Große Zeiten in der Nalepastraße
Die Erinnerungen an die Anfänge des demokratischen Rundfunks im Nachkriegsberlin 1946 (RF 216, S. 16) berührten mich insofern, als sie ein für mich wesentliches Spotlight auf mein Geburtsjahr warfen und die Quelle freilegten, aus der ich zehn Jahre später meinen Berufswunsch schöpfte, den zu erfüllen ich ein weiteres Jahrzehnt danach im Funkhaus an der Nalepastraße von Berlin-Oberschöneweide im 130 000 qm großen Radio-Heiligtum begann. Wie ein Flaggschiff vor Anker ragt der fünf Etagen hohe und bestimmt 250 Meter lange Baukörper des Block A, dem Architekt Franz Ehrlich und sein Team einen Turm mit acht Stockwerken an die Spitze gesetzt hatten, aus dem Areal heraus. Seit 1952 bildete er mit dem für qualitativ hochwertige Musik- und Hörspielproduktionen gedachten Block B das Herz aller überregionalen Radioprogramme der DDR.
1962 wurde dem legendären Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunkkomitees (für Funk und Fernsehen) der DDR Prof. Gerhart Eisler anläßlich seines 65. Geburtstages der Karl-Marx-Orden verliehen.
Bis dahin wurden unter sowjetischer Führung in der Vier-Sektoren-Stadt die Programme vom alten Funkhaus an der Masurenallee (einst: „Großdeutscher Rundfunk“) ausgestrahlt. Das konnte über kurz oder lang aber nicht gutgehen. Britisches Militär riegelte das Funkhaus Masurenallee mit Drahtverhauen ab und postierte seine Kontrollen rundherum, so daß die Belegschaft quasi eingesperrt war. Die DDR-Sender sollten verstummen. Trotzdem machten sie unerschrocken weiter.
Als ich am 1. September 1965 erstmals den Block A in der Nalepastraße betrat, war all das bereits Legende. Zwei lebende Legenden erwarteten mich indes in der Chefredaktion des Deutschlandsenders an einem mächtigen Konferenztisch aus massiver Eiche. Das waren der damalige Chefredakteur Georg Grasnick (heute Prof. Dr. und ständiger „RotFuchs“-Autor), der damals erst seit kurzer Zeit wieder auf freiem Fuß leben durfte, nachdem man ihn in Westdeutschland unter fadenscheinigen Vorwänden wegen seiner journalistischen und politischen Tätigkeit für den Sender ins Gefängnis geworfen hatte. Zum anderen Kurt Goldstein, damals stellvertretender Chefredakteur, vormals Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien. Er hatte das KZ Auschwitz und den Todesmarsch nach Buchenwald überlebt und beschrieb sich selbst als kommunistischen Juden, jüdischen Deutschen und deutschen Kommunisten. So war er die leibhaftige Personifizierung des Leitbildes eines Patrioten und proletarischen Internationalisten. Kurt war vor allem auch eine Seele von Mensch. Solange es ihn gab (er starb im September 2007) wurde er nicht müde, die aus eigenem Erleben gewonnenen Erfahrungen als Mahnung und Warnung unter das Volk zu bringen sowie als tief verinnerlichte Überzeugung auf seine Mitarbeiter zu übertragen: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“
Die beiden Leiter blickten heiter auf mich, den Kandidaten. Sie freuten sich wohl einfach, endlich jemanden in ihrem Arbeitsbereich zu wissen, der weder durch Hunger, Fliegeralarm und Artilleriebeschuß für sein ganzes Leben geprägt noch aus den geistigen Ruinen überwundener Zeiten aufzuerstehen genötigt war. Eine ganze Menge Hoffnung lag in ihrem Blick, daß die „46er Nachkriegsproduktion“ wertvolle „Friedensware“ werden könne.
Haben wir diese Hoffnungen erfüllt?
Sendungen – hier eine willkürliche Auswahl – wie „Dem Frieden die Freiheit“, „Alte Liebe rostet nicht“, „Was ist denn heut’ bei Findigs los?“, Straßenbekanntschaften“, „Unser Land – unser Leben“, „Hey, hey, hey – Sport an der Spree“, „Wir über 60“ und „Hallo – das Jugendjournal“ markieren ein Generationen-Radio, das es verdient, von der Quelle bis zur Mündung in Erinnerung gerufen zu werden.
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