Ist Kuba in Gefahr?
Die Stimme des Mittachtzigers aus Erfurt – eines ehemals hochrangigen Offiziers der DDR-Luftstreitkräfte – bebte vor Erregung und Zorn: „Im Fernsehen haben sie gerade das Aufziehen des Sternenbanners am USA-Botschaftsgebäude in Havanna durch Obamas Außenminister Kerry gezeigt. Ist das nicht der Anfang vom Ende?“
Ich antwortete mit einer Gegenfrage: „Kuba ist 1990 nicht in die Knie gegangen, warum sollte es jetzt kapitulieren?“ Außenminister Bruno Rodríguez habe nur wenige Tage zuvor die Flagge seines Landes am Mast der kubanischen Botschaft in Washington gehißt, fügte ich hinzu. So etwas gehöre bei normalen zwischenstaatlichen Beziehungen zum diplomatischen Protokoll.
Eine eigene Kuba-Reise sehr besonderer Art kam mir unwillkürlich in den Sinn: Wir erlebten das karibische Freundesland in einer der riskantesten Phasen seiner bewegten Geschichte: Als „Sonderperiode“ bezeichnete Fidel Castro jene extrem schwere Zeit nach dem sang- und klanglosen Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas. Damals stand Kuba buchstäblich über Nacht allein im Regen. Alle Unken der Welt prophezeiten seinen baldigen Untergang, zumindest aber die Unvermeidlichkeit einer politischen Kapitulation vor den triumphierenden Feinden in Washington. Doch aus den „Wochen oder Monaten“, die gewisse Politologen dem roten Inselstaat noch gaben, wurden 25 schwere, an etlichen Abschnitten auch durchaus erfolgreiche Jahre.
Ohne Zweifel machen sich nicht wenige Freunde Kubas berechtigte Sorgen um das von manchen befürchtete Erlöschen des Leuchtfeuers einer siegreichen sozialistischen Revolution.
„Nach 55 Jahren des Embargos schmilzt das Eis in den Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten. Die Erwärmung müßte Havanna den erforderlichen Handlungsspielraum verschaffen, seine Wirtschaft zum eigenen Vorteil entwickeln zu können. Dabei geht es zugleich um die Frage, welche Auswirkungen das auf die Errungenschaften der kubanischen Revolution haben könnte“, schrieb Katrien Demuynck – eine intime Kennerin der Region und langjährige Organisatorin zahlreicher Hilfsaktionen für Kuba – in der belgischen Monatszeitschrift „Solidaire“. „Während der fast fünfeinhalb Jahrzehnte haben die USA versucht, Kuba auf diplomatischer Ebene zu isolieren und wirtschaftlich zu erdrosseln – ein Ziel, „das die Europäische Union 1996 sogar in den ersten Satz ihrer Gemeinsamen Position aufnahm.“
US-Präsident Obama hat unterdessen die Erfolglosigkeit dieser Variante der amerikanischen Kuba-Politik eingestanden. Auch aus Kreisen der EU läßt sich ähnliches vernehmen.
Die Entscheidung Washingtons, die Taktik gegenüber Kuba zu ändern, sei in erster Linie durch eine Serie von Niederlagen der amerikanischen Embargo-Politik motiviert, urteilt „Solidaire“. Drohungen, Sanktionen, Sabotage, Aggressionen und Invasionen, die 1961 in der Landung an Kubas Schweinebucht gipfelten, bescherten den USA keine Erfolge. Auch immer neue Versuche der CIA, Fidel Castro zu ermorden, konnten von den kubanischen Sicherheitsorganen vereitelt werden. Eine britische Dokumentation listete 638 (!) geplante Anschläge auf.
Die Entscheidung Obamas, Washingtons Kurs gegenüber Kuba zu ändern, ist ohne Zweifel ein Sieg der 11 Millionen Bürger des Inselstaates. Alle Versuche der führenden imperialistischen Großmacht, Kuba als sozialistisches Land aus den Angeln zu heben, endeten mit einem Fiasko.
Doch man sollte davon ausgehen, daß die USA die Taktik geändert haben, ohne aber auch nur eines ihrer fundamentalen Ziele aufzugeben. Hinzu kommt, daß die vor der Revolution in ihre Zweitresidenzen nach Miami geflohenen superreichen Exilkubaner – sie machten etwa 1 Prozent der Bevölkerung Kubas aus – auf ihre Rachegelüste in keiner Weise verzichtet haben. Allerdings läßt die Mehrheit der jüngeren Florida-Exilanten inzwischen den Wunsch nach Normalisierung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der einstigen Heimat ihrer Eltern und Großeltern erkennen.
Übrigens sollte man die Tatsache nicht überschätzen, daß Präsident Obama am 14. April den USA-Kongreß von seiner Entscheidung unterrichtet hat, Kuba aus der Liste „den Terrorismus fördernder Staaten“ zu streichen. Abgesehen von der Unverfrorenheit, daß ausgerechnet die weltweit Terror und Terroristen auf den Schild hebende imperialistische Hauptmacht den sozialistischen Karibikstaat auf eine solche Liste zu setzen wagte, ist das als „El Bloqueo“ bekannte US-Embargo deshalb noch lange nicht aufgehoben worden, obwohl es international kaum mehr befolgt wird.
Ist Kuba außer Gefahr?
Ohne Zweifel steht nicht nur die Generation von Fidel und Raúl, sondern auch die nächste Reihe ihnen folgender jüngerer Führer um Diaz-Canel auf revolutionären und internationalistischen Positionen. In Havanna hat man nicht die Absicht, wertvolle Errungenschaften oder Erkenntnisse über Bord zu werfen. Die Kunst, der sich die Partei- und Staatsführung fortan bedienen muß, besteht darin, Bewährtes mit der veränderten innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Situation Kubas in Übereinstimmung zu bringen, um das Land unter Bedingungen einer bisher nicht gekannten Öffnung der Märkte und weiter anschwellender Touristenströme – nicht zuletzt aus den USA – auf Kurs zu halten. Zu beachten ist dabei die wesentlich leichtere Beeinflußbarkeit jüngerer und junger, also nicht mehr unmittelbar mit den früheren Etappen der kubanischen Revolution und deren Erfahrungen verbundener Menschen. So ist damit zu rechnen, daß die innere Reaktion weiteren Zulauf erhält.
Der Komplexität dieser Problematik ist sich die kubanische Spitze durchaus bewußt. Dabei stellt sie in Rechnung, daß sich Havannas Position in der Welt inzwischen stark verändert hat. Unterhielt Kuba Anfang der 90er Jahre nur zu wenigen Staaten vor allem des damaligen sozialistischen Lagers diplomatische Beziehungen, so gibt es heute wohl kaum eine Regierung, die auf solche Kontakte verzichten möchte. Das diplomatische Korps in Kubas Hauptstadt ist weit umfassender als in den meisten anderen Staaten. Und vor allem gehören zwei über Kernwaffen verfügende Großmächte – die ihrer Wirtschaftskraft nach weltweit führende Volksrepublik China und Putins Rußland – zu den Freunden und Partnern der sozialistischen Insel in der Karibik.
Doch nicht minder gravierend dürfte die Tatsache sein, daß sich Lateinamerika inzwischen aus einem „Hinterhof“ der USA in ein Zentrum des Widerstandes gegen den Imperialismus verwandelt hat. Kuba genießt den Respekt und die Sympathie der meisten Staaten des Subkontinents. In gewisser Weise nimmt diese Region mit ihren einflußreichen kommunistischen, sozialistischen und nationaldemokratischen Parteien sowie den in einigen Ländern regierenden linken Einheitsbewegungen inzwischen den einstigen Rang Europas ein, wo die revolutionären Kräfte derzeit überwiegend eher stagnieren. Vor allem Venezuela und Bolivien, aber auch Nikaragua und Ekuador, Uruguay, Brasilien und Argentinien verteidigen die Solidarität mit der „Insel der Freiheit“ als Teil ihrer eigenen Souveränität. Nicht zufällig gehört das Land Fidels und Raúls einer ganzen Reihe antiimperialistisch orientierter regionaler Bündnisse an.
Übrigens: Wer hätte sich in jenen düsteren 90er Jahren der Niederlage wohl vorstellen können, daß 2015 ein dem sozialen Wohl der Schwachen und dem Frieden der Menschheit zugewandter lateinamerikanischer Papst in Havanna, Holguín und Santiago de Cuba mit dem Wohlwollen der Castros glanzvolle Messen abhalten würde, ohne den „Dissidenten“ die von ihnen erbetene Audienz zu gewähren! War es ein Zufall, daß Papst Franziskus, der in die USA weiterreiste, nur wenig später beim Weißen Haus im Kleinwagen vorfuhr?
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