„Der Spiegel“ 1986 über Theodor Weißenborn
Ja zum Baum
Der Schriftsteller Theodor Weißenborn verunsicherte Bonner Nachrüstungsbefürworter: Scheinheilig schlug er Patenschaften für Cruise Missiles vor.
„Vorsicht vor dem Hund“, warnt ein Schild den Besucher, der sich dem Landhaus am Schmiedeberg nähert. An einen Hügel geschmiegt, verborgen hinter Bäumen und Sträuchern, liegt das Domizil des Schriftstellers Theodor Weißenborn. Hier, in Hof Raskop, 18 Kilometer von der Kreisstadt Wittlich entfernt, schreibt der 52jährige Romane, Hörspiele, Kurzgeschichten und Kabarettbeiträge – und manchmal auch satirische Briefe. Das Ehepaar gehört zu einer Minderheit in Rheinland-Pfalz. Die Weißenborns sind Mitglieder der AG Frieden in Trier, beteiligen sich an Demonstrationen vor den nur wenige Kilometer entfernten amerikanischen Luftwaffenstützpunkten Spangdahlem und Bitburg und halten manchmal auch Mahnwache, vierzig Kilometer weiter im Hunsrück.
Bei Hasselbach werden Startrampen und Bunker für 96 atomar geladene Marschflugkörper (Cruise Missiles) betoniert. So hat es der Deutsche Bundestag am 22. November 1983 mit den Stimmen der Abgeordneten von CDU, CSU und FDP beschlossen. Auf diese Damen und Herren zielt die jüngste „Provok-Aktion“ des Vollbarts aus der Eifel.
Ende November 1985 fanden die Bundestagsabgeordneten in ihrer Post den zweiseitigen Brief einer „Initiative für bürgernahe Politik“, abgeschickt in „5565 Landscheid/Eifel, Am Schmiedeberg 2“, unterschrieben von einem „Thomas Klausen“. Betreff: „Symbolische Patenschaften für Verteidigungswaffen“. Dabei lag ein bebilderter Bericht aus dem „Trierischen Volksfreund“ über die feierliche Taufe eines US-Militärflugzeugs auf den Namen „Bitburg“.
Was für einen C-23A-Transporter („Sherpa“) recht sei, müsse für eine Cruise Missile billig sein, meinte Klausen alias Weißenborn und schlug individuelle Patenschaften vor: Der Marschflugkörper solle den Namen des jeweiligen Politikers tragen. Es gehe der Initiative darum, „wie sich vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik größere Bürgernähe erzielen und wie sich die Bereitschaft aller Bürger, auch unbequeme Mehrheitsentscheidungen mitzutragen, fördern oder allererst wecken läßt“.
Sorgsam flocht der Verfasser endlos scheinende Wortketten, die den Jasagern nahelegten, mit ihrem Namen ihre Entscheidung deutlich zu machen: „Der Sinn einer solchen symbolischen Taufe oder Patenschaft läge unseres Erachtens darin, daß der einzelne Abgeordnete aus der bürgerfernen Distanz, die seine Amtsgeschäfte ihm oft auferlegen, heraustreten und sich zu seiner in dieser lebenswichtigen Frage getroffenen Gewissensentscheidung und der aus ihr resultierenden personalen Verantwortung konkret und mit Nachdruck bekennen würde. Die gewünschte psychologische Wirkung wäre die, daß jenen Bürgern, die der Stationierung zur Zeit noch ablehnend oder zumindest skeptisch gegenüberstehen, durch eine solche anschauliche Geste das Gefühl vermittelt würde, daß sie es nicht mit einer anonymen, gleichsam seelenlosen technischen Apparatur zu tun haben, sondern daß hinter jeder einzelnen Waffe ein lebendiger Mensch steht, in diesem Fall eine politische Persönlichkeit, die begründetes Vertrauen verdient, indem sie mit ihrem Namen und somit als Person für die von ihr getroffene Entscheidung einsteht.“
Weißenborn über den Sinn seiner Aktion: „Es erscheint mir notwendig, daß die Satire von der Fiktion zur Realität fortschreitet. Sie muß die von Politikern geschaffenen Tatsachen als Material einbeziehen und die eingeleiteten zynischen, menschenverachtenden Prozesse durch Übertreibung oder mitunter auch durch ironische Untertreibung, also Verharmlosung, in ihrer furchtbaren Wirklichkeit deutlich machen.“
Das gelang offenbar selbst bei den Politikern. Auch den Überzeugungstätern in der Koalition war die Aussicht unbehaglich, den eigenen Namen auf der stählernen Haut eines unbemannten, mit einem Atomsprengkopf bestückten Flugkörpers zu wissen, das auf seinen ersten und letzten Flug gegen ein Ziel in der Sowjetunion, der DDR oder einem anderen Ostblockstaat wartet.
Ihre Antworten auf Weißenborns Aktion zeigten, so der Schriftsteller, „eine Mischung aus Zynismus, Pseudolyrik, Bierernst und Infantilität“. CDU-Haushaltsfachmann Manfred Carstens bedankte sich lediglich höflich für den Brief, „mit freundlichen Grüßen“. Markus Berger, Oberstleutnant a. D. aus Lahnstein, reagierte schneidig: „Ich verbitte mir solche Belästigungen.“
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher ließ antworten und „danken“. In seinem Auftrag äußerte sich Heinz Fredy Lewalter wortreich über den „Nato-Doppelbeschluß“ und die „Gipfelbegegnung Reagan/Gorbatschow“. Auf die Patenschaftsofferte ging er allerdings nicht ein.
Während Irmgard Adam-Schwaetzer die Idee „absurd“ und „erschreckend“ fand, hielt Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels sie zwar für „begreiflicherweise zunächst überraschend und ungewöhnlich“, aber auch bedenkenswert: „Darüber muß ich sicher nachdenken. Ich will das tun und mich bemühen, Ihnen das Ergebnis meiner Überlegungen demnächst mitzuteilen.“
Diese intellektuelle Strapaze hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt Jürgen W. Möllemann schon hinter sich. Anfangs hatte sich der Liberale verständnisvoll gegeben: „Ihr Vorschlag ist sicherlich gut gemeint.“ Aber: „Die Taufe von Schiffen oder Flugzeugen mit Städte- oder Ländernamen oder Namen berühmter historischer Persönlichkeiten hat eine lange militärische Tradition und ist mit ihrem Vorschlag nicht vergleichbar.“ Diese Antwort eines so prominenten Bonners wie Möllemann verhieß „Klausen“ zusätzliche (Aus-)Beute. Er schrieb zurück: „Wir verstehen Sie nicht.“
„Aus Gründen der Logik“ sei es der Initiative unbegreiflich, „wie Sie politisch glaubwürdig sein wollen, wenn Sie einerseits der Stationierung und dem möglichen Einsatz der Mittelstreckenwaffen in ihrer Gesamtheit zustimmen und andererseits es ablehnen, für die Stationierung und den möglichen Einsatz auch nur einer einzigen dieser Raketen konkret mit Ihrem Namen als dem Signum Ihrer sittlichen Person einzustehen. Wer ja zum Wald sagt, so meinen wir, muß auch ja zum Baum sagen.“
Vor allem aber sei in der Eifel mit Erstaunen registriert worden, daß Möllemann „als Realpolitiker“ moralische und ästhetische Gründe ins Feld führe: „Mit Skrupeln läßt sich doch nun wirklich keine Politik machen“, mahnte „Klausen“. Möllemann antwortete, er sehe „keinen Sinn mehr in der Fortsetzung unserer Korrespondenz“.
„Der Spiegel“, Nr. 7/1986
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