RotFuchs 217 – Februar 2016

J. Fučik: Menschen, ich hatte euch lieb – seid wachsam!

Steffen Kastner

Der Prager Arbeiterbezirk Smichow war sein Geburtsort, der Eisendreher Karl Fučik sein Vater. Seine Spielgefährten in der Duskova-Gasse und späteren Schulkame­raden waren die Kinder der in den Fabriken des Barons Ringhoff ausgebeuteten Arbeiter. Durch die Übersiedlung seiner Eltern nach Pilsen erlebte er das Arbeiterelend während des 1. Weltkrieges in den Škoda-Werken mit. Er sah hungernde Menschen um Brot anstehen, weinende Frauen und Mütter, die um den Tod ihrer Männer und Söhne auf den Schlachtfeldern des imperialistischen Krieges trauerten. Und er erlebte die Solidarität jener Klasse, der auch er angehörte: der Arbeiterklasse. Diese Kindheits- und Jugendeindrücke formten Julius Fučik.

Er vertiefte sich in die Literatur, beschäftigte sich mit der Geschichte seines Volkes. Dieses Studium öffnete ihm den Blick für die Historie auch anderer Völker. Und von Jan Hus über das Kommunistische Manifest bis zu den damals nur spärlichen Nachrichten aus der jungen Sowjetunion spürte er, daß sein Lebensinhalt nur der Kampf für die gerechte Sache der internationalen Arbeiterklasse sein konnte. Er schloß sich der sozialdemokratischen Linken und bei deren Gründung 1921 der KP der Tschechoslowakei – der KSČ – an. Er vertiefte sich in marxistische Literatur. Als er 1930 mit einer Arbeiterdelegation die Sowjetunion besuchen konnte, nutzte er den viermonatigen Aufenthalt zu einem Kennenlernen des sozialistischen Vielvölkerstaates.

Durch dieses Erlebnis wurde Julius Fučik ein proletarischer Internationalist.

Nach seiner Rückkehr machte er erstmals Bekanntschaft mit der Klassenjustiz seines „Vaterlandes“. Von nun an gehörten Gefängnisse und Haftanstalten zu den Stationen seines Lebens als Revolutionär. Auf Arbeiterversammlungen marxistisches Gedankengut zu verbreiten, kostete Haft mit Fastentagen. Am Streik der nordböhmischen Bergarbeiter teilzunehmen und darüber zu berichten, verhieß ebenfalls Knast. Reportagen über den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion zu schreiben, bedeutete, ständig von den Gendarmen des bourgeoisen Staates verfolgt zu werden. Als Redakteur fortschrittlicher Publikationen wie des KSČ-Organs „Rude Pravo“ oder der „Tvorba“ zu arbeiten, als Autor der Reportage „Im geliebten Land“ bekannt zu sein – das gewann ihm aber auch die Sympathien nicht weniger seiner Landsleute.

Diese Erfahrungen machten Julius Fučik zu einem Humanisten, Patrioten, Internationalisten und Kämpfer für das Menschenrecht – zu einem herausragenden tschechoslowakischen Journalisten und Schriftsteller. Er hätte dank seiner Intelligenz, seiner literarischen Begabung, seines umfangreichen Wissens einen leichteren, bequemeren Weg wählen können. Dazu brauchte er sich nur der herrschenden Klasse anzudienen, zu ihrem Soldschreiber zu werden. Aber dem Vorbild der Großen der Arbeiterbewegung folgend, wählte auch er den schwereren Weg und verzichtete auf die heuchlerische Existenz bourgeoiser Saturiertheit.

Um die Größe einer solchen Entscheidung voll verstehen zu können, muß man sich klarmachen: Zu Lebzeiten Julius Fučiks war der Imperialismus in Europa noch stark und bis an die Zähne bewaffnet. Die Sowjetunion, das geistige Vaterland aller Kommunisten, war weit und hatte mit eigenen Problemen zu ringen. Vom deutschen Faschismus war Prag gerade der Münchner Schandvertrag diktiert worden. England und Frankreich gingen in die Knie, von der bürgerlichen tschechoslowakischen Regierung ganz zu schweigen. Nur allzu verständlich, daß sich im Lande Kapitulationsstimmung und Kleinmut ausbreiteten. Julius Fučik aber, der von der Gestapo gesucht wurde und nun völlig in die Illegalität abgetaucht war, arbeitete unermüdlich für die Befreiung seines Volkes. Er verfaßte Flugblätter, organisierte geheime Versammlungen, schrieb einen offenen Brief an den faschistischen Propagandaminister Goebbels.

Als das illegale ZK der KPČ im Frühjahr 1941 verhaftet wird, gehört Julius Fučik zu den Mitgliedern eines zweiten ZK der Partei. Welch hervorragender und dialektisch geschulter Kopf der Verfasser unzähliger literarischer Beiträge und Reportagen, aber auch von Theaterstücken und vor allem des Buches über die Sowjetunion „Eine Welt, in der das Morgen schon Geschichte ist“ war, wird an dem Flugblatt erkennbar, das er zum 1. Mai 1941 herausbrachte. Darin heißt es: „Ja, wir sind unter der Erde. Aber nicht wie begrabene Tote, sondern wie Körner der keimenden sozialistischen Saat, die auf der ganzen Welt in die Frühlingssonne emporsprießen wird. Der 1. Mai ist der Verkünder dieses Frühlings, des freien Menschen, der Völker und ihrer Brüderschaft, des Frühlings der ganzen Menschheit. Zu diesem Licht marschieren wir heute noch im unterirdischen Dunkel: zum Sieg der Freiheit, zum Sieg des Lebens, zum Sieg der kühnsten Gedanken des menschlichen Geistes. Zum Sieg des Sozialismus!“

Nur zu klar, daß die Faschisten – begünstigt durch das verbrecherische Münchener Abkommen – all ihre Besatzungsspürhunde auf seine Fährte hetzten. Und am 24. April 1942 faßten sie dann den Mann, dessen Feder sie mehr fürchteten als ganze Armeen der Westmächte. Dies sehr zu recht! Denn noch nach Verkündung des Todesurteils, das am 8. September 1943 in Plötzensee vollstreckt wurde, hatte der Patriot und Internationalist Julius Fučik die Kraft, den Menschen einen literarischen Beitrag zu hinterlassen, der gleichermaßen Zeugnis vom seinem Edelmut ablegt als auch von kluger Voraussicht zeugt: seine „Reportage unter dem Strang geschrieben“.

Hier finden wir mit dem Bekenntnis der Liebe zu den Menschen auch jenen Warnruf, der noch heute gültig ist: „Seid wachsam!“ Julius Fučik wußte nur zu gut und hat es am eigenen Leib erfahren: Solange es Imperialismus gibt, existiert auch dessen Auswurf – Arbeiterverräter, Bourgeoisideologen und fanatische Antikommunisten. Diese Einheit von Bekenntnis zu den Menschen und Warnung vor der personifizierten Unmenschlichkeit in Gestalt der Ausbeuter, ihrer Söldlinge, Folterknechte und Henker ist Ausdruck einer absolut realistischen Einschätzung der Klassenauseinandersetzungen im 20. Jahrhundert. Der sich so um die Menschen sorgte, sich für sie einsetzte und für die Befreiung der Menschheit sein Leben gab, der Kommunist Julius Fučik, wurde am 23. Februar 1903 geboren.

Fučiks „Reportage unter dem Strang geschrieben“ – international

Dieser Beitrag erschien am 17./18. Februar 1973 in der Westberliner Tageszeitung „Die Wahrheit“.