Zu Raoul Pecks Spielfilm „Der junge Karl Marx“
Inhaltlich kompromißlos
Der junge Marx: Das ist bei Raoul Peck der 24jährige Redakteur, dessen „Rheinische Zeitung“ Anfang 1843 von der preußischen Zensur verboten wird, der Exilant in Paris und Brüssel, zuletzt der Verfasser des Kommunistischen Manifests von 1848. Diese fünf Jahre sind die Zeit, in der Marx den Linkshegelianismus zum historischen und dialektischen Materialismus fortentwickelt. Gleichzeitig fällt der Beginn der lebenslangen Zusammenarbeit mit Friedrich Engels in diesen Abschnitt. Dem Titel entgegen und ganz richtig hat Peck einen Film über zwei Personen gedreht. Im Mittelpunkt des Geschehens steht, wie sich eine Freundschaft entwickelt. Dabei sind Sympathie, gegenseitige wissenschaftliche Anregung und gemeinsamer politischer Kampf nicht zu trennen.
Es ist dies dennoch ein spröder Stoff. Biographische Filme – sogar wenn sie sich, wie hier, klug auf einen Ausschnitt des Lebens beschränken – scheitern häufig an dem Problem, aus dem Nacheinander der Ereignisse eine wirksame Dramaturgie zu entwickeln. Glücklich sind Regisseure, die es wenigstens mit Malerinnen oder Schauspielern zu tun haben, also mit Künstlern, deren Werk leicht in Bilder zu fassen ist. Wie sich aber eine wissenschaftliche Methode und politische Denkweise entwickelt, das ist so unanschaulich wie nur irgendwas. Die Frage ist, ob und mit welchen Mitteln die Darstellung hier gelingt.
Der Film hat Schwächen. Manche ideologischen Konflikte sind nur so kurz angeführt, daß sie ebensogut fehlen könnten. Marx lernt in Paris den Anarchisten Bakunin kennen, damit der auch mal einen Auftritt hat. Der Auseinandersetzung mit Proudhon räumt Peck mehr Raum ein, doch ein paar Sätze über den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum helfen kaum weiter. Später begreift man zwar, daß Marx’ Abfertigung der Weltanschauung Proudhons in „Das Elend der Philosophie“ wichtig war; doch kaum, worin die politische und gar nicht, worin die philosophische Bedeutung liegt.
Statt dessen überzeugt der Film durch die Leistungen der Darsteller, so August Diehl als Marx und Stefan Konarske als Engels. Vicky Krieps als Marx’ Frau Jenny und Hannah Steele als Engels’ Geliebte Mary Burns sind dabei weit mehr als nur Ergänzungen, die das emotionale Interesse befördern sollen. Ohne die Frauen wäre die Arbeit ihrer Männer so nicht möglich gewesen. Jenny Marx tritt als scharfsinnige Unterstützerin auf, der schlagkräftige Formulierungen einfallen; Mary Burns bedeutet für Engels einen Zugang zum Proletariat, seine Studie über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ wird dadurch erst ermöglicht. Gleichzeitig gestaltet Peck ein Spannungsverhältnis zwischen der aus dem Adel stammenden Jenny und der Proletarierin Mary, womit er das Zweierbündnis zwischen Marx und Engels zu einer Viererkonstellation erweitert. Dadurch gewinnt er die Möglichkeit, die sozialen Bedingungen zu zeigen, unter denen der wissenschaftliche Kommunismus entstand.
Peck hat für sein Vorhaben offensichtlich viel Fördergeld einsammeln können, das macht sich an der reichen Ausstattung bemerkbar, die zur Historienmalerei tendiert. Es wirkt, als resultiere aus dem gänzlich unanschaulichen Sujet – wie eine, sogar wie die wesentliche wissenschaftliche Methode entsteht – ein Übermaß an Zeigefreude. Dabei wirkt sogar das liebevoll spärlich ausgeleuchtete Elend der irischen Proletarier im Manchester von 1844 irgendwie schön. Politisch erhellende Montagen finden sich hingegen nur ausnahmsweise.
Dies dürfte dem Versuch geschuldet sein, einen ungewohnten Inhalt einem breiten Publikum nahezubringen. Was diese Inhalte angeht, ist Peck beeindruckend kompromißlos. In einer Schlüsselszene kapern Marx und Engels den „Bund der Gerechten“ und ersetzen die Parole „Alle Menschen werden Brüder“ durch das „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Es geht erkennbar um Klassenkampf, nicht um ein vages Mitleid, mit dem sich alle wohl fühlen können und das keinerlei Interessen verletzt. Allein schon darum ist der Film trotz seiner Schwächen sehenswert.
Gekürzt aus „junge Welt“, 2. März 2017
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