RotFuchs 216 – Januar 2016

Warum deutsche Jesuiten die Befreiungstheologie attackieren

Indirekte Schüsse auf Franziskus

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler

Der 1921 geborene Daniel Berrigan – er trat 1939 dem Jesuitenorden bei und war später ein zu Haft verurteilter Anführer des katholischen Widerstandes gegen den Vietnamkrieg in den USA – veröffentlichte zu Beginn der 80er Jahre eine Art Tagebuch „Die Jesuiten und ich“. Darin stellte er u.a. fest: „Für jeden faschistischen Schah oder Nixon und Marcos gibt es einen Jesuitenpater, um die blutige Handlung zu segnen. Man kennt das. Die offizielle Linie indes ist etwas, das die Ohren eines Engels erröten läßt: Selbstbeglückwünschungen, harte Ermahnungen, Grenzlinien, die gezogen werden, Kettengerassel. … Es in der Welt zu etwas bringen, ein religiöses Unternehmen aufbauen! Und was findest du daran problematisch? … Vielleicht ist unsere gegenwärtige schlimme Lage auch eine Art von Heil. Endlich sind die beiden ‚Welten‘ – die der Privilegien und ihrer Duldung sowie des Sich-Anbiederns bei den Reichen und die der Helden ohne Vaterland und ohne Muttersprache – ans Tageslicht geraten. Wir kennen unseren entarteten und selbsterniedrigten Zustand, wir wissen …, daß wir Klassenunterschiede in der Gesellschaft nicht nur tolerieren, sondern kultivieren.“

Wandmalerei aus dem Umfeld der Befreiungstheologie

Die katholische Kirchenführung hat im Umgang mit herausragenden Priestergestalten, welche deren Machtteilhabe in Frage stellen, eine jahrhundertelange Erfahrung. Sie reduzierte den Kampf so mutiger Jesuiten wie Daniel Berrigan gegen den Völkermord der USA in Vietnam, gegen Krieg und Unterdrückung auf antiautoritäres Engagement für anonyme Menschenrechte und konnte sein Wirken mehr oder weniger isolieren.

Ähnliches scheint der europäischen Kirche mit den Vertretern der in Lateinamerika fest verankerten Theologie der Befreiung zu gelingen. Deren politische Dimension wird von der Existenz der Klassengesellschaft und durch den Kausalzusammenhang zwischen Reichtum und Armut bestimmt.

Wie der Marxismus orientiert die Befreiungstheologie auf die revolutionäre Veränderung der kapitalistischen Wirklichkeit hin zu einem menschlichen Miteinander. Aber welchen „Preis der Gerechtigkeit“ die Befreiungstheologen selbst zahlen mußten und müssen, zeigt die im Auftrag der USA am 16. November 1989 erfolgte Ermordung von sechs Jesuiten in El Salvador.

Jon Sobrino, der dieser Jesuitenkommunität angehört, entging dem Massaker nur dadurch, daß er am Tatort gerade nicht zugegen war. Er ist Mitherausgeber des Hauptwerkes dieser theologischen Richtung. Der Versuch, sie in Deutschland zu verankern, blieb aber ohne erkennbaren Erfolg. Die befreiungstheologische Konzeption wird vom Hauptstrom der deutschen Theologie als eine Art Modeerscheinung gerade noch zur Kenntnis genommen. Klaus Mertens, einer der Medienstars der Jesuiten, schreibt recht arrogant, in den 70er und 80er Jahren habe es einen Streit um die Befreiungstheologie gegeben. Er, der immerhin eine zeitlang in der Sowjetunion studierte, habe mit den Texten eines Ernesto Cardenal nichts anfangen können. Das Wirken von Papst Franziskus sei eine Art „Befreiungstheologie minus Marxismus plus Volksfrömmigkeit“.

Insgesamt gilt die Theologie der Befreiung im deutschsprachigen Raum inzwischen als erledigt. Das trifft jedenfalls auf die renommierte Theologische Fakultät der Innsbrucker Universität zu. Aus materialistischer Sicht sind aber gerade solche Jesuiten wie Ellacuria, übrigens ein Innsbrucker Absolvent, oder Sobrino Nachfolger des historischen Jesus.

In der BRD haben Jesuiten ihr offizielles Organ „Stimmen zur Zeit“ in eine Tribüne des deutschen Imperialismus verwandelt, indem sie dessen politischem Repräsentanten Bundestagspräsident Norbert Lammert die Möglichkeit gaben, mit seinem Artikel „25 Jahre Einheit in Freiheit“ dessen barbarische Realität in Vergangenheit und Gegenwart zu kaschieren. Die Zeitschrift existiert bereits seit 140 Jahren und wird in den Jesuitenkirchen des deutschen Sprachraums, also auch in Österreich, für deren Besucher ausgelegt.

Papst Franziskus hat – noch als Erzbischof von Buenos Aires – eine Schrift über „Korruption und Sünde“ verfaßt, in der er analysiert, wie der Korrupte im „Ambiente der Siegesgewißheit“ Bestätigung findet und gut vorankommt. Aus diesem Atmen des Erfolgs entstehe „die Erfahrung von Rückenwind …, die Situationen durch Fehleinschätzungen umdeutet und verschärft“.

Die „Stimmen zur Zeit“ vom Oktober 2015 müssen als Ausdruck von Verkommenheit eingeschätzt werden, weil sie den Triumphalismus der deutschen Imperialisten und deren Verlogenheit unreflektiert wiedergeben. Norbert Lammert aus Angela Merkels CDU reiht Gemeinplatz an Gemeinplatz und stellt für die von ihm vertretenen sogenannten Eliten fest, daß „das demokratische Deutschland so wohlhabend, so sicher und so frei wie nie zuvor“ sei, während „fehlregulierte nationale Ökonomien“ die Stabilität des ganzen Währungsraumes gefährdeten. Lammert unterschreibt damit die Propagandaphrase des BRD-Präsidenten Gauck, der 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz behauptet hatte, weltweite Bundeswehreinsätze würden „zu Garanten internationaler Ordnung und Sicherheit“. Lammert beruft sich überdies auf den früheren polnischen Außenminister Sikorski, der an der Seite deutscher Truppen gen Rußland marschieren will. Totgeschwiegen wird dabei die Tatsache, daß die BRD längst zu einem militärische wie wirtschaftliche Kriege führenden Land geworden ist, was man von der vielgeschmähten und am Ende implodierten DDR jedenfalls nicht behaupten konnte.

Der österreichische Jesuit Herwig Büchele hat die fortgesetzten Bombenteppiche auf Jugoslawien im Jahr 1999, an denen die Bundesluftwaffe beteiligt war, öffentlich befürwortet. Er stellt sich damit voll in die Tradition der deutschen antikommunistischen Sturmjesuiten vom Schlage eines Johannes Leppich. Der wiederum hat mit seiner erzreaktionären Position das Papsttum eines Joseph Ratzinger stark beeinflußt. Nirgends wird ein zu konkretem Handeln aufforderndes Mitleiden angesichts der zerfetzten Menschen erkennbar, nirgends ein Erbarmen für die damals und heute Vertriebenen. Alle Opfer werden dem Erfolg eines Wirtschaftssystem untergeordnet, das erwiesenermaßen tötet. Dabei geht es jetzt, wie Herr Lammert in seinem Artikel deutlich unterstreicht, gegen Rußland und den sich Kiew nicht unterwerfenden Teil der Ukraine.

Nichts, aber auch gar nichts hat sich am deutschen Imperialismus geändert.