Heller schwimmt gegen den Strom
Wir stellen hier einen in der alten BRD aufgewachsenen und lebenden Autor vor, dessen schriftstellerisches Schaffen von ungewöhnlicher Vielfalt ist. Sein politisches Engagement offenbart beachtenswerte Konsequenz und Klarheit, wovon sich die RF-Leser bereits überzeugen konnten.
1941 im oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) geboren, wuchs Wolfgang Bittner in Ostfriesland auf und lebt heute in Göttingen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Göttingen und München ging er verschiedenen Berufs- und Erwerbstätigkeiten nach, so als Fürsorgeangestellter, Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland. Als ausgewiesener Kenner und Liebhaber literarischer Genres hat er seit Mitte der 70er Jahre selbst zur Feder gegriffen.
Er verfaßte zahlreiche Kinder- und Bilderbücher, Jugendromane, Sachbücher, Theaterstücke für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. In der Lyrik ist er ebenso zu Hause wie in der Prosa. Wolfgang Bittner publiziert in einer Reihe von Printmedien, wirkt für den Hörfunk und das Fernsehen als freier Mitarbeiter. Seine Werke, für die er mehrere Literaturpreise erhielt, wurden in viele Sprachen übersetzt. Auch als Bildender Künstler hat sich Wolfgang Bittner mit seinen Arbeiten (Metallplastiken, Malerei u. a.) einen Namen gemacht.
Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im PEN.
Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ bezeichnete Wolfgang Bittner als „singuläre Erscheinung auf dem Literaturmarkt der Eitelkeiten“. Aber er ist weit mehr, gehört er doch zu jenen Schriftstellern, welche ihre literarischen Abhandlungen nie losgelöst von den gesellschaftlichen Hintergründen betrachten und ihren politischen Standpunkt nicht verschweigen. Er ist einer, der den Mut hat, Farbe zu bekennen. Klare Aussagen zu den Grundfragen unserer Zeit sind ihm wichtig. Sein gesamtes literarisches Werk wird diesem Anspruch gerecht, so auch sein 2012 im Verlag André Thiele herausgegebener Roman „Hellers allmähliche Heimkehr“.
Der Journalist Martin Heller kehrt nach langen Jahren in seine norddeutsche Heimatstadt als Chefredakteur der Regionalzeitung zurück und versucht dort Fuß zu fassen, wo ihn immer noch starke Wurzeln mit seiner Kinder- und Jugendzeit verbinden. Der Anfang ist vielversprechend: Alte Freunde, eine neue Liebe, ein kollegiales Umfeld machen es ihm nicht allzu schwer, der Vergangenheit ade zu sagen und in der Gegenwart anzukommen. Doch genau hier beginnt sich schnell Ernüchterung einzustellen. Was ihm in der idyllischen Kleinstadt Salfelden begegnet, sprengt sein bisheriges Vorstellungsvermögen. Provinzialismus gepaart mit Standesdünkel ergibt einen idealen Nährboden für Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit. Versteckt hinter einer gutbürgerlichen Fassade agiert ein von einflußreichen, korrupten Beamten, Unternehmern und Politikern gebildeter Bund, der es einer Gruppe Rechtsradikaler ermöglicht, gedeckt und geschützt von Polizei und bekannten Stadtgrößen ungestraft ihr Unwesen zu treiben.
Heller muß sich entscheiden. Und er tut es. Sein Welt- und Menschenbild gebietet ihm, mit seinen journalistischen Möglichkeiten gegen den vorgefundenen Filz vorzugehen und die Bürger wahrheitsgemäß zu informieren. Er ist ein Kämpfer, kein Duckmäuser. Und so deckt er Skandal für Skandal auf, berichtet darüber und gerät naturgemäß mit dem Herausgeber und Eigentümer des Blattes, der selbst in das rechtsradikale Milieu verstrickt ist, in Konflikt. Was sich in größeren Dimensionen im Landesmaßstab politisch fernab vom einzelnen vollzieht, kann man in der kleinen Stadt hautnah erleben. Sie alle haben ein Gesicht, einen Namen, eine Adresse: der Sparkassendirektor, der Leiter des Finanzamtes, der Direktor des Amtsgerichts, Kaufleute, Fabrikbesitzer, Rechtsanwälte, höhere Beamte … Man kennt und schätzt sich, weil sie alle eins verbindet: Geld, Macht und Einfluß. So läßt man jene gewähren, die mit ihren faschistischen Umtrieben den Geist, dem man selbst anhängt, wachhalten.
„Hellers allmähliche Heimkehr“ ist sowohl ein lyrischer als auch ein kämpferischer Roman. Einfühlsam werden ebenso die Tiefen der menschlichen Psyche wie das aus der kapitalistischen Ordnung resultierende Handeln der Menschen erklärt.
Wolfgang Bittners Sprachstil ist spannungsbetont und macht neugierig auf die nächste Seite. Er beherrscht die Kunst der literarischen Argumentation, bei der es nie langweilig wird und die den Leser zu tieferen Einsichten über politische Vorgänge aus Vergangenheit und Gegenwart führt.
Der Autor läßt seinen Romanhelden sagen: „Unsere Geschichte wird so sein, wie wir sie gestalten.“ Heller handelt ganz in diesem Sinne und findet am Ende bestätigt, daß es richtig war, heimzukehren, dorthin, wo es Menschen gibt, die sich wie er der Verteidigung der Würde des Individuums verpflichtet fühlen.
Wolfgang Bittner:
Hellers allmähliche Heimkehr
Verlag André Thiele, Mainz 2012
242 S.
19,90 €
Nachricht 1181 von 2043