Ich leb so gern –
Ein Friedensbuch für Kinder
Sonntag: Im Frühjahr (1982) war von dem Projekt erstmals zu hören, das Sie gemeinsam mit Horst Beseler und Gerhardt Holtz-Baumert anregten, im November soll das Buch nun im Kinderbuchverlag Berlin erscheinen.
Peter Abraham: Dieses Buch ist eine Anthologie mit etwa 90 Wortbeiträgen und 45 grafischen Arbeiten. Die Beteiligung war überraschend groß. Viele Autoren stellen sich seit einiger Zeit die Frage: Was können wir für den Frieden tun? Unsere Einladung zu der Anthologie fiel darum auf fruchtbaren Boden. In relativ kurzer Zeit, das ist auch den Verlagsmitarbeitern zu danken, erreichten verwendbare Prosatexte und auch Gedichte den Verlag. Die Honorare überwiesen die Autoren dem Solidaritätsfonds. Der Aspekt, daß hier ein ideelles Anliegen vorlag, beflügelte sowohl die Autoren wie die Illustratoren.
Ein Friedensbuch für Kinder – ein nicht unproblematisches Vorhaben. Was ist da überhaupt sinnvoll und möglich, wie soll dieses Buch wirken?
Da wir die Kinder heute als gleichberechtigte Partner behandeln, können wir sie in der Frage der Sicherung des Friedens nicht ausklammern. Die Politik ist doch schon lange keine ausschließliche Angelegenheit der Erwachsenen mehr.
Wie soll das Buch wirken? Zunächst ist es so wie bei allen Kinderbüchern. Sie wollen ein Unterhaltungsbedürfnis befriedigen, es werden Geschichten erzählt, Gedichte, die nun etwa nicht alle todtraurig sind. Obwohl bei dem Thema sicher das Ernste überwiegt. Solche Geschichten können vielleicht Gedanken in Bewegung setzen, anregen, sich überhaupt mit dem Problem zu befassen. Es ist ja übrigens nicht das erste Buch bei uns, das sich mit dem Thema Frieden auseinandersetzt. Es gab immer Bücher oder Filme zu dieser Thematik. Die Beschäftigung mit Krieg und Frieden gehört zur Kontinuität unserer Erziehung seit 1945. Wir bringen das Friedensbuch zwar aus aktuellem Anlaß heraus, wissen es aber eingebettet in den großen Erziehungsprozeß, an dem die Eltern, die Schule, die Pionierorganisation und auch die Künstler seit vielen Jahren mitwirken.
Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen: Häufig schon hatten die Anthologien des Kinderbuchverlages eine aktivierende Wirkung für die Autoren. Aufgerufen, Geschichten über Drachen zu erzählen, entstand über den Rahmen des entsprechenden Bandes hinaus eine Anzahl von phantastischen Geschichten, die das Programm des Verlages bereichert haben. Und mancher mag auch durch die Aufforderung, Erzählungen über den „gewöhnlichen Faschismus“ zu schreiben, überhaupt wieder auf die Bedeutung des Themas „antifaschistischer Kampf“ in unserer Kinderliteratur gestoßen sein. Vielleicht bringt uns die Fragestellung der jetzigen Anthologie wieder Geschichten näher, die stärker den Charakter des Bekenntnisses in sich tragen, wie wir sie bei Brecht, bei Alex Wedding oder Ludwig Renn finden. Nicht zufällig sind letztgenannte Autoren mit Werkzitaten in unserem Buch vertreten. Mir scheint es wichtig, daß wir uns dieser Autoren häufiger erinnern. Im Laufe der Entwicklung haben wir die Psychologie unserer Helden verfeinert. Das ist ein Gewinn. Aber manchmal frage ich mich, ob wir dabei nicht auch aktuellen Fragestellungen ab und an aus dem Wege gegangen sind.
Für unser Buch scheint mir noch sehr wichtig zu sein, daß wir durch unsere Beiträge den Kindern sagen: Hier sind Leute, auf die ihr euch verlassen könnt, die ihr befragen könnt, wenn es um den Friedenskampf geht!
Gibt das Buch den Kindern Anregungen, genauer darüber nachzudenken, wie wir den Frieden sicherer machen können?
So ein Buch kann auf Gefahren hinweisen, bewußtmachen, was Krieg bedeutet, wie schön der Frieden ist und wie man ihn verteidigen kann. Und was die „Handlungsanleitung“ betrifft: Ich habe nichts gegen didaktische Bücher. Auch sie haben ihre Berechtigung. Das Thema unseres Bandes „Ich leb so gern“ aber ist nicht zu bedienen, indem man „gute Lehren“ vermittelt. Damit kommen wir der Sache nicht näher. Es geht hier mehr um Haltungen, die der Sache dienen. In manchen Beiträgen klingt auch Philosophisches an, selbstverständlich so, daß es von Kindern aufgenommen werden kann.
Relativ häufig werden Erlebnisse aus dem letzten Weltkrieg und Erinnerungen daran erzählt.
Wie steht es mit der literarischen Bewältigung gegenwärtiger nationaler und internationaler Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden?
Bei dem Thema dieser Anthologie bietet sich an, auch über den Krieg, den die Autoren als Erwachsene oder als Kinder erlebt haben, zu erzählen. Auch eine der beiden Geschichten, die ich für den Band geschrieben habe, spielt im zweiten Weltkrieg. Über diese Zeit ist schon viel geschrieben worden, dennoch glaube ich, daß jede Generation, jedes Individuum einen anderen Blickwinkel auf die Dinge hat. Darum fühle ich mich durchaus dazu berechtigt, darüber zu schreiben. Meiner Ansicht nach ist in dem Band aber auch eine ausreichende Anzahl von Beiträgen enthalten, die in der Gegenwart handeln. Sie machen den Wert eines Lebens unter friedlichen Umständen bewußt, lassen auch hier und da Schatten blicken, die durch die heraufkommende Gefahr entstehen. Man sollte, glaube ich, dieses Buch auch nicht isoliert von anderen gegenwärtigen Büchern sehen, die bereits geistiges Eigentum der Kinder sind oder im Begriff stehen, es zu werden. Von den Titeln der letzten Zeit fallen mir Görlichs „Der Junge und das Mädchen“ ein oder Uwe Kants „Reise von Neukuckow nach Nowosibirsk“ oder Pludras „Insel der Schwäne“. Das sind Bücher, die heute spielen, in denen, soweit ich mich erinnere, das Thema Krieg und Frieden vordergründig keine Rolle spielt, die aber dennoch Fragen nach dem Sinn des Lebens auf ihre Weise stellen.
Dieses Buch mit der Vielzahl seiner Beiträge und Gedanken ist sicher nicht zum „Durchlesen“ geeignet – und wohl auch nicht für eine bestimmte Altersgruppe …
Der Band ist im Grunde für Kinder der dritten Klasse bis – ja, eigentlich für Achtzehnjährige. Für sie alle ist etwas in der Anthologie enthalten. Darum wird nicht jeder gleich alles lesen, sondern sich das ihm Entsprechende heraussuchen, heute dies, später jenes. Und natürlich hoffen wir beim Lesen auf die Mitarbeit der Pädagogen, der Pionierleiter, der Eltern selbstverständlich. Die Anthologie ist auch für sie gedacht, um ihnen etwas in die Hand zu geben, wenn sie mit den Kindern über das wichtigste Problem unserer Zeit sprechen wollen. Es ist ein Buch, für das die Beachtung durch die Erwachsenen wichtig sein wird.
Das Gespräch mit Peter Abraham (1936–2015) führte Silke Irrgang.
Aus „Sonntag“, 32/1982
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