Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
Gisela Steineckert
Wie vor den Kopf geschlagen“ – das ist ein altes, aber gerade besonders zutreffendes Wort. Und „überfordert“ bleibt ein nicht minder genaues. Kein richtiger Winter, der da auf uns einschlug. Zerrissen zwischen der einen und der anderen Sorge, immer gut unterrichtet – dabei immer fast wehrlos – wird die eigene Haltung abgefragt und bleibt in der Luft hängen. „Die Erfahrungen des Lebens“, sagt Klaus Steiniger, „gehören, wie immer sie sind, auf die Habenseite.“ Er hat recht, aber wenn einem gerade das Maul offensteht, kann man kaum gelassen die beste Antwort finden. Worauf?
Ich habe diese Kanzlerin nicht gewählt, aber sie hat das Recht, in meinem Namen Sätze zu sprechen, für die ich mich schäme. Sie redet über Sanktionen und tut so, als wären ihr die Pläne der USA gegen Rußland unbekannt. Sie tut so, als sei sie träge und langweilig, als könne sie diesen unglaubwürdigen deutschen Präsidenten ertragen, als sei sie zwar irgendwie, aber unaufgeregt, gegen die Erstarkung der Rechten, gegen deren Absichten und Forderungen „für Deutschland, für die eigene Rasse, für den Platz an der Sonne“. Bayern träumt seinen alten Fürstentraum, in dem immer auch schlimme, nicht nur biedere Gelüste schlummern, aber „mir san mir“ reicht ihnen auch.
Das ist mir kein Vaterland. Ich kann ihren Dialekt, aber ihr Denken kann ich nicht. Ich bin auch nicht „Charlie“! Als ehemalige Kulturredakteurin im „Eulenspiegel“ habe ich zu viele Diskussionen um jene Grenze erlebt, hinter der ein „Knaller“, eine scheinbare Kühnheit, zur schneidenden Waffe gegen lebendige Haut wird, oder eine Art zu glauben, die niemand anderem schadet.
Es scheint, als sei die Menschheit gerade in Gestalt ihrer Beauftragten dabei, alle Erfahrungen der Weltpolitik wieder einmal in den Wind zu schlagen. Als seien alle Opfer umsonst gewesen. Dafür??? Und nun zähle du auf, was du in deinem Leben unterlassen hast, um deine Lebensaufgabe zu leisten, deine Arbeit zu machen, ein Lernender zu bleiben, immer auch für andere zu sorgen, damit sie ihren eigenen Weg finden können. Du hast dich eingebracht, hast verzichtet auf Unternehmungen, für die es nun zu spät ist, oder du könntest noch, träumst aber lieber weiter davon.
Es war dein Leben, es war unser Leben, nie ein bequemes, und es gab darin kaum Wunder. Doch, es gab sie. Auf der Entbindungsstation, oder manchmal einen Vormittag lang bei der Arbeit, wenn es stimmte, zwischen ihr und dir. Oder weil da ein anderes Herz für dich wie für sonst niemanden schlug.
Als „wer“ bin ich jetzt eigentlich so wütend auf der Suche nach Überblick und Rat? Es ist März; unser Monat, Mädels. Und sagt mir ruhig, daß alles viel langsamer geht, als wir es gebrauchen könnten, viel langsamer: „Zwei Schritte vor, einer zurück / von der Länge der Schritte war nicht die Rede.“
Vielleicht ist es ja gut, daß es diese Verteidigungsministerin gibt. Da wird uns wieder vor Augen geführt, mit einem besonders eindringlichen Beispiel, daß Frauen nicht von Natur aus die besseren Menschen sind. Läßt du sie im Orchester der Männer mitspielen, sind sie eher die Lautesten, nicht die Lauteren. Sieh an, wie viel Deutung unterschiedlicher Art zwischen der Nutzung auf die eine oder die andere Art entsteht. Das gilt derzeit für viele Wörter unserer Sprache. Nimm das Wort „Würde“ her, und versuch, dir dabei öffentliche Personen einfallen zu lassen – derzeit, und solche aus der gegenwärtigen Politik. Wird schwierig, nicht wahr?
Unsere Bewegung hin zur eigenen Zuständigkeit, zur Gleichwertigkeit ohne Gleichheit, ist nicht aufzuhalten. Das Leben scheint das noch nicht rauszurücken, das würden aber derzeit auch genauere Gesetze nicht ändern. Jede Absprache über Quoten ist eigentlich unsinnig. Eine solche Auflage bedient noch immer den Anschein, Frauen und anders Behinderte müssen irgendeine Chance geschenkt kriegen.
Ich kenne den gesellschaftlichen Raum, von dem ich rede. Ich war früher bei den Frauen in den Betrieben und konnte meine Versprechen dort hinterher oft nicht einlösen, weil ich, heimgekehrt, mit der Verbohrtheit alter Männer zu tun hatte, die auf dem Papier große Komplimente an den Exoten „Frau“ machten, aber außer Schriftlichem wenig Folgen ins Leben bringen wollten.
Dennoch, wir hatten die besten Chancen in der deutschen Geschichte. Wir durften uns beim Lernen, in der Arbeit und im Alltag überfordern. Wir fühlten uns mit unseren verbrieften Rechten so sicher, daß wir es uns leisten konnten, über das Fehlende unfroh zu sein. Unsere Forderungen wurden vielleicht nicht, nicht gleich oder nur verfälscht erhört, aber unser Schicksal hing im wesentlichen von uns selber ab.
Ich denke an die Frauen, die immer Einwände hatten, immer ungeduldig nach vorn verlangten, sich zu Recht, oder auch ein bißchen verwöhnt, beschwerten.
Über Nacht, nachdem ohne die Posaunen von Jericho die Mauern eingestürzt waren, saßen wir da, von einem Leben in ein ganz anderes geworfen. Gut ausgebildete Frauen, an gesellschaftliche Teilnahme gewöhnt, selbstbewußte Fachfrauen. Klar, die wollten und hatten Kinder, sie fanden, daß der Alltag anstrengender war als die berufliche Arbeit und das Weiterlernen – aber nun waren sie zurückgeworfen auf einen Anfang. Vielleicht war es einer, vielleicht aber auch eine Strecke mit unabsehbaren Bedingungen, ein unbekanntes Feld mit vielen Disteln.
Ein altes tibetisches Wort sagt: „Das Herz muß Hände haben / die Hände ein Herz.“
Ja, leg dir diesen Spruch als Zettelchen in deine Tasche. Die fürs Geld oder die fürs Spiegelchen, oder mach dir die Worte zum Anspruch.
Ich bin, nun fünfundzwanzig Jahre später, über die knirschenden, lauten, hacken- und hakenschlagenden Schritte der Weltpolitiker wie vor den Kopf gestoßen und mein Herz ist überfordert von all den berechtigten Befürchtungen. Aber ich habe auch etwas gelernt: Verlaß dich auf dich selber, aber nicht minder auf die anderen! Sie sind da, sie schaffen es auch nicht allein.
Damals haben wir Weiber uns aufgerappelt, und ich bin nur deswegen noch immer dabei, weil wir uns guttun, weil die Ideen der einen auch für die anderen brauchbar sind – und weil ich mich darauf verlassen kann, daß von uns keine in die falsche, die andere Richtung abhaut. Wenn das wäre, hätten wir etwas falsch gemacht, was mehr zählt als die Fehler im Alltag. Da können wir uns gegenseitig meistens heraushelfen.
Her mit allen klugen Köpfen, wann immer ihr gelebt habt! Steht uns bei im Bemühen um die Einsicht, daß es für Waffen heute keinen Sieg gibt.
Teresa von Ávila, streitbares Weib, trotzig gegen Luther und seine Reform der Kirche, aber das lasse ich hier beiseite. Du bist fast siebzig Jahre alt geworden, vor 500 Jahren, anno 1515, geboren, und so heutig, so lebensklug. Du hast überlebt, und die Bibliothek hat sogar ein Buch über dich, das macht Spaß und läßt lachen. Worum bittet sie ihren „Herrn“?
Er möge sie bewahren „vor der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu müssen“. (Das hat sie für mich geschrieben.)
Und: „Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheiten erscheint es mir schade, sie nicht weiterzugeben – aber du verstehst, o Herr, daß ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.“
In diesem Sinne, in großer Sorge, und in der Hoffnung auf die Tüchtigkeit anderer, verabschiede ich mich für heute.
P.S.: Noch einmal Teresa: „Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu kommen!“
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