Jünkes „Abrechnung“
mit italienischen Marxisten
Am 18. Mai veröffentlichte die Zeitung „neues deutschland“ unter der Schlagzeile „Vergangenheit, die nicht vergeht. Die deutsche Linke und der lange Schatten des Stalinismus“ einen Beitrag von Christoph Jünke. Es ist die Kurzfassung eines Vortrags, den er auf der Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Ich kam als Gast in euer Land gereist … Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956“ im März 2015 bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg in Stuttgart gehalten hat.
Er beschäftige sich hauptsächlich mit dem Buch von Luciano Canfora „Eine kurze Geschichte der Demokratie“, das vor fast zehn Jahren erschien und seitdem mehrere Auflagen erlebte, und mit Domenico Losurdos Schrift über Stalin, ließ Jünke wissen.
Der Publikation Losurdos bescheinigt er, sie sei „wissenschaftlich ein Witz, intellektuell erschütternd schmalbrüstig, politisch ein Skandal und moralisch eine Zumutung“. Jünke scheint die deutschen Linken für ausgesprochene Kleingeister zu halten, seien doch die beiden Italiener Losurdo und Canfora die „Vordenker“ mancher von ihnen. Abgesehen davon, daß Linke lieber selbst denken, als sich von anderen etwas vorschreiben zu lassen, ist es fraglich, wie viele von ihnen die Bücher überhaupt gelesen haben, auch wenn sie in Deutschland in hoher Auflage erschienen sind und in einigen Presseorganen „publizistischen Lorbeer“ geerntet haben sollen.
Der von Trotzki erfundene Kampfbegriff „Stalinismus“ hat mit Wissenschaftlichkeit nicht das geringste zu tun. Wenn er auf die Zeit des Terrors unter Stalin, einschließlich seiner Auswirkungen auf andere sozialistische Länder (Prozesse gegen Rajk, Kostoff und Slansky), angewandt wird, ist das noch zu akzeptieren. Aber schon der Beschluß des Außerordentlichen Parteitags der SED im Dezember 1989 „Wir brechen endgültig mit dem Stalinismus als System“ suggeriert die Vorstellung, daß der „Stalinismus“ in der DDR immer stärker geworden sei, je länger der Tod Stalins zurückliege. Darüber bestand unter den Mitgliedern der PDS nie Konsens, da das lediglich ein neues Dogma darstellte.
Nach Auffassung Jünkes bedeutet „Stalinismus“ allerdings keine historisch-spezifische Situation, sondern meint das „von Stalin mit Gewalt und Tücke begründete Gesellschaftssystem“. Es habe seinen Schöpfer nicht nur um Jahrzehnte überlebt, sondern sei auch in anderen politischen und geografischen Zusammenhängen (in Asien, Europa, Afrika und Lateinamerika) angewandt worden. Laut Jünke „zwar nicht in seinen Gewaltexzessen, wohl aber in seinen gesellschaftlichen Grundlagen, Strukturen, Formen und Ideologien“.
Jünke bietet nun einen neuen Begriff an: den „Philo“- und „Neostalinismus“, ohne genauer zu sagen, was er darunter versteht. Möglicherweise erfand er die erstgenannte Bezeichnung, weil der kommunistische Historiker Canfora von Haus aus Altphilologe ist.
Welches Demokratieverständnis Jünke hat, wird deutlich, wenn er meint, Canfora verabsolutiere in „schlechter linker Tradition“ die Idee einer Ausdehnung der Prinzipien politischer Demokratie auf die Ökonomie und das Soziale. Tatsächlich ist das eine sehr gute Tradition. Wie Jünke dazu kommt, das als prinzipielle Absage an demokratische Formen zu attackieren und glaubt, es führe zur „erziehungsdiktatorischen Herrschaft einer Minderheit“, bleibt sein Geheimnis. Es ist doch klar, daß es keine wirkliche Demokratie geben kann, solange kapitalistische Großbanken und Konzerne freie Hand haben.
Es ist nicht nachvollziehbar, wie das „ND“ für einen solchen Beitrag eine ganze Seite zur Verfügung stellen konnte.
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