Ein Buch über Kuba, das Position bezieht
Hans Modrow im Gespräch
mit Volker Hermsdorf
An Kuba scheiden sich seit Jahrzehnten die politischen Geister. Der sozialistische Inselstaat in der Karibik ist eine gesellschaftliche Alternative zum sich immer aggressiver und menschenverachtender gebärdenden Imperialismus. Das ist unbestritten. Doch die Bilder der Wahrheit werden gar schnell verzeichnet. Auch in den Reihen der Linken ist das dort verbreitete Kuba-Bild verschwommen, nicht aus Mangel an erwerbbarem Wissen, sondern eher aus fehlender Haltung. Es gibt für das Verhältnis zu Kuba kein treffenderes Wort als Standpunkt, getragen von marxistischer Analyse.
Im Verlag Wiljo Heinen – einem der wenigen meist kleineren Verlage, in denen politische Analysen nicht dem verheerenden „Zeitgeist“ geopfert werden – erschien zu Jahresbeginn ein Buch über die Insel. Volker Hermsdorf führte monatelang Gespräche mit Hans Modrow. „Amboß oder Hammer“ umfaßt 430 Seiten. Es handelt sich aus meiner Sicht um die tiefgründigste und aufrichtigste Information über Kuba, die hierzulande derzeit vorliegt.
Nun ist Hans Modrow, was politische Welterfahrung betrifft, durchaus kein Einsteiger. Ein Aussteiger ist er schon gar nicht.
17 Monate später als Fidel Castro und im selben Jahr wie Che Guevara geboren, ist er in der Tat ein sozialistischer Zeitgenosse und sachkundiger Zeitzeuge zu dem Geschehen seit dem Sieg der kubanischen Revolution. Die Fragen des Interviewbandes greifen bis in die Jugendzeit und die frühe politische Tätigkeit des Befragten zurück. Dabei geht es auch um einen Vergleich von Erfahrungen in der DDR und auf Kuba sowie um die Gründe, wieso die DDR unterging und Kuba sich zu behaupten wußte. Beide Länder waren von Beginn an im Willen verbunden, eine menschliche, antikapitalistische Gesellschaft aufzubauen.
Das Buch hat elf Kapitel. In ihnen widerspiegelt sich ein Stück Weltgeschichte. Das erfolgt nicht wie bei manch anderen sich links gebärdenden Autoren im Zerrspiegel.
Hans Modrow stellt sich die Frage, wieso sich Kuba ungeachtet aller von den USA ausgehenden Vernichtungsversuche auf sämtlichen Ebenen behaupten konnte, und gelangt dabei zu einem, wie mir scheint, sehr wesentlichen Ergebnis, das auch den Untergang der DDR verstehen hilft. „In Kuba haben sich Menschen meiner Generation diese Möglichkeit zehn Jahre später mit der Waffe in der Hand erkämpfen müssen. Uns fehlt dieses Erlebnis der Revolution.“
Hans Modrow hat Kuba zwischen 1970 und 2014 neunmal – nicht als Tourist – besucht. Er war stets in politischer Mission unterwegs. So sind sein Bericht und sein Urteil politisch substanzreich. Das betrifft vor allem jene Kapitel, in denen er – positiv und solidarisch – die Systemfrage aufwirft. Im Kapitel „Alternativen und Hoffnungen“ gelangt er mit Blick auf Kuba zu dem Schluß, daß eine andere Welt möglich ist. Das geschieht sehr behutsam. Der Leser spürt bei den Antworten die politische Sensibilität der Thematik. Nicht zuletzt ist es die von Kuba auf ganz Lateinamerika ausstrahlende Anpassung des Sozialismus an die Gegebenheiten der aktuellen Situation. Wenn sich fernab von den Schauplätzen solcher Weiterentwicklung der sozialistischen Idee, die Marx und Lenin nicht außer acht läßt, unter uns bisweilen ein eher akademischer Streit vollzieht, so läßt uns Hans Modrow am praktischen und theoretischen Ringen um die gesellschaftliche Alternative teilhaben.
Es bereitet Spätergeborenen Freude, wenn er betont, daß die DDR und Kuba zu allen Zeiten gute Beziehungen unterhielten. Auch für mich war es ein nicht verblassendes Erlebnis, wie ich mit Kubanern, die in der Lausitz eine Ausbildung erfuhren, zusammengetroffen bin. Was für eine Begeisterung, welche Lebensfreude, welch ein Wissensdurst – so hatte ich es bei uns nie erlebt. Revolutionäres Feuer eben. Selbstredend begeisterte mich Fidel Castro, der begnadete Volkstribun. Der erste in deutscher Sprache erschienene Sammelband seiner Reden – er kam zur Zeit der Kubakrise heraus – war Verheißung. Revolutionärer Elan sieht, so nahm man es wahr, anders aus als das, was ich im eigenen Land nur allzuoft wahrnehmen mußte. Mit den Antworten auf diesbezügliche Fragen wird das Verstehen der kubanischen Revolution erleichtert.
Hans Modrow wendet sich auch Fragen der Ökonomie zu. Im Kapitel „Wirtschaftsbeziehungen und gegenseitiger Vorteil“ wertet er das einstmals in der DDR in Angriff genommene, dann aber bald wieder aufgegebene Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft mit Blick auf Kuba. Er nennt es „eine Phase der Suche, eine Phase der Öffnung und der offenen Debatten. Das sind Ansätze, die heute in ähnlicher Art auch in Kuba diskutiert werden“, stellt er fest.
Die beiden am Buch Beteiligten – Hans Modrow, der nie seine DDR-Wurzeln verleugnet, und der westdeutsche Journalist Volker Hermsdorf – haben einen höchst gewinnbringenden Dialog über Kuba geführt. Der Interviewer ließ sich dabei von der mittlerweile eher seltenen Gabe leiten, Entwicklungen, Prozesse und Widersprüche zu ergründen, wobei er voll in der Materie steht. Hans Modrow vermittelt Erfahrungen seiner Generation. Fundiert, ambitioniert wertet er den revolutionären Prozeß aus.
Kuba verblüfft immer aufs neue die Welt mit selbstloser internationalistischer Hilfe. Als die kapitalistischen Staaten, einschließlich der BRD, bei der Ebola-Bekämpfung noch recht tatenlos zuschauten, befanden sich bereits Hunderte kubanischer Ärzte im Einsatz. Die heutige Leistungsfähigkeit der Inselrepublik auf medizinischem Gebiet sowie in der pharmazeutischen Forschung und Produktion haben auch in der Kooperation mit der DDR ihre Wurzeln, läßt Modrow wissen.
Barack Obamas Erkenntnis, daß Kubas Isolierung nicht funktioniert hat, war eine späte Erleuchtung des Herrn im Weißen Haus. In „Amboß oder Hammer“ machen die Beteiligten klar, warum das so ist und wie es sich erklärt, daß sich Kuba seit Fidel Castros Einzug in Havanna nicht vom US-Imperialismus politisch weichklopfen ließ.
Kuba wurde wie kaum ein anderes Land zum Leuchtfeuer sozialistischer Ideen und zum Initiator neuer, den Gang der Welt befruchtender Konzepte. Dank seiner großen Erfahrungen, die er in mehr als einem halben Jahrhundert politischen Wirkens sammeln konnte, aber auch seiner analytischen Fähigkeit wie der Zurückweisung europäischer Großmannssucht und politischer Beckmesserei, hat Hans Modrow in dem hier besprochenen Sachbuch Wichtiges dazu vermittelt. Der Interviewband nimmt den Leser gefangen und bereichert das Wissen all jener, denen es um ein unverfälschtes Bild Kubas, Lateinamerikas und der Welt geht. Deshalb empfehle ich seine Lektüre.
Volker Hermsdorf / Hans Modrow:
Amboß oder Hammer
Gespräche über Kuba
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2015, 430 S.
16,00 €
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