Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
Gisela Steineckert
Die armen Oligarchen verlassen möglichst fluchtartig das verarmte Land, das ihnen so reiche Schätze wußte. Ihre Prachtvillen können gar nicht mehr teuer verkloppt werden und wer weiß, ob sie nicht am Ende doch noch Porto für die mitgeschleppten Millionen aus der Muttererde Rußlands bezahlen müssen.
Was ist noch angesagt in dieser bisher besten aller Welten? Ist sie das? Gemach! Das Wissen hat sich in ihr vervielfacht. Um den Preis, daß ehemals gesicherte alte Kundigkeit sich verringert hat.
Was hält sie eigentlich um die hochgetragene Nase herum so „bei der Stange“? Der Glaube daran, daß der Astronaut bei ferner Suche auch ein neues warmes und gemütliches Zuhause entdecken wird, in das die Betuchten einfach nur umsteigen müßten, um am eigenen Lebensstil und dem gewohnten luxuriösen Umgang mit Ressourcen nichts aufgeben zu müssen?
Ich frage mich, warum wir uns von denen eigentlich überhaupt etwas vorschreiben lassen, was mit Bildung, Gemüt und Herz gefüllt sein müßte, statt mit Reisezielen, an denen sie dann ebenso dämlich herumstehen, wo sie dann genauso ihr Stück Umwelt vergiften, und weshalb dieser Einfluß überhaupt zustande kommen kann. Das ist eine Frage, die mag unwichtig erscheinen, aber sie ist es zu einem Teil natürlich nicht. Ärgerlich, aber ist das eigentlich unsere Sache? Wenn die Frauen sich vorschreiben lassen, mit welcher Absatzhöhe sie sich ihr Rückgrat demolieren? Es ist zweifelsfrei nachgewiesen, daß die jetzt teuersten Schuhe schädlich für die Gesundheit sind. Nicht nur für den Rücken, sondern auch für den Bauch. Die Trägerinnen werden im Alter an Schmerzen abbüßen, was sie ihrem Körper jetzt antun.
Aber nicht genug damit. Sie kaufen sich ein unnatürliches Aussehen, das sie durch innere Zufriedenheit, Erfolg in der Arbeit und Glück in der Liebe sicher nicht erreichen könnten. Man lacht mit sechzig anders als mit zwanzig, aber vielleicht ja auch ein bißchen leiser, angemessener, vorsichtiger. Die Welt wäre reich, wenn ein jedes Menschenkind auf ihr die Chance hätte, gesund zu essen, geliebt zu werden und so viel lernen zu dürfen, wie das Streben danach sich in ihm entwickelt. Das muß unterstützt werden, dazu braucht es gute Lehrer und gute Eltern. Zwei Elternteile, wenn möglich. Die Welt hätte genügend damit zu tun, Kinder vor dem immer noch häufigen Gegenteil ihrer Chancen zu bewahren. Aber schlecht ausgestattete Ämter für das Kindeswohl liegen uns ja bei weitem nicht so auf der Seele wie es ein „In“-Restaurant vermag, das seinem Ruf nicht gerecht wird. Was dann auch gleich Seiten und Sendungen füllt.
Jede Regierung hat das Recht, von mir aus in Nachtsitzungen und den ganzen Tag, darüber zu beraten, wie sie mit einer unerwartet hohen Anzahl neuer Bewohner umgehen soll. Kann sie das „stemmen“? Woher das Geld nehmen? Wie den vielleicht später sicheren Gewinn durch allseits zu investierende Vorleistungen erbringen?
Die Diskussionen darüber sind zu einem Teil verständlich, zu einem größeren notwendig und immer noch erschreckend. Da scheint es nicht um Menschen zu gehen, sondern um eine neue Plage für die Erde. Mit so schrecklicher Ehrlichkeit, so entmutigender Schamlosigkeit sah ich kaum vorher Menschen ihr wahres Selbstbild und ihr Bild vom anderen offenbaren. Im Umfeld von eben ausgebrochenen und also besonders einseitig haßbesetzten Kriegen, das wohl. Wir haben es in Serbien, und wir haben es in Afghanistan erlebt. Andere Namen von Kriegsherden mag sich jeder selbst ergänzen. Aber es entwickelt sich eine alte Ideologie neu. Der Broträuber als Freßfeind? Der Dunkelhaarige als Sexkonkurrent? Das Kind, das aufmerksame mit den großen schönen Augen, als Bedrohung der Schulleistungen unseres eher gelangweilten Kindes? Das wir nicht genügend mit Liebe und Respekt an die Hand nehmen, um ihm die unfaßbare, zu Teilen aber erlernbare Sicht auf die Schönheiten der Natur, von Menschenwerk und die Erhabenheit vieler Erscheinungen des Lebens nahezubringen.
Die Erde ist so voller Möglichkeiten. Für mich, dich und jeden anderen, der sich an unsere Seite stellen mag, um zu beschützen, was von Zerstörung bedroht ist. Wir brauchten mehr Hände, um zu verhindern, daß eine Meute von Quälern und Zerstörern, von blindwütig auf Gebäude oder Kinder losdreschenden Personen, die ihre Individualität als Menschen aufgeben, um ihren Instinkten in der Masse folgen zu können, noch länger diese Erde zu einem unsicheren Ort macht. Wir sind dem Blitzschlag nicht gewachsen und dem Verbrechen nicht, wenn es ausgeklügelt in Momenten und an Orten stattfindet, wo es niemand erwarten konnte. Wo die Warnung nicht ernst genommen wurde, weil die Freude auf etwas größer war. Ob New York oder Paris oder Dutzende von Malen, ohne daß es so schrecklich im Mittelpunkt stand: wenn eine Schule überfallen wird und kleine Mädchen geraubt, entführt, vergewaltigt werden. Nicht nur daß sie ihren Eltern weggenommen werden, sie werden von sich selber entfernt. Von jeder Chance, die sie im Leben gehabt hätten. Oder wenn abenteuerlustige, übermütige Jungs rekrutiert werden, mit der hohen Ehre eines Selbstmords bedacht, um zu Wonnen zu gelangen, die ihnen im Leben sonst nicht erlangbar geworden wären.
Jüngst hat die betuchte Welt die Nase darüber gerümpft, daß der Milliardär Mark Zuckerberg und seine Frau ihr Glück als Eltern kaum fassen konnten. Sie waren bereit, dafür einen hohen Preis zu bezahlen, einen Preis, der ihnen in dieser neuen Lage als Eltern auf einmal bezahlbar, nämlich unwichtig, schien. Ihre kleine Tochter gab ihnen den Gedanken ein, ihre Unmasse an Geld – nicht ererbt, sondern selbst erworben – für andere kranke und gesunde Kinder einzusetzen. Ja, nicht einfach herzuschenken, was sie besaßen, sondern es arbeiten zu lassen zum Glück anderer. Das können wir nicht, wir Normalos. Wir haben so viel, daß es reicht, und wir haben manchmal von allem so viel, daß es uns reicht.
Karikatur: Marian Kamensky
Ich möchte nicht das Unmögliche. Ich wünschte mir nur, daß diese Papierverschwendung zur Unterstützung der Blödheit von sogenannten angesagten Menschen gemindert wird oder aufhört. Die aus dem Privatfernsehen leider manchem bekannten schrecklichen Geissens sind ja wirklich die schrecklichen Geissens, wenn sie immer wieder jemand aus ihrer satten Gleichgültigkeit und ihren netten Plaudereien über gar nix reißt, und die Mädchen, die ihren kurzen Augenblick in der Öffentlichkeit mit anschließender Bedeutungslosigkeit bezahlen, aus der sie nur eben im Glanze des Urwalds oder einer Serie aufgetaucht waren. Die versäumen ein vielleicht etwas unbequemeres Leben als nette Personen, die sich zu vernünftigen Erwachsenen entwickeln könnten. Ohne Fotografen natürlich.
Ohne unangemessene Honorare – je gewagter, desto lohnender. Will uns das Fernsehen wirklich im aufgeklärten Europa glauben machen, eine hochgepuschte Frau und ein feingemachter Mann brauchten nur über eine Schwelle zu treten, um zehn Minuten später zu heiraten? Ja, sie sind nicht mehr ganz taufrisch, ja, sie haben lange gewartet und nie den richtigen Partner gefunden. Ja und? Diese fette Ernährung von falschen Erwartungen, falscher Vorstellung davon, was zwei Menschen eigentlich denken, fordern und geben müssen, damit es für einen längeren Weg miteinander paßt, macht die, die noch nicht dran waren, zu Übernehmern eines Exposés, das sich in ihrem eigenen Leben nur ungut auswirken kann. Wenn’s so einfach wäre!
Wir müssen die Welt ändern. Wenn es irgendeinen Sinn ergäbe, würde ich das sogar in diesen dämlichen hochhackigen Schuhen und mit einem Ausflug auf den Mars tun.
An Gaudi wird’s ja im Februar nicht fehlen. Wer’s mag …
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