RotFuchs 235 – August 2017

Jahrhundertbriefwechsel

Gerhard Hoffmann

Käte und Hermann Duncker

Im März ist Martin Schulz eupho­risch zum Parteivorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten ge­wählt worden. Er ist nun Hoffnungs­träger einer sich selbst verleugnen­den Partei, die aus ihrem Wort­schatz die Begriffe Klasse, Klassen­kampf, Privateigentum an Produk­tionsmitteln, Grundwiderspruch des Kapitalismus, Sozialismus längst verbannt hat.

„In einer Zeit des totalen Bankrotts aller bürgerlichen Weltanschauun­gen ist eine festgefügte, in sich geschlossene, wissenschaftliche Weltanschauung von größter Lebenswichtigkeit“, schrieb Hermann Duncker 1931 (in: Einführungen in den Marxismus. Verlag Tribüne, Berlin 1958, Seite 3). Seit seiner frühesten Jugend mit der organisierten Arbeiterbe­wegung aufs engste verbunden, trug er maßgeblich dazu bei, marxistisches Grund­wissen jenen zu vermitteln, die Auswege aus Unterdrückung und Krieg suchten. „Was ich für die Arbeiterbewegung habe leisten können, verdanke ich wesentlich der kame­radschaftlichen Unterstützung meiner Frau“ (ebenda, S. XIII), stellte er fest. Käte und Hermann Duncker entwickelten sich zu führenden Persönlichkeiten in den Reihen deutscher Linker und gehörten zu den Mitbegründern des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Die nahezu lückenlose Korrespondenz der Eheleute ist in ihrer Einmaligkeit erhalten geblieben und von dem Historiker und profunden Duncker-Kenner Heinz Deutschland unter Mitarbeit seiner Ehefrau Ruth als „Tagebuch in Briefen (1894–1953)“ veröffent­licht worden. Langjährige intensive, akribische Arbeit führte zu einem wohl einzigar­tigen Zeitdokument, das der Herausgeber uneingeschränkt zu Recht als Jahrhundert­briefwechsel bezeichnet.

In diesem Buch berührt u. a. ein Foto den Betrachter: Zwei alte Leute schauen freund­lich in die Kamera. Zierlich ist die Frau, sie reicht dem links von ihr stehenden Mann knapp bis an die Schulter. Er beugt sich leicht zu ihr, inniglich. Barhäuptig stehen beide im Schnee. „Winter 1941 in den USA“ steht unter dem Bild. Käte, siebzig Jahre alt, und der siebenundsechzigjährige Hermann waren endlich vereint, nachdem sie Hitlerdeutschland verlassen hatten. Hermann war nach seiner Inhaftierung durch die Nazis 1936 zunächst nach Dänemark emigriert, Käte 1938 in die USA. Wieder war der fast ein halbes Jahrhundert währende Briefwechsel miteinander die wichtigste und zumeist einzige Kommunikationsmöglichkeit. Die Briefe widerspiegeln, wie sich beide am Beginn des 20. Jahrhunderts bewußt auf die Seite der Unterdrückten stellen. Käte kämpft um die Rechte von Frauen und Kindern, Hermann sieht in der marxistischen Bildung der Arbeiterklasse seine Aufgabe. Unermüdlich ist er als Wanderlehrer unter­wegs. Der Erste Weltkrieg ist für sie Massenmord, und Hermann schreibt als Soldat von den Fronten. In der Novemberrevolution sehen sie die Möglichkeit der Verände­rung gesellschaftlicher Verhältnisse. In ihren Briefen tauschen die überzeugten Sozi­alisten ihre politischen Ansichten, Erkenntnisse und Erfahrungen aus. Sie diskutieren Ausarbeitungen und ihre politischen Positionen. Zur Vielfalt der Themen in den Brie­fen gehören Literatur, bildende Kunst, Musik, pädagogische, philosophische, ökono­mische, religiöse Probleme ebenso wie naturwissenschaftliche. Beeindruckend ist die ausgeprägte Analysefähigkeit. Immer wieder stehen die familiäre Situation und die Entwicklung der Kinder im Mittelpunkt. Die Briefe offenbaren Stärken und Schwä­chen, zeugen jedoch zugleich von tiefer Liebe und großer gegenseitiger Achtung. Erstaunlich ist, daß man sich beim Lesen der Briefe in die Gedanken der Schreiber einbezogen und freundlich aufgenommen fühlt. Der vollständige Briefwechsel ist auf einer dem Buch beigefügten USB-Card nachlesbar. Exkurse des Herausgebers, ein hervorragender Anmerkungsapparat und Abbildungen sind wertvolle Bestandteile dieses gut gestalteten und lesenswerten Buches, das an bei manchen in Vergessen­heit geratene linke Wurzeln führt.

Heinz Deutschland (Hrsg.): Käte und Hermann Duncker - Ein Tagebuch in Briefen (1894–1953)

Heinz Deutschland (Hrsg.):

Käte und Hermann Duncker
Ein Tagebuch in Briefen (1894–1953)

Unter Mitarbeit von Ruth Deutschland

Karl-Dietz-Verlag, Berlin 2016. 606 Seiten, mit USB-Card
ISBN 978-3-320-02314-0

49,90 €