Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten
(Teil 4 und Schluß)
Heinz Birch erzählt
Wieder gingen Jahre ins Land, ohne daß ich von Mr. Meyer etwas gesehen oder gehört hätte. Nach Abschluß meiner Tätigkeit in Indien war ich Stellvertreter des Leiters der Abteilung USA-Kanada-Japan-Australien-Neuseeland im DDR-Außenministerium. In dieser Zeit lernte ich viele US-Diplomaten neu kennen. Die Lage hatte sich verändert, und die Steifheit früherer Jahre war etwas gewichen. Man versuchte nicht mehr, sich möglichst aus dem Wege zu gehen. In der einen oder anderen Frage gab es sogar Ansätze zur Zusammenarbeit. Aber Freunde konnten wir nicht werden, wußten wir doch, daß das erklärte Ziel der USA-Politik nach wie vor darin bestand, den Status quo zu überwinden, was die Beseitigung der DDR und des Sozialismus bedeutete.
Nach langen und zähen Verhandlungen erzielten wir einen Fortschritt in den Beziehungen mit Kanada. Sein Botschafter in Warschau, Alan McLain, der zugleich in Berlin akkreditiert war, hatte maßgeblichen Anteil daran, daß wir Anfang 1988 in Ottawa eine Botschaft errichten konnten. Im Februar traten Lilo und ich die Reise dorthin an. Kurz danach wurde ich als Botschafter akkreditiert. So hatten wir das Glück, noch zu den Olympischen Winterspielen in Calgary fahren zu können. Danach aber begann der Alltag des diplomatischen Lebens in Kanada.
Den Regeln des Protokolls entsprechend standen in den ersten Monaten die Antrittsbesuche bei den anderen Botschaftern an. Das führte mich eines Tages auch zum Leiter der Vertretung der Vereinigten Staaten. Der Leser wird bereits ahnen, wer mich dort erwartete.
Die USA-Botschaft befand sich in einem imposanten alten Gebäude mit einem weit ausladenden Portal. Die prächtigen Arbeitsräume meines Amtskollegen befanden sich im 1. Stock. Für einen Mann seines Ranges und den Repräsentanten einer Weltmacht ziemte es sich offensichtlich nicht, mich – wie üblich – am Eingang des Hauses selbst zu begrüßen. Dazu hatte er seine Leute. Ich fuhr in unserer Staatskarosse vor, stieg aus, das Portal öffnete sich, und wer stand – zu meinem Empfang angetreten – vor mir? Mr. Meyer hieß mich willkommen, als ob es das Normalste auf der Welt wäre, daß ausgerechnet er es sein mußte, der mir auf exterritorialem Gebiet der USA in Kanada als erster die Hand schütteln durfte. Er plauderte munter drauf los, als wir die Stufen zum Arbeitszimmer des Botschafters emporstiegen, erzählte begeistert von seiner Zeit in Israel und freute sich – zumindest verbal – über das erneute Wiedersehen. Er halte es für ein Wunder, daß man sich nach so langer Zeit wiederbegegne. Sicher hätten wir noch viele Gelegenheiten, einander zu sehen.
An ein Wunder glaubte ich in diesem Moment allerdings nicht und meinte, an seinen Augen ablesen zu können, daß Mr. Meyers Euphorie über diesen „Zufall“ vorgetäuscht war. Was seinen Wunsch in bezug auf „viele Gelegenheiten des Wiedersehens“ betraf, hatte ich keinerlei eigene Wünsche, jedenfalls nicht solche, die den seinen hätten entsprechen können.
Sicher war ich nicht der Nabel der Welt, und Mr. Meyer erfüllte bestimmt Aufgaben vielfältiger Natur, die wohl kaum auf mich als Person ausgerichtet sein konnten. Dennoch erschien es mir schon recht merkwürdig, daß ich ihn nun wiederum dort vorfand, wo ich meine Aufgaben für die DDR zu versehen hatte. Ein bißchen erinnerte das Ganze an die Geschichte vom Hasen und vom Igel. Nur rief mir Mr. Meyer nicht entgegen: „Ich bin schon hier!“ Nein, er betonte natürlich stets den Zufall. Aber unverhofft dürfte das alles wohl kaum gewesen sein!
Aus seinem Westberliner Nest heraus hatte sich Mr. Meyer einige Kenntnisse über die DDR und die Mentalität ihrer Menschen aneignen können, was ihn in den Augen der CIA offensichtlich dafür prädestinierte, gezielt zu beobachten, auf welchem Gebiet in Kanada die Interessen und Aktivitäten des sozialistischen deutschen Staates liegen würden. Wir waren also gewarnt und wußten, daß in der Botschaft der USA jemand saß, für den wir – die Mitarbeiter der Botschaft der DDR und zugleich auch unsere kanadischen Partner – von einem gewissen Interesse sein durften.
Manchmal begegnete ich Mr. Meyer in Ottawa auf Empfängen, konnte ihn aber meist auf Distanz halten, was nicht bedeutete, daß ich ihm damit immer zu entkommen vermochte.
Als Diplomat unterhält man Kontakte der verschiedensten Art. Es gibt Menschen, mit denen man gern zusammentrifft. So freut man sich, ihnen wieder und wieder zu begegnen. In manchen Fällen ergeben sich daraus durchaus von Sympathie getragene Beziehungen, die an Freundschaft grenzen. Aber selbst in solchen Situationen darf man die gebotene Vorsicht nicht außer acht lassen. Schließlich befanden wir uns in Kanada, also – bei aller Freundlichkeit der Menschen und der Höflichkeit seiner Politiker, Parlamentarier und Beamten – nicht in einem verbündeten Land.
Während unserer Tätigkeit in Ottawa spürten wir natürlich die Spannungen, die sich aus dem Kampf der Systeme ergaben. Besonders deutlich wurde das in der Zeit zwischen November/Dezember 1989 und der Volkskammerwahl am 18. März 1990. Mit ihr wurde de facto das Erlöschen der staatlichen Existenz der DDR eingeleitet, in der sich meine berufliche Entwicklung bis zum Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter vollzogen hatte. Nun wurde deutlicher denn je, wer und wo unsere Freunde waren. Zugleich verstärkten sich die Anfeindungen – bis hin zu Drohungen.
Mr. Meyer wird es gefreut haben, als wir mit dem Niedergang der DDR aus Kanada abzuziehen gezwungen waren. Vermutlich hat er es als Sieg, zumindest aber als Teilerfolg auch seiner Aktivitäten betrachtet. Man kann in diesem Fall nur Mutmaßungen anstellen. Wo immer er danach tätig gewesen ist – es dürfte wohl kaum im Interesse einfacher Menschen gelegen haben. Hinter seiner Maske der Freundlichkeit verbarg sich die Gesinnung eines Mannes, der die aggressiven Ziele und Absichten seiner Auftraggeber umsetzte.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Europas sind diese Ziele noch deutlicher hervorgetreten. Sie haben zu Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan und Irak, zu katastrophalen Entwicklungen in Afrika, zum Niedergang der Kultur und des Humanismus geführt. Doch eines Tages werden positive Veränderungen im Kräfteverhältnis auch in unserem Teil der Welt erzwungen werden, gegen welche die „Meyers“ machtlos sein dürften. Davon bin ich zutiefst überzeugt, auch wenn Menschen meiner Generation das sicher nicht mehr erleben werden.
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