Wie Angela Merkel aus der einen in die andere Haut schlüpfte
Glückwunsch und Beileid zugleich
Wir „RotFüchse“ sollten uns schämen! Vor Monaten – in der Juli-Ausgabe – haben wir den 60. Geburtstag der „Mutter der Nation“ einfach unter den Tisch fallenlassen. Dabei gibt es an ihr doch so vieles, was eingehender Betrachtung wert gewesen wäre.
1954 geboren, wuchs Angela in Templin als Tochter des Pfarrers Horst Kasner auf, der in kirchlichen wie staatlichen Kreisen als eher linker Theologe galt. In der Schule glänzte sie mit guten Noten, besonders in Russisch und Mathematik. Sie erhielt zwar nicht die Jugendweihe, trat aber der Pionierorganisation und später der FDJ bei. Als Stellvertreterin des FDJ-Sekretärs ihrer Schule organisierte sie Veranstaltungen, wobei sie nie auf die blaue Bluse verzichtete. Zugleich mochte sie es augenscheinlich nicht, auf die Tätigkeit ihres Vaters angesprochen zu werden. In der 10. Klasse erhielt sie die Lessing-Medaille für hervorragende gesellschaftliche und schulische Leistungen. 1970 reiste sie im „Zug der Freundschaft“ zur Russisch-Olympiade nach Moskau. Die heute von ihr geschmähte DDR ermöglichte der Pfarrerstochter komplikationslos das Abitur. 1973 verließ sie die EOS mit dem bravourösen Notendurchschnitt von 1,0. Anschließend nahm Angela Kasner das Physikstudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität auf. Auch hier war sie eine rührige FDJlerin. Mit ihrer Jugendliebe, ihrem späteren Ehemann Ulrich Merkel, unternahm sie im Rahmen des sozialistischen Jugendaustausches Reisen nach Moskau und Leningrad. 1978 schrieb sie ihre Diplomarbeit.
Im selben Jahr wechselte Angela Merkel zum Zentralinstitut für Physikalische Chemie der DDR-Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof. 1982 scheiterte ihre Ehe. Vier Jahre später reichte sie ihre Dissertation ein, die mit Magna cum laude (Sehr gut) bewertet wurde. Gleichzeitig verfaßte sie eine Schrift zum Thema „Was ist sozialistische Lebensweise?“ Angela Merkel durfte auch einige Tage in die BRD reisen, was damals durchaus nicht jedermann gestattet wurde.
In der FDJ-Grundorganisation ihres Instituts bekleidete sie eine Leitungsfunktion. Heute behauptet sie, für Kultur zuständig gewesen zu sein. Weggefährten schwören indes darauf, sie habe sich mit Agitation und Propaganda befaßt. Angela Merkel war auch in der Betriebsgewerkschaftsleitung aktiv und trug dazu bei, daß ihr Institut hohes gesellschaftliches Ansehen gewann.
Bis hierher liest sich diese Biographie wie eine Lebensgeschichte, auf die jeder von uns stolz sein könnte. Was später aus dieser jungen Frau wurde, sollen andere zu Papier bringen.
Doch warum berichte ich so prononciert und ausführlich von der beispielhaften Schülerin, Studentin und auch in der UdSSR weiterqualifizierten Physikerin von einst? Ich tue es nicht, um die Bundeskanzlerin an jene Angela Merkel zu erinnern, die sich nach 1989 einer geistigen, politischen und biographischen Häutung unterzog. Es liegt mir fern, Häme und Spott zu empfinden, wenn ich an diesen Widerspruch erinnere. Und ich habe erst recht nichts mit der dümmlich-arroganten Sicht gewisser Enthüllungsschreiber gemein, die wie Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann in ihrem Elaborat „Das erste Leben der Angela Merkel“ genau jenen Abschnitt ihrer Entwicklung bloßzustellen trachten, der aller Ehren wert war. Mir sagt die FDJlerin weitaus mehr zu als die heutige Chefin des Geschäftsführenden Ausschusses des deutschen Kapitals. Ich erinnere an diesen besseren Teil ihrer Biographie, weil es einem schwerfällt, den anderen zu ertragen. Und ich stelle mir die FDJlerin Angela vor, die einst für Abrüstung stritt, und erschauere vor einer Frau, die sich über den weltweit dritten Rang der BRD im Rüstungsexport höchst erfreut zeigt.
Angela Merkels durchaus DDR-kritischer einstiger Professor Ralf Der sagte in einem Interview über sie: „Wir wollten Sozialismus, aber einen geänderten. … Nein, da muß es einen Bruch gegeben haben, den wir nicht verstehen. Der Bruch von dieser integren stimmigen Persönlichkeit, die wir erlebt haben, zu einer Person, bei der ich immer denke: Das ist sie doch gar nicht! Dieses CDU-Zeug! Das ist ja nicht mehr derselbe Mensch.“
Und ihr einstiger Akademiekollege Prof. Dr. Hans-Jörg Osten erinnert sich: „Im Institut gab es eine rührige FDJ-Leitung mit einer Sekretärin für Agitation und Propaganda, jener heutigen Frau Minister. Sie organisierte FDJ-Studienjahre, in denen eifrig darüber diskutiert wurde, wie dieser DDR-Sozialismus noch besser und vollkommener zu machen sei. … Mein letzter Kontakt mit Frau Merkel war im Dezember 1989. Auch da war noch immer nichts von einer Kämpferin gegen den Unrechtsstaat zu spüren. … Eigentlich ist es schade um eine ehemals hoffnungsvolle junge Physikerin.“
Das finde ich auch. Vor allem aber bedaure ich den Verlust der Gesellschaftsordnung, die offenbar bei ihr Gutes zum Vorschein brachte, obwohl man nicht weiß, ob ihr damaliges Engagement nicht ebenso auf Opportunismus beruhte wie ihr heutiges. Aber mir ist sogar eine auf Anpassung bedachte FDJlerin, die zum Frieden aufruft, lieber als jene Bundeskanzlerin, die im Gefolge Obamas „die Russen“, deren Sprache und Kultur sie einst so sehr zu lieben beteuerte, mit Verleumdungen überzieht.
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