Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (Teil 1)
Heinz Birch erzählt
Ganz gleich welche Arbeit oder Aufgaben man im Leben zu erfüllen hat, eines sollte man dabei immer bedenken: Man darf sich niemals zu wichtig nehmen. Man ist eben stets nur ein Rädchen im großen Getriebe der Gesellschaft oder der Welt. Ich trete bei dieser Geschichte ins Bild, doch vorerst nur in einer Nebenrolle. Jedem anderen hätte diese Rolle ebenfalls zugedacht worden sein können. Allerdings wird hier deutlich, mit welchen Mitteln die USA und deren Bündnispartner die Entwicklung der DDR zu stören, ihre Ausstrahlungskraft zu verhindern suchten. Erklärtes Ziel war immer die Blockierung jeglicher sozialistischen Entwicklung oder deren Rückgängigmachung, was ihnen in Europa leider auch gelungen ist.
Das war allerdings in jenem Jahr, als ich zum ersten Mal einem gewissen Mr. Meyer begegnete, noch nicht abzusehen. Lange Zeit habe ich nicht an das mehrmalige „zufällige“ Zusammentreffen mit diesem Mann gedacht. Erst als ich mit Aufzeichnungen über meinen Lebensweg begann, kam er mir plötzlich wieder in Erinnerung. Bevor ich jedoch zur eigentlichen Geschichte vordringe, bedarf es noch einiger Bemerkungen. Während meiner Tätigkeit in der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED kam ich mit vielen Genossen der KP Großbritanniens zusammen, die im Rahmen der Parteibeziehungen die DDR besuchten. Zu einigen von ihnen entwickelten sich enge freundschaftliche Kontakte. Die SED war bestrebt, den britischen Genossen trotz begrenzter eigener finanzieller und materieller Möglichkeiten maximale Unterstützung zu gewähren, sei es durch die Bereitstellung von Urlaubsplätzen oder Hilfe bei Erkrankungen. Auch die Zusammenarbeit mit der Londoner Marx-Gedenkbibliothek und die Pflege der letzten Ruhestätte von Karl Marx auf dem Highgate-Friedhof gehörten dazu. Obwohl in der DDR westliche Valuta knapp war, wurden für Restaurierungen am Grabmal von Marx Mittel bereitgestellt. Die weitere Pflege erfolgte nach Etablierung einer Mission der Kammer für Außenhandel in London durch die Kinder der Mitarbeiter. Bei Besuchen führender Genossen der KP Großbritanniens erhielt das ZK der SED wiederholt Einladungen zur Entsendung einer Delegation. Sie wurden mit Dank angenommen, da es reges Interesse dafür gab, an Ort und Stelle die Kampfbedingungen der Bruderpartei zu studieren.
Leider waren die Bemühungen zunächst vergebens. Bis zum Anfang der 70er Jahre existierte in Berlin das sogenannte Allied Travel Office. Es war eine typische Institution des Kalten Krieges. Wer als DDR-Bürger ins westliche Ausland reisen wollte, mußte sich dort eine Reisebescheinigung – den Travel-Paß – besorgen. Darin wurde nicht etwa bestätigt, der Bürger XYZ wolle und dürfe nach Frankreich, Großbritannien, in die USA oder einen anderen westlichen Staat reisen. Für das Travel Office existierte die DDR-Staatsbürgerschaft nicht. Bekam man von ihm ein Reisedokument, so stand unter der Rubrik Staatsangehörigkeit stets „presumed German“. Das hieß soviel wie: mutmaßlich Deutscher.
Schließlich wurde vom Politbüro beschlossen, eine SED-Delegation zum Erfahrungsaustausch nach London zu entsenden. Nun begannen für mich endlose Laufereien. Mehrmals begab ich mich mit dem Auftrag nach Westberlin, Visa für die Mitglieder der Delegation einzuholen, zu der auch ich gehören sollte. Mein erster Weg führte mich zum britischen Konsulat. Dort erklärte mir der Konsul, daß ich mich zunächst zum Allied Travel Office begeben müßte, um von dort entsprechende Pässe beizubringen. In die Reisedokumente der DDR wollten die Briten kein Visum stempeln, da sie in ihren Augen nicht existierte. Es war die Zeit der Hallstein-Doktrin, also der Alleinvertretungsanmaßung der BRD. Da durfte das Konsulat keinen Schritt tun, der auch nur vage einer Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR nahe gekommen wäre.
Was sollte ich tun? Wohl oder übel mußte ich das Travel Office aufsuchen. Das war allerdings gar nicht so leicht. Bei meinen Fahrten nach Westberlin bekam ich nämlich nur 5 DM in die Hand gedrückt. Der in unserer Abteilung für „Reisekosten“ zuständige Genosse erwartete, daß man nach einem „Ausflug in westliche Gefilde“ möglichst den vollen Betrag zurückerstattete. Wenn es zu keinen außergewöhnlichen Ereignissen kam, wurde das von den „Reisenden“ auch so gehandhabt.
Im Travel Office angekommen, konnte ich mein Anliegen vorbringen. Doch ein Erfolg war mir nicht beschieden. Mein Hinweis auf den britischen Konsul brachte mich nicht weiter. Der Beamte im Travel Office empfahl mir, zum britischen Konsulat zurückzugehen und dem Konsul mitzuteilen, daß ich für die Ausstellung des Passes auf alle Fälle erst ein Visum beibringen müßte. Also tat ich, was mir empfohlen worden war. Der Konsul beharrte indes darauf, daß er zur Ausstellung der Visa die Travel-Pässe benötige. So hätte ich tagelang hin- und herpendeln können, ohne einen Schritt weiterzukommen.
Mehrfach mußte ich den Versuch zur Erlangung der Einreisevisa nach Großbritannien wiederholen. In meiner Abteilung wurde ich schon ein wenig belächelt. Vielen war es bereits gelungen, in Länder wie Dänemark, Belgien, Holland oder Finnland zu fahren. Daher ging der gutgemeinte Spruch um, ich sei ein weitgereister Weltenbummler, wenn es auch nur bis Westberlin gereicht habe.
Kurz vor der weltweiten Anerkennungswelle der DDR konnte dann 1970 eine SED-Delegation unter der Leitung von Kurt Seibt, der ich als Sekretär angehörte, doch nach London reisen. Das Visum wurde zu dieser Zeit jedoch noch immer nicht in die DDR-Pässe gestempelt: Man bekam es auf einer Einlage. Schon die Überschrift war bezeichnend für die damalige Phase des Kalten Krieges: DECLARATION OF IDENTITY FOR VISA PURPOSES (Identitätsbescheinigung für Visazwecke). Damit besaß ich zwar ein Papier, mit dessen Hilfe ich mich als Heinz Birch ausweisen konnte, aber weder Staatsangehörigkeit noch Nationalität waren darauf vermerkt. Meinen Paß nahm bei der Einreise in London auch niemand zur Kenntnis. Für die Grenz- und Zollkontrolle war allein die mit einem Foto versehene DECLARATION maßgeblich. Mit solchen Lächerlichkeiten meinte man, die weltweite Anerkennung der DDR aufhalten zu können.
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