RotFuchs 191 – Dezember 2013

Neue Texte einer volksverbundenen Poetin

Gisela Steineckert im RF

RotFuchs-Redaktion

Die eine außergewöhnlich große Leserschaft inspirierende Schriftstellerin Gisela Steineckert veröffentlichte mehr als 40 Bücher, ihre Gedichte und Liedtexte sind Legion. Berühmte Interpreten – vor allem auch Jürgen Walter – verwandelten die Steineckert-Verse in echte Hits. Zu ihren eingängigsten Liedern gehörte der „einfache Frieden“. Ihr Lebenswerk vervollständigten Drehbücher für Film und Fernsehen. Besonders einprägsam war ihre Rolle als Mitgestalterin und Leiterin des im Genre des politischen Liedes bahnbrechenden Oktoberklubs. Für die Unterhaltungskunst der DDR schlug sie sich couragiert in die Bresche.

Jetzt ist aus der „RotFuchs“-Leserin eine sich engagierende Autorin geworden. Mit großer Freude heißen wir Gisela in den Spalten des RF willkommen und erteilen ihr das Wort.

Presente!

Abu Jamal schreibt, um zu leben
Er ist uns Presente
In den lateinamerikanischen Ländern sammeln sich
Nach dem Kampf die Lebenden
Einer ruft die Namen aller Compañeros auf
Wo sie schweigen müßten sagt ein anderer
Presente!, ist hier
Ich bin Name, Beruf, Personenkennzahl, Passantin,
Überlebende, Teilnehmerin
Einzigartig bin ich und Teil der Menge
Denn ich tauche auf überall
Auch in Vietnam, wo ich nie gewesen bin
Kenne die Straße Nummer Eins, Wasserbüffel, Lehmhütten
Herbizide und das Fahrrad, an dem ich teilhabe, gering genug
Auch mein Einwand hat die Bombardierung der Deiche verhindert
Ich habe um Bischof Romero geweint und wußte
Der seinen Platz einnimmt, wird ebenso sterben
Ich bin Presente bei den Priestern in El Salvador
Sie beten und sind Teil der Ärmsten
In die Hände unserer Ärzte das verstümmelte Gesicht des Jungen aus Nicaragua
Mit unseren Papierrosen waren wir bei Angela in der Zelle
Danach bekam sie besseres Essen
Wir hatten Teil an Schulen, Krankenhäusern, Serum
Wasser für ein Dorf
Ich war auch in der Stunde der waghalsigsten roten Nelken
Auf dem letzten Weg von Neruda
Die Lieder von Theodorakis haben wir in unsere Sprache geholt
Wir sind Presente, noch immer
Yes, we can?
Zeigt es! Gerechtigkeit endlich. Auch für Abu Jamal
Und für uns. Wir sind Presente


Mein neues Nein

Ich bin erwachsen geworden und
mein neues Nein gegen die Zeiten
und ihr Tun ist mir wie aus Seide,
nein wie Schokolade mit Nüssen ist
mein neues Nein
ich spüre auf der Zunge,
wie weich und lecker mein neues Nein ist
es mußte mir wieder wachsen
das bedrohte eingeschüchterte Nein,
für zu Hause perfekt, draußen oft weggesteckt.
Man muß ja leben, wenn man sorgen muß.

Jetzt aber!
bedient mit Stempeln der häßlichen Art
gab es mich wie einen abgelaufenen Paß.
Ich benutze den nicht.

Die Talkshows laufen in netter Wichtigtuerei ohne mich,
ich nehme nicht teil an Debatten,
deren Ziel nicht dem Thema entspricht.
Wo ich hingehe, sage ich meins
und nehme dankbar Rat oder Rüge an

Beide Hälften meines Gehirns lasse ich wieder wissen,
wie ich wirklich gelebt habe.
Alleinerziehend mit drei Kindern war ich
keinem Betrieb eine Minderung seiner Dividenden.

Wenn ich mich auflehnte, tat ich es mit Sorge ums Ganze,
das ich nicht abschaffen wollte.

In jungen Jahren mit wenig Geld,
eine Geschiedene, die deshalb nicht aussortiert wurde,
durfte ich ausprobieren, was und wer mir paßt.

Die mich förderten, beluden mich
mit Kräfte verzehrender Ehre,
mit Bürde und Würde.

Aber die Männer um mich her nahmen den Soldatenhelm ab
und wurden Kollegen, Papa, Geliebter, Suchender wie ich.

An der Klagemauer der Verlierer werdet ihr mich nicht sehen.
Ich schüttle ab, womit ich überschüttet werde.

Am Fuße meiner Leiter denke ich: Noch mal?
Ja, nun mit weiterem Blick,
freundlich zurück und sehr wachsam nach vorn.

Gesegnet sei alles, was verteidigt werden muß:
der Baum, mein und dein Leben.

Einen kleinen Traum nach vorn gönne ich mir wieder
und lache,

lache – auch über mich.