RotFuchs 196 – Mai 2014

Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (Teil 2)

Heinz Birch erzählt

Heinz Birch

Nachdem wir die Hürde einer Einreise nach Großbritannien genommen hatten, reiften weitere Pläne. Zu meinem Arbeitsbereich in der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED gehörten auch die Beziehungen zur Kommunistischen Partei der USA und zur Kommunistischen Partei Kanadas. 1972 fand in New York der 20. Parteitag der KP der USA statt, und wir hielten es für angebracht, der Einladung zur Teilnahme unbedingt zu folgen. Leiter der Delegation sollte das ZK-Mitglied Horst Brasch, Generalsekretär der Liga für Völkerfreundschaft, sein. Er hatte während der faschistischen Diktatur als Emigrant in Großbritannien gelebt und sprach fließend Englisch. Als Begleiter war ich ausersehen. Zur Einholung der Visa fuhren wir zum Generalkonsulat der USA, das sich neben dem Hauptquartier der in Westberlin stationierten Einheiten der U.S. Army befand.

In der Clay-Allee wurden wir nicht unfreundlich empfangen. Nachdem wir unser Anliegen vorgetragen hatten, bat man uns, einen Augenblick Platz zu nehmen, da man erst den Generalkonsul unterrichten müsse. Nach der Vorstellung lud er Genossen Brasch zu einem Gespräch in sein Arbeitszimmer ein. Mir wurde Mr. Meyer mit der Bemerkung präsentiert, er sei erst kürzlich angereist und solle Erfahrungen in der Gesprächsführung mit Besuchern sammeln.

Mr. Meyer bat mich in sein Zimmer und begann mit Fragen, die ganz und gar nichts mit unserem Reisebegehren zu tun hatten. Er wußte, daß wir SED-Mitglieder waren und zu einer Veranstaltung der KP seines Landes reisen wollten. Seine Erkundigungen, die ich noch immer im Ohr habe, lauteten: „Wie und warum sind sie Mitglied der SED geworden? Was haben Sie für Hobbies?“ Mich verdroß die plumpe Manier des Herangehens an ein Gespräch. Doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern entgegnete, wir seien wegen eines Reisevisums gekommen, wobei die Beweggründe für meinen SED-Eintritt wohl keine Rolle spielten.

Zur Erläuterung sei gesagt, daß wir im Antrag angeben mußten, ob wir einer „kommunistischen Organisation“ angehörten, wobei sogar Gewerkschaften einbegriffen waren. Zu den dort schwarz auf weiß gestellten Fragen gehörten auch Erkundigungen nach Geschlechts- oder Erbkrankheiten, Drogengenuß und der Summe zur Verfügung stehender Valuta-Reisemittel.

Während die Unterhaltung des Generalkonsuls mit Horst Brasch recht lange dauerte, befragte mich Mr. Meyer nach meinen nationalen Eß-Vorlieben – chinesisch oder mexikanisch. Danach wollte er mir etwas von New Yorks China Town erzählen, wovon ich sicher noch nichts gehört hätte. Leider mußte ich ihn enttäuschen, weil mir die Thematik bestens bekannt war. Die Minuten vergingen qualvoll, doch irgendwann konnten wir das illustre „Gespräch“ beenden.

Horst Brasch erschien mit dem Generalkonsul in der Tür, und nun war ich bei ihm an der Reihe. Die Unterhaltung dauerte nicht lange, da sich der Konsul über unser Anliegen inzwischen bestens informiert fühlte. Einen positiven Bescheid konnte er uns nicht in Aussicht stellen, betonte aber, wenn es nach ihm persönlich ginge, hätte er uns gern die Visa ausgestellt. Doch leider, leider müsse er ja zunächst das State Department informieren und die dortige Entscheidung abwarten. Wir sollten in zwei bis drei Wochen nachfragen.

Als ich mich nach dieser Frist abermals zum Generalkonsulat begab, lautete die Auskunft: „Leider können wir Ihnen die Visa nicht erteilen.“ Gründe dafür wurden nicht genannt. So konnten wir den Verlauf und die Ergebnisse des 20. Parteitags der KP der USA nur anhand der gedruckt vorliegenden Dokumente verfolgen. Zeitungen, Zeitschriften und Literatur über Entwicklungen in den USA standen mir ja reichhaltig zur Verfügung. Die Gespräche mit Mitgliedern der KP, die in der DDR zu Besuch weilten, boten die Möglichkeit, die Bedingungen ihrer politischen Arbeit und ihres Kampfes kennenzulernen. Doch nichts kann einen Aufenthalt an Ort und Stelle ersetzen. Erst dort bekommt man ein reales Bild vom Land und ein echtes Gespür für Entwicklungen, Schwierigkeiten und Perspektiven. Deshalb gab ich den Plan nicht auf, eines Tages in die USA reisen zu können.

Im Institut für Marxismus-Leninismus, in dessen Gebäude sich auch das Zentrale Parteiarchiv der SED befand, arbeitete man in den 70er Jahren an der Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels. Mit dem Leiter des Parteiarchivs, Prof. Dr. Heino Voske, unterhielt ich seit längerer Zeit gute Kontakte. Er war ständig auf der Suche nach Schriften der Klassiker, die auf die eine oder andere Weise in die USA geraten waren. Daß es dort einiges zu holen gab, hatten wir mit Hilfe von Insidern und vor allem mit Unterstützung des USA-Forschers Prof. Philip S. Foner bereits erkunden können. Solches Material war oftmals recht teuer, besonders wenn es sich um Originale handelte. Tatsächlich unterhielten Marx und Engels vielfältige Verbindungen nach Übersee. Sie führten eine ausgedehnte Korrespondenz und veröffentlichten in Zeitschriften der Vereinigten Staaten ihre Artikel.

Heino Voske fragte mich eines Tages, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm in die USA zu reisen. Er wollte eigene Recherchen anstellen und versuchen, möglichst viele Dokumente von der Hand der beiden Großen oder über sie zu erwerben. Natürlich bedurfte es dazu eines Beschlusses der Parteiführung. Paul Markowski, mein Abteilungsleiter im ZK, unterstützte das Anliegen sofort.

Nachdem die Entscheidung getroffen war, mußten wir uns in das Generalkonsulat der USA nach Westberlin begeben. Empfangen wurden wir – welch Wunder! – einmal mehr von Mr. Meyer. Alles lief in ähnlicher Weise wie im Falle unseres Antrags vor dem 20. Parteitag der KP der USA ab. Heino Voske war vielleicht weniger „anrüchig“, da er als Professor ein Archiv verwaltete und nicht in der Zentrale der Partei saß. Als entsendende Institution gaben wir das Institut für Marxismus-Leninismus an, wobei wir den Zusatz „beim ZK der SED“ wegließen.

Im Gespräch, das Mr. Meyer mit mir führte, spielten wieder Dinge eine Rolle, die mit dem Antrag nichts zu tun hatten. Ich handelte auch diesmal nach dem Motto: Viel reden, ohne etwas zu sagen! Über eine Formulierung meines Antrags konnte Mr. Meyer jedoch nur schwer hinwegkommen. Er könne nicht begreifen, wieso ich mich nun als „Berater des IML“ um eine Einreise bewerbe. Ob ich denn den Job gewechselt hätte, erkundigte er sich. Natürlich konnte ich dazu nicht bejahend antworten. Ich erklärte ihm deshalb, daß ich mit Prof. Voske befreundet sei und mich neben meiner eigentlichen Arbeit im IML wissenschaftlich betätigte. Auf Grund unserer Freundschaft und seiner mangelnden Sprachkenntnisse im Englischen habe mich der Professor um eine Begleitung gebeten. Meine Arbeitsstelle beurlaube mich für diesen Zeitraum.

Der Generalkonsul stellte uns gegenüber wiederum seine Hilflosigkeit zur Schau und betonte, daß er nur allzu gerne die Visa erteilen würde. Leider aber habe Washington hier das letzte Wort.

Uns war von Beginn an klar, daß die Erlangung einer Einreisegenehmigung mit Schwierigkeiten verbunden sein würde. So informierten wir Prof. Foner, der uns zuvor schon vielfältige Hilfe erwiesen hatte, über die Antragstellung. In Abstimmung mit ihm legten wir den Termin der An- und Abreise fest. Auch die Flugkarten wurden bereits gebucht. Gewissermaßen handelten wir nach Che Guevaras Motto: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“