Hinter der Nebelwand von
„Freiheit und Demokratie“
Der Aufstieg der alten Bundesrepublik zum ökonomisch und militärisch mächtigsten Staat Westeuropas vollzog sich bis 1990 unter den Schlagworten „Freiheit und Demokratie“. Theodor Plivier schrieb 1932, bezogen auf die Situation nach dem Ersten Weltkrieg: „Der Kaiser ging, die Generale blieben.“ Abgewandelt auf die Lage nach 1945 könnte man sagen: Der Führer war gegangen, seine verbrecherischen Generäle, seine sklavenhalterischen Wehrwirtschaftsführer, seine Blutrichter und Gestapo-Folterer aber blieben. Antisemitismus war nun offiziell verpönt, beim Antikommunismus gab es noch Steigerungen.
Hans Heinz Holz faßte im Frühjahr 2011 die Politik der westdeutschen Kommunisten für deutsche Einheit, gegen Wiederbewaffnung und Notstandsgesetze so zusammen: „Der Kampf der KPD war immer ein Freilegen, ein Offenlegen dessen, daß dieser Demokratisierungsprozeß ein Scheinprozeß und eine Camouflage (Täuschung, Tarnung) war, unter der sich der deutsche Imperialismus wieder installierte, und zwar zunächst einmal in völliger Abhängigkeit vom amerikanischen.“ (s.u.)
Der Anschluß der DDR an das Bundesgebiet wurde von den deutschen Kommunisten in Ost und West und selbst von imperialistischen Verbündeten der BRD, vor allem von Großbritannien, als das betrachtet, was er war: ein Freibrief für den deutschen Imperialismus, aus der Vormachtstellung in Westeuropa heraus den Weg zur Regional- oder sogar Weltmacht wieder einzuschlagen. Nach 27 Jahren lautet die Bilanz: Die alte BRD ging, ihre Generäle blieben, ihre führenden Konzerne expandierten zu Weltunternehmen. Die höchsten Richter sahen ihre Hauptaufgabe darin, an den Repräsentanten der DDR und an Hunderttausenden ihrer engagierten Bürger Rache zu nehmen. Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit wurden und werden mit Hilfe einer gewaltigen Maschinerie verfolgt, während die Geheimdienste der BRD weiterarbeiten wie zuvor: Sie fördern den Neofaschismus bis hin zum Terrorismus und erhalten von Legislaturperiode zu Legislaturperiode mehr juristische und technische Handhaben zum Ausbau des größten Überwachungsstaates, den es auf deutschem Boden je gegeben hat.
Die Personalstärke der Bundeswehr wurde zwar auf heute etwa 200 000 Frauen und Männer reduziert, und im „Zwei-plus-vier-Vertrag“ erhielt die Formel „Von deutschem Boden soll kein Krieg mehr ausgehen“ völkerrechtlichen Rang – am imperialistischen Charakter der Armee und ihrer Führung änderte das keinen Deut. Im Gegenteil: Krieg ist wieder „normaler“ Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Neben die Camouflage von „Freiheit und Demokratie“ sowie von „Werten“ ist längst das Betonen klassisch imperialistischer Interessenpolitik getreten: „unsere“ Rohstoffe, „unsere“ Handelswege, „unsere“ Verbündeten, die vor allem gegen eine angebliche russische Aggression „geschützt“ werden müssen.
Noch fällt denen, die das alles vorantreiben, niemand in den Arm. Im Gegenteil: Fünf Tage nach dem „Brexit“-Votum am 23. Juni vergangenen Jahres verabschiedeten die EU-Staats- und Regierungschefs eine „globale Strategie“ ihres imperialistischen Konstrukts, in dem das Erreichen „strategischer Autonomie“, also die relative Unabhängigkeit von den USA, proklamiert wurde. Seitdem treiben die Bundesregierung und nun Macron in Frankreich die Errichtung gemeinsamer Militäreinrichtungen im Eiltempo voran. Am 7. Juni dieses Jahres wurde so z. B. ein „EU-Verteidigungsfonds“ gegründet, in dem am selben Tag veröffentlichten „Reflexionspapier“ für den Ausbau der globalen EU-Strategie werden drei Szenarien für Rüstung und Militär bis zum Jahr 2025 durchgespielt. Am Ende soll eine „Sicherheits- und Verteidigungsunion“ stehen. Das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU dient dazu, das „Schicksal in eigene Hände zu nehmen“, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel im Münchner Bierzelt verkündete. Daß es deutsche Hände sein sollen, steht fest. Es bedurfte nicht des „ein Stück weit nicht verläßlichen“ Donald Trump, um diesen Kurs zu forcieren.
Und das Personal ist nach 27 Jahren „Friedensdividende“ bereit. Am 27. Juni war in der FAZ ein Interview mit Bundeswehrgeneral a. D. Christian Trull zu lesen, in dem er verkündete: „Soldaten wollen und benötigen Vorbilder, die auch selbst gekämpft haben.“ Das „Abschneiden von den Soldatengenerationen der kaiserlichen Armee und der Wehrmacht“ sei deshalb falsch. Im übrigen sei aktuelle Kampferfahrung da: „Das mittlere Führungskorps der Bundeswehr besteht aber aus Menschen, die von Somalia über das Kosovo bis zu Afghanistan und Mali Erfahrungen in Einsatz- und Gefechtssituationen gesammelt haben.“ Dazu läßt sich sagen: Es ist wieder einmal vollbracht. Die deutsche Soldateska ist zum „Töten und Getötetwerden“ bereit – und darum geht es in der Bundeswehr (wie Trull richtig feststellt). Fehlen nur noch die richtigen Befehle …
Es ist dringend nötig, daß Kommunisten und Sozialisten im Bundestagswahlkampf diese Entwicklung hin zu imperialistischem Räuber- und Abenteurertum anprangern. Die etablierten Parteien werden das Thema kaum anrühren. Die Mainstream-Medien werden weder von der Blockade des Atombombenlagers in Büchel noch von den Demonstrationen gegen die US-Basis Ramstein berichten, der Antikriegstag am 1. September wird wie üblich übergangen werden. Das ist die aktuelle Form der Camouflage. Sorgen wir dafür, daß sie enttarnt wird!
Hans Heinz Holz
Die Sinnlichkeit der Vernunft
Gespräche mit Arnold Schölzel und Johannes Oehme
Februar 2011
Das Buch erscheint demnächst im Verlag Das Neue Berlin.
Nachricht 40 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
- Leserbriefe
- Aus dem Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1 - Hinter der Nebelwand von
„Freiheit und Demokratie“ - Zur Lüge vom angeblichen
syrischen Giftgasangriff - XV. Parteitag der PCV in Caracas
- Vertrag zu Atomwaffenverbot verabschiedet
- ...
- Vorwärts
- Ende »