucht wurden. So kamen wir in die Lehrstellen, an die Universitäten, hier in der DDR zur Gültigkeit der eigenen Unterschrift, zum Recht auf ein eigenes Leben.

Die Bereitschaft zur Unterwerfung trugen wir in unseren Genen, sie wartete nur auf einen Anlaß. Was haben wir uns nicht bieten lassen! Was wir als Niederlage fürchteten, haben wir uns immer wieder bereitet.

Ich lebe seit langem anders und nehme die andere Frau so ernst, daß ich für sie auch unbequem bin. Frauen sind nicht die besseren Menschen. Nicht als Herrin zur Magd, als Chefin zum Lehrmädchen, als Mutter zu ihrem Eigentum, den Kindern. Wieviel Dummheit und Anmaßung lag im Verhalten der Konkurrentinnen.

Wir haben als Frauen den Männern zu wenig entgegengesetzt. Aber wie sollten Frauen großzügig sein, wo sie kaum Einfluß auf die Entwicklung ihres Verstandes, ihres Herzens, oder gar ihrer Talente hatten. Erstaunlich, wie viele von ihnen es dennoch als Politikerin, als Künstlerin oder als lebendes Beispiel für Menschlichkeit geschafft haben – zur Ehre unseres Geschlechtes. Sie hatten jenes Selbstbewußtsein, jene Haltung zum Leben, die zum Eingreifen zwingt.

Das Gehirn der Frau ist ein wenig leichter als das des Mannes. Wir sollten uns nicht davor fürchten, daß wir zuwenig Grips haben. Mehr Nachdenklichkeit scheint mir angebracht, wenn ich beobachte, wie sich erfolgreiche Frauen verhalten. Frauen sind nicht die besseren Menschen, nur weil sie gebären, weil sie uns rühren mit ihrer Mütterlichkeit, ihrer möglichen Güte, ihrer durch Erfahrung und Weitergabe verständlichen Friedensliebe. Solche edlen Eigenschaften habe ich bei emanzipierten Männern auch gesehen.

Aber ich bin dankbar: Wir Frauen wurden gebraucht und gefordert. Wir lernten unser Ja und unser Nein, und für aufhaltende Konkurrenz gab es in der DDR keinen wirklichen Grund. Ich kann mich nicht erinnern, daß mir je ein Angebot streitig gemacht worden wäre, denn es gab immer mehrere.

Und ich hatte Glück, es waren Frauen, die mich ermutigt haben: Christa Wolf und Eva Strittmatter, später Maxi Wander und Irmtraud Morgner. Wir mochten uns und halfen uns gegenseitig.

Über die Jahrtausende war der fernfernen Schwester beizustehen. Immer hat mich das Leben von Maria beschäftigt, die nach dem Tod des Sohnes in den Falten der Geschichte verschwunden ist. Was hätte sie tun können, um das Schicksal des einzigen Mannes, dem ihr Herz und ihre Seele gehörten, abzuwenden? Wie hat sie unter dem Kreuz gestanden, was hat ihr die Kraft gegeben, seinen Tod zu begleiten, ihn unschuldig zu wissen und ihn zu bergen? In den Kirchen sehe ich sie immer mit gesenktem Kopf und verhülltem Haar. Hat sie den Sohn auf dem Schoß, dann ist sie nur Mutter, nicht auf andere Art weibliches Wesen.

Ich möchte Olga Benario in den Arm fallen, ihr den Tod ersparen, der ihr schon 1928 sicher war, als sie ihren Geliebten mit einer Schußwaffe aus dem Gefängnis befreite. Sie wurde später von Brasilien an Nazi-Deutschland ausgeliefert und umgebracht. Sie hatte keine Chance.

Haben wir als Menschheit genügend gelernt aus den Erfahrungen so vieler Generationen? Wissen verbreitet sich weitaus langsamer als Illusionen.

Was haben wir denn gelernt? Daß es für Waffen heute keinen Sieg gibt?

Haben wir gelernt, daß Mann und Frau auf Augenhöhe miteinander leben müssen, weil sie sich nur so wirklich erfahren und lieben können?

Wir wissen nicht, ob Kassandra gelebt hat. Sie gehört zu den edelsten Gestalten der Geschichte, warnt vor Rache und Mord – und kann nichts verhindern.

War unser Weiberweg lang genug, das eigene Recht in Anspruch zu nehmen und es gemeinsam mit den Männern einzubringen in unseren Versuch, auf dieser Erde in Frieden zu leben?

Frauen sind nicht die besseren Menschen. Eine Frau als Verteidigungsministerin – wer bedroht uns? Derzeit niemand, also jucken uns wohl die Sporen, dorthin zu eilen, wo gefährliche Entwicklungen und Konflikte stattfinden? Geht es um seltene Erden oder um das Stück Erde? Um Besitz oder Besatzung?

Frauen an der Macht sind in Gefahr, so zu werden, wie wir die Männer nicht mehr wollen. Frauen, die ihre Persönlichkeit aus der Unterdrückung anderer beziehen. Wir sollten uns vor solchem Erfolg hüten. Ob Kanzlerin, Ministerin, Abgeordnete, oder betucht genug, um andere „unter sich“ zu haben.

Es wird schwierig, denen ins Wort zu fallen, die gerade das Sagen haben, wissen wir doch, daß ihnen die Hörfähigkeit abhanden kommt, sobald sie gewählt sind.

Ja, aber es gibt neue Wahlen, es gibt Bewegungen, es gibt aufklärende Stimmen in der Presse – und es gibt immer den einzig richtigen Augenblick: Gerade jetzt.