RotFuchs 206 – März 2015

Compañera Christa: Für junge und junggebliebene Rotfüchse

Jahrhundert der Frauen

Christa Kožik

Vor hundert Jahren begann es – das Jahrhundert der Frauen. Das Wort FRAUENTAG hört sich so leicht an, so selbstverständlich. Aber hinter ihm stehen Kampf und Verzweiflung, Widerstand und Verzicht, Geringschätzung und Spott. Denken wir an tapfere Frauen wie Clara, Rosa, Berta, Hedwig, Dolores, Simone, Alice, Lotte und viele, viele andere. Im Vergleich zu unseren Ur-Müttern sind wir jetzt Frauen mit gewachsenem Selbstbewußtsein, weil wir uns auf erkämpfte Rechte stützen können. Darüber habe ich Gedichte geschrieben. Eines davon lautet:

JAHRHUNDERTELANG

wählten Männer sich Frauen aus.
Die warteten demütig sanft, senkten
scheu den Kopf, die Lider.
Den Blick nach innen gekehrt.

Ich habe meinen Nacken erhoben
Die Augen weit geöffnet.
Nicht ohne Staunen
sehe ich mich um.

Und wenn mir einer
so gefällt, daß mir der Atem stockt
in seiner Nähe, dann sag ich’s ihm,
vor allen – oder nie.

Gesellschaftlichen Fortschritt erkennt man nur im Vergleich. Wenn man bedenkt, daß in Deutschland Frauen erst 1910 die Zulassung zu Universitäten bekamen und 1918 das Wahlrecht, dann sind wir in hundert Jahren weit gekommen.

Im Faschismus zwang der Krieg die Frauen, die Hosen anzuziehen, ob sie wollten oder nicht. Während die Männer an den Fronten waren, mußten die Frauen sie in allen Bereichen ersetzen. So war vielen von ihnen nach dem Krieg ein neues Selbstbewußtsein gewachsen, wenn auch aus Not und Verzweiflung. Im geteilten Deutschland hieß es in den bundesdeutschen Medien: das Beste an der DDR sind die Frauen. Ja, wir hatten ab 1950 gute Gesetze zur Gleichberechtigung, Bildung, Lohngleichheit und Kinderbetreuung. Ich konnte als junge Frau Arbeit und ein Studium aufnehmen und ein eigenes Bankkonto besitzen, ohne die schriftliche Genehmigung meines Mannes. Ab 1966 gab es kostenlos die Pille, und der 9. März 1972 brachte das Gesetz zum legalen Schwangerschaftsabbruch.

Unsere Schwestern in der Bundesrepublik waren da schlechter dran. Sie bekamen erst 1976 ein eindeutiges Gesetz zur Gleichstellung für Arbeit, Studium und eigenes Konto. So waren die Siebziger goldene Jahre in der deutschen Frauenbewegung, mit moralischer und erotischer Selbstbestimmung. Das Jahr 1975 wurde sogar international zum „Jahr der Frau“. Jetzt gehörte es zum guten Ton, sich allerorts mit Frauenfragen zu beschäftigen. Feminismus war international Mode geworden und verkaufte sich gut. Naturgemäß geriet danach wieder vieles in Vergessenheit, denn konservative männliche Kräfte drängten zur alten „Normalität“ zurück. Und mit der „Wende“ 1989, die zwar manche Freiheit brachte, verloren zu viele Frauen in der DDR ihre Arbeit, ihre Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, zur kostenlosen Bildung und Kinderbetreuung. Doch: Was einmal war, bleibt in der Welt. Töchter und Enkeltöchter werden Verlorenes wiedergewinnen.

Vernünftige Männer wollen keine gedemütigten Frauen, sondern Gefährtinnen, welche die Verantwortung für die Familie mittragen. Und kluge Frauen wissen, daß Gleichberechtigung gegen den Mann in eine Sackgasse führt. In hundert Jahren haben sich Frauen in fast allen Berufen bewährt, nicht nur als Ärztinnen, Architektinnen, Kranfahrerinnen, Pilotinnen, Parlamentarierinnen und Politikerinnen. Ja, auch Kanzlerin und Verteidigungsministerin sind sie geworden. Wer hätte das vor 100 Jahren gedacht?

Ich habe immer gehofft, daß die Welt friedlicher wird, wenn Frauen an die Macht kommen, es keine Kriege oder Kriegsbeteiligungen mehr geben wird. Falsch gedacht! Wie schade, daß Kanzlerin und Verteidigungsministerin weiterhin deutsche Waffenexporte befürworten und auch Einmärsche bundesdeutscher Soldaten in etwa 15 Kampfgebiete weltweit. Ziehen da vielleicht mächtige Männer im Hintergrund die Fäden? Ich habe sechs Enkelsöhne, die ich nicht als tote Soldaten sehen möchte, wie es einst ihren Urgroßvätern geschah.

Fazit: Wir sind noch lange nicht am Ende unseres Kampfes. Mischen wir uns ein, Mädchen, Mütter, Töchter, Enkelinnen, jede mit ihren Möglichkeiten – im Gesellschaftlichen wie im Privaten.

Schließen möchte ich mit einem von Christian Kożik vertonten Text, den ich als Ermunterung arbeitslosen Frauen gewidmet habe.

DIE VENUS AUS DEM OSTEN

Hier sehn Sie eine Vierzigjährige!
Flotte Figur und gute Geistesgaben.
Doch bin ich arbeitslos von Kopf bis Fuß.
Und keine, keine Firma will mich haben.
Zu alt zur Arbeit? Früher war ich Beste.
So langsam schwinden meine schönen Reste.
Ich reihe mich ins Heer der Arbeitslosen ein.
Und heb die Faust und – zeige Bein.
Das wird mich noch so manche Träne kosten.
Ich bin die Venus aus dem Osten.
Ein Glück, mein Trabbi kann nicht rosten.
Ich bin die Venus aus dem Osten.

Ich sing kein Loblied auf die alten Zeiten.
Mein Land ging unter, ’s war nicht zu halten.
Nun müssen wir noch mal von vorn beginnen
und uns auf Marx und Engels neu besinnen.
Mein Herz schlägt links, mit Wurzeln tief im Volke.
Ich bin ein Kind des Proletariats.
Da paß ich nicht zu Herren in Armani
und Rolex, Aktien und Visacards.
Das wird mich aber keine Träne kosten.
Ich bin die Venus aus dem Osten.
Den goldenen Freiheitspaß, den hab ich satt.
Der Mensch ist frei nur, wenn er Arbeit hat.
Die große Freiheit ist hohles Gequatsche.
Wer arbeitslos ist, sitzt tief in der Patsche.
Ich pfeife auf die edlen Freiheitsglocken
und trage weiter meine roten Socken.

Und meine Söhne werde ich verstecken,
damit sie nicht am Hindukusch verrecken.
Das wird mich meine ganzen Kräfte kosten.
Ich bleib die Venus aus dem Osten.
Mein Land ging unter, nicht meine Ideale.
Ich raff mich auf und werfe mich in Schale.
Nein, „Wohlstandsmüll“ will ich nicht sein.
Ich dräng mich lieber in den Bundestag hinein.
Und sollte ich mich wieder mal verlieben,
vielleicht in einen Wessi-Mann – von „drüben“.
Und schlägt sein Herz so links wie auch das meine,
da finden wir zum innigsten Vereine.
Das wird mich Freudentränen kosten.
Ich bin und bleib die Venus aus dem Osten.