Warum Georg Kurtze nicht in Gabriels Partei passen würde
Hut ab vor einem mutigen Sozialdemokraten
Als ich vor einiger Zeit für den RF einen Artikel über einen falschen „Helden“ meiner neuen Heimatstadt Strausberg schrieb – nämlich über Michael Gartenschläger – erwähnte ich darin bereits den Sozialdemokraten Georg Kurtze. Über dessen Leben und Sterben las ich zuerst in einer Strausberger Stadtchronik. Ich war von seinem Schicksal sehr bewegt und beschloß, über diesen wahren Helden zu berichten. Ein weiterer Grund dafür ist mein Eindruck, daß das Wirken aufrechter Sozialdemokraten in der Zeit des Faschismus in unserer Zeitschrift unterrepräsentiert ist.
Georg Kurtze wurde am 9. November 1872 in Strausberg geboren. Schon sehr früh las er die Schriften von Ferdinand Lassalle und August Bebel. Er begann eine Tuchmacherlehre in seiner Heimatstadt, die damals noch über eine florierende Textilindustrie verfügte. Viele Jahre lang prägten die Färberei und die Gerüste zum Trocknen der Tücher das Ufer des Straussees.
Man weiß, daß Kurtze 1897 eine Zeitlang in Berlin Feuerwehrmann und Lagerarbeiter war. 1910 trat er der SPD bei. Bald darauf wurde er auch Mitglied der Textilarbeitergewerkschaft und des Arbeiterturnvereins „Vorwärts“. Im Ersten Weltkrieg, den die Reichstagsfraktion seiner Partei 1914 – mit der rühmlichen Ausnahme Karl Liebknechts – durch ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten moralisch mit getragen hatte, diente Georg Kurtze als Sanitäter an der russischen Front. Als er 1918 nach Strausberg zurückkehrte, war er in einer Schuhfabrik und als Straßenbahnkontrolleur tätig. Bei der ersten Wahl nach der niedergerungenen Novemberrevolution gewann Georg Kurtze ein SPD-Mandat in der Stadtverordnetenversammlung. Im Mai 1919 wurde er in den Oberbarnimer Kreistag gewählt. Diesen Sitz verteidigte er zweimal erfolgreich. 1924 und 1929 wurde er als ehrenamtlicher Stadtrat bestallt und leitete den Ausschuß für Feld, Wirtschaft und Verschönerung.
Schon 1921 fiel er dadurch auf, daß er eine Hindenburg-Feier der Deutschnationalen Volkspartei als reaktionäre Veranstaltung attackierte. 1924 gehörte er zu den Unterzeichnern des Strausberger Gründungsaufrufs für die SPD-Selbstschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. 1932 übermalte Georg Kurtze im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl faschistische Parolen und schrieb die Thälmannsche Losung „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“ an Mauern seiner Stadt.
Ein Mann dieser Art konnte bei denen, die am 30. Januar 1933 mit Hilfe und im Auftrag des deutschen Kapitals die Macht übernahmen, nicht auf Gnade hoffen. Als die Faschisten auf dem Strausberger Rathaus ihre Hakenkreuzfahne hißten, trat Georg Kurtze von seinem Stadtratsamt zurück. Am 24. Juni 1933 wurde er mit drei weiteren Sozialdemokraten der Stadt in „Schutzhaft“ genommen. Man brachte die Arretierten in das KZ Oranienburg. Georg Kurtze blieb dort bis zum 30. August. Während der kurzen Haftdauer wurde er schwer mißhandelt. Sein Freund Richard Hauschildt kehrte als gebrochener Mann zurück, wurde aus Strausberg vertrieben und nahm sich 1934 das Leben.
Georg Kurtze traf sich weiter heimlich mit widerstandsbereiten Sozialdemokraten bei ausgedehnten Waldspaziergängen. Als ihm im Rahmen der „Aktion Gewitter“ eine erneute Verhaftung drohte, versteckte er sich bei Freunden im nahen Petershagen. Beruflich fand er während der faschistischen Gewaltherrschaft nur schwer Arbeit. Er half bei Bauern in den umliegenden Dörfern aus, war Lagerarbeiter in einer Sägemühle. 1938 starb seine Frau Hedwig.
Als sich das Ende der Hitlerdiktatur auch in Strausberg durch den Geschützdonner der nahenden Front ankündigte, wollte Georg Kurtze die Zerstörung seiner Heimatstadt verhindern. Er wünschte sich ihre kampflose Übergabe an die Rote Armee. Am 20. April 1945 hißte er die weiße Fahne auf dem Rathaus. Obwohl Strausberg einige leichtere Zerstörungen erfuhr, blieb ihm das Schicksal von Seelow oder Küstrin erspart. Am 21. April rückten die Soldaten mit dem roten Stern in die Stadt ein.
Georg Kurtze wurde an jenem Tag zweimal beim Betreten der sowjetischen Kommandantur gesehen. Was danach geschah, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Anfang Mai wurde er am Ufer des Straussees tot aufgefunden. Der 72jährige war durch einen Kopfschuß regelrecht hingerichtet worden. Die Täter konnten nie ermittelt werden, doch sicher gab es in jenen Tagen noch genügend Nazis, die ihm die „verräterische“ Übergabe von Strausberg nicht verzeihen wollten.
Bürgermeister Otto Langenbach (KPD), dem das Amt nach der Befreiung der Stadt kommissarisch anvertraut worden war, verfügte bereits am 9. September 1945, daß Strausbergs Ritterstraße, in der Georg Kurtze gewohnt hatte, seinen Namen erhalten sollte. Sie trägt ihn noch heute. Sein Grab wird als Ehrengrab gepflegt. Man wünschte sich eine Gedenktafel an seinem Haus.
Oft frage ich mich, wie sich dieser wackere Mann 1946 beim Zusammenschluß von SPD und KPD zur SED wohl verhalten hätte, wäre er nicht ermordet worden. Keiner kann das mit Bestimmtheit sagen, aber ich glaube, daß man sich als Kommunist neben ihm durchaus wohl gefühlt hätte. Leben und Bekenntnis dieses aufrechten Sozialdemokraten lassen darauf schließen, daß er in Gabriels SPD ganz bestimmt nicht passen würde. Es sind Leute wie er, die dieser Partei fehlen. Als Kommunist aus einer ganz anderen Generation fällt es mir nicht schwer, in ihm das zu sehen, was er immer sein wollte: ein Genosse!
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