Heuchler und Roßtäuscher
Ein Satz Martin Luthers soll in goldenen Lettern das Wittenberger Rathaus zieren: „Fürchte Gott, ehre die Obrigkeit und sei nicht unter den Aufrührern.“ Seit ein 1990 plötzlich aufrührerischer Pfarrer, der Luthers Pfad hätte folgen sollen, BRD-Staatsoberhaupt wurde und viele seiner Amtsbrüder sich brüsten, sie wären „Dissidenten“ gewesen, scheint eine Ära neuer christlicher Wertvorstellungen angebrochen zu sein. Die erste Prüfungsfrage lautet heutzutage: Wie heldenhaft hast Du gegen die DDR-Oberen gekämpft? Besonders Penetrantes darüber ist in den Texten von und über Joachim Gauck zu finden.
Anders verhält es sich mit dem Buch Klaus Blessings und Manfred Manteuffels. Seitdem ich es gelesen habe, assoziiere ich den Hausherrn im Schloß Bellevue mit der Hauptfigur des Andersen-Märchens über „des Kaisers neue Kleider“. Zu vieles ähnelt in Gaucks Habitus und Lebensweg dem Märchenmonarchen.
Fast jeder hierzulande weiß: Andersens Kaiser war eitel und liebte elegante Kleider über alles. Zwei Betrüger, die sich als Weber ausgaben, boten dem Landesherrn an, ihm die schönsten Gewänder verschaffen zu wollen. Diese besäßen zugleich auch die Eigenschaft, für jedermann unsichtbar zu sein, der nicht für sein Amt tauge oder anderweitig mit Dummheit geschlagen sei. Um nicht in einen solchen Verdacht zu geraten, fanden des Kaisers Hofschranzen das nicht vorhandene Kostüm entzückend, während das Volk dem nackten Monarchen zujubelte. Niemand wollte da als dumm gelten. Der Kaiser aber war überglücklich. …
Auch Gauck ist von „Kammerherren“ umgeben. Der Ex-Pfarrer sei die Verkörperung christlich-abendländischer Werte, behaupten sie. Wer nicht daran glaube, sei ein gemeingefährlicher Ketzer.
Blessings und Manteuffels Buch hilft zu erkennen, wer Gaucks „neue Kleider“ geschneidert hat, bevor er den Thron besteigen und die Huldigung seiner Anhängerschaft entgegennehmen konnte.
Da ist die Legende vom Nazi-Vater, den die Sowjets verhaftet und trotz erwiesener Unschuld verurteilt hätten, so daß der Sohn folgerichtigerweise Antikommunist habe werden müssen.
Da ist die Fabel, Gauck habe – wie er auch in der ZDF-Sendung vom 17. April 1991 erklärte – zu keinem Zeitpunkt mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet, obwohl er in dessen Vorgängen mit dem treffenden Namen „Larve“ geführt worden sei, bevor er die Maske abwarf, zum großen Halali auf DDR-Funktionäre blies und sich als Bannerträger jener Geschichtsfälscher erwies, welche den deutschen Friedensstaat mit der Nazi-Diktatur gleichsetzen.
Gauck bezeichnete es als „grobes Unrecht“ der Kommunisten, 1950 die Grenze an Oder und Neiße als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannt zu haben. Eine Großtat für den Frieden – die Versöhnung mit Polen – fälschte der Kirchenmann in ihr Gegenteil um. Daß eine Inquisitionsbehörde mit seinem Namen für kurze Zeit finstere Seiten der deutschen Geschichte schreiben würde, mag unserem „Kaiser“ zwar gefallen haben, war aber für Zehntausende frühere DDR-Bürger ein existenz-auslöschendes Verhängnis.
Die Gauck-Behörde wurde von der BRD als Beweis-, Druck- und Erpressungsinstrument zur Verfolgung, Diffamierung, Einschüchterung und Niederhaltung von Andersdenkenden sowie zur Ablenkung von eigenen Ge- und Verbrechen eingerichtet. Kein anderer als Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel (CDU) – er war 1990 Innenminister der Noch-DDR – beschuldigte Gauck, ungezählte Bürger dieses Staates in den Tod getrieben zu haben. Eine Statistik dazu liegt nicht vor.
Die Steuerzahler werden für die Gauck-Birthler-Jahn-Behörde mit ihren 3000 unnützen Mitarbeitern, deren Kosten anfangs 200 Millionen DM im Jahr betrugen, mächtig zur Ader gelassen. Unseren „Kaiser“ überschütteten ihm Gleichgesinnte aber mit Doktorhüten, Orden und Preisen aller Art.
In Rostock wurde Gauck groteskerweise Ehrenbürger und Ehrendoktor. Zwischen 1991 und 2011 gedachte man des honorigen Mannes gleich fünfzehnmal auf solche Weise. Spricht derlei nicht dafür, daß der einstige Kirchensoldat der „richtige Mann“ ist, oder bestätigt es eigentlich nur, was Andersen seinerzeit über die servile Umgebung seines „Kaisers“ zu berichten wußte? Verteidiger des „christlichen Abendlandes“, die Gauck zu den Ihren zählen, sollten die zehn Gebote zu Rate ziehen. Redet er nicht ständig falsch Zeugnis wider seine Nächsten? (8. Gebot) und: Ruft er nicht die Bundeswehrsoldaten unablässig zum Töten auf? (5. Gebot)
In einem mit „Freiheit“ überschriebenen Traktat bekennt sich der einstige Kirchenmann aus der altehrwürdigen Hansestadt zur Tradition jener „Kreuzritter des Kapitals“, welche – wie Marx und Engels schon im ersten Satz des Manifests feststellten – eine heilige Hetzjagd veranstalten, um das „Gespenst des Kommunismus“ aus Europa zu vertreiben. „Und deshalb gibt es keinen Grund für einen alt-neuen Versuch, eine neue Variante von Antikapitalismus zur Debatte zu bringen“, gab Gauck zum besten.
Doch wie verhält es sich mit der Verketzerung der DDR? Bei Andersen findet man den köstlichen Satz von den Hofschranzen, die auch dann noch die unsichtbare Schleppe ihres Kaisers trugen, als ein Kind schon gerufen hatte: „Aber der hat ja gar nichts an!“ Die Analogie liegt auf der Hand, wenn wir uns an Gaucks Thronbesteigung erinnern. Ein erster Anlauf 2010, sich gegen den eher harmlosen Wulff als Präsidentschaftskandidat durchzusetzen, schlug bekanntlich fehl. Erst als diese demokratisch gewählte Obrigkeit nach ihrer Rede am Bodensee gegen allzu gierige globale Kapitaleigner gestürzt wurde, bot sich für Gauck eine zweite Chance. Aufschlußreicherweise war es der Kölner Kardinal Meisner, der den ersten Stein auf Wulff geschleudert und die ihn erschlagende Medienlawine ausgelöst hatte, womit man bereits den zweiten BRD-Präsidenten in Folge zum Rücktritt zwang. Was werden wir eines Tages über das Ränkespiel hinter den Kulissen erfahren?
Im „stern“ vom September 2012 war über die Wahl unseres „Kaisers“ zu lesen: „Niemand hatte ihn eigentlich um seiner selbst willen gewollt.“ Niemand? Auch nicht Gabriel? Die Grüne Roth und Politikaster der im Orkus der Wahlniederlage fast untergegangenen FDP? War denn Gauck von Beginn an auch als Merkels Mann der Favorit der CDU gewesen? Wer hat ihn eigentlich aus welchen Gründen zum Präsidenten „gemacht“?
Blessing und Manteuffel führen uns vor Augen, daß bei der Personalie Gauck noch einiges zur Debatte stehen dürfte.
Klaus Blessing / Manfred Manteuffel:
Joachim Gauck – Der richtige Mann?
Edition Berolina, Berlin 2013, 192 Seiten
9,99 €
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