RotFuchs 207 – April 2015

Helden des Roten Oktober

Steffen Kastner

Die im folgenden veröffentlichten Beiträge erschienen erstmals 1977. Unser Nestor Helmuth Hellge (92) schrieb sie im Rahmen seiner Serie „Helden des Roten Oktober“ zum 60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution für die Westberliner Zeitung „Die Wahrheit“ unter Pseudonym.

Wassili Iwanowitsch Tschapajew

Der Lauf der Geschichte will es, daß häufig aus Soldaten und Unteroffizieren der alten Armeen Kommandeure und Heerführer hervorgingen, die das ihnen von der herrschenden Klasse eingebleute militärische Abc den progressiven gesellschaftlichen Kräften zur Verfügung stellten – zunächst nur loyal, mit zunehmender Einsicht jedoch politisch engagiert.

Einen solchen Entwicklungsweg machte auch Wassili Iwanowitsch Tschapajew durch: Aus dem 1887 in Tschuwaschien geborenen und während des 1. Weltkrieges mehrfach mit dem zaristischen Georgskreuz ausgezeichneten Fähnrich wurde ein Mitglied der Kommunistischen Partei und der Kommandeur einer legendären Reiterdivision, ein Held des Bürgerkrieges!

W. I. Tschapajew war im besten Sinne ein Sohn des Volkes. Theoretische Überlegungen waren ihm ursprünglich fremd. Die politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit zwischen Bolschewiki, Menschewiki, Anarchisten, Sozialrevolutionären, Trudowiki, Kadetten u. v. a. waren zunächst nicht seine Sache. Er besaß indes einen gesunden Klasseninstinkt, vermochte zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und haßte jede Art von Ausbeutung. So fand er zwar erst 1917 zur Partei der Bolschewiki, wurde aber schon im gleichen Jahr zum Kriegskommissar der Garnison von Nikolajewsk ernannt. Sein persönlicher Einsatz galt der Festigung der Sowjetmacht. Er war kein großer Rhetoriker – aber seine Argumente zündeten, die Rotarmisten sowie die Arbeiter und Bauern unter seinen Zuhörern verstanden ihn, erkannten die Wahrheit seiner Worte. Zudem sprach er durch seine temperamentvolle, volksverbundene Art ungemein an. So scheute der Divisionskommandeur nicht davor zurück, nach einer Versammlung seine Tscherkessenmütze in die Stirn zu drücken, in die Hocke zu gehen und nach Ziehharmonikaklängen einen Kosakentanz vorzuführen.

Ungleich größeren Ruhm erwarb er sich natürlich, wenn er an der Spitze seiner Division mit gezogenem Säbel auf seinem Schimmel dem Feind entgegenstürmte. Der Feind – das waren die Kulakenverschwörer und die Weißkosaken des Ural, das war vor allem Admiral Koltschak, den die englischen Interventen als „Obersten Regenten“ Rußlands eingesetzt hatten. In Tschapajew fand er einen Gegenspieler, dem er nicht gewachsen war.

Spricht man von dem Kommandeur Tschapajew, so denkt man zugleich an seinen Kommissar Dmitri Andrejewitsch Furmanow. Während der eine die Feinheiten der Kriegskunst hervorragend beherrschte, war der andere auf politisch-weltanschaulichem Gebiet äußerst versiert, was ihm bei seiner Aufgabe in der sozialistischen Erziehung der Rotarmisten zugute kam. Beide ergänzten einander vorzüglich. Der Volksheld Tschapajew fand 1919 in einem Gefecht den Tod – seine Taten und sein Name leben im Gedächtnis seines Volkes fort.

Semjon Michailowitsch Budjonny

Es gibt sicher nur wenige Menschen, die schon zu Lebzeiten einen geradezu legendären Ruf haben. S. M. Budjonny gehörte zu ihnen. Im Jahre 1883 in der Gegend von Rostow am Don geboren, fiel seine Jugend in die Zeit revolutionärer Auseinandersetzungen zwischen reichen Grundbesitzern und der unterdrückten, ausgebeuteten Landbevölkerung. Der 1. Weltkrieg sah ihn zunächst als Unteroffizier in der zaristischen Armee – doch seine zunehmende Einsicht in die Zusammenhänge des imperialistischen Krieges und seine Autorität unter den Soldaten ließen ihn schon im Sommer 1917 an die Spitze revolutionärer Einheiten treten: Er wurde in Minsk zum Vorsitzenden des Regimentskomitees und zum stellvertretenden Vorsitzenden des Divisionskomitees gewählt. Als der weißgardistische General Kornilow durch einen Putsch die Militärdiktatur zu errichten suchte, entwaffneten die Truppen Budjonnys Teile der „Wilden Division“ des Konterrevolutionärs.

1919 schloß sich S. M. Budjonny den Bolschewiki an. Sein legendärer Ruf begründete sich besonders in den Jahren des Bürgerkrieges, als der Kommandeur einer Kavalleriedivision und später der 1. Reiterarmee die Bevölkerung des Donbass und des Nordkaukasus von dem Konterrevolutionär Denikin befreite. In diese Zeit fiel auch seine erste Begegnung mit Lenin. In seinen Memoiren schildert Budjonny diese wie folgt: „Ich war sehr aufgeregt – zum ersten Mal im Leben sollte ich Lenin sehen. Jeder Rotarmist, jeder Kommandeur und Politarbeiter trug Lenin im Herzen. Daraus schöpften wir die Kraft, die Sowjetmacht mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Ohne Lenin konnten wir uns die Sowjetrepublik, die Staatsmacht der Arbeiter und Bauern, gar nicht vorstellen ...“

Bedenkt man, daß S. M. Budjonny zu dieser Zeit bereits eine hohe eigene Autorität besaß, so sprechen diese Sätze für die Bescheidenheit des seinem Volk ergebenen Kämpfers. Sein persönlicher Einsatz, sein Draufgängertum waren es ja, die ihn bei seinen Soldaten zu hohem Ansehen gebracht hatten.

Über 12 Jahre war er als Inspekteur der Roten Armee maßgeblich an der Formierung einer schlagkräftigen Waffe zur Verteidigung des ersten sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern beteiligt. 1937 wurde Budjonny zum Befehlshaber der Truppen im Moskauer Militärbezirk ernannt, 1940 zum Ersten Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung der UdSSR.

Als erfahrener Heerführer befehligte er Truppen während des Großen Vaterländischen Krieges. Marschall S. M. Budjonny wurde dreimal als Held der Sowjetunion ausgezeichnet. Am 26. Oktober 1973 verstorben, lebt er mit seinen Taten im Herzen der Sowjetvölker und der Sozialisten in aller Welt weiter.