RotFuchs 230 – März 2017

Junge Frau im Sozialismus (Teil 2)

Christa Kožik

Christa Kožik / Foto: Gàbor Kopek

Schreiben war mir nun zum Lebensbedürfnis geworden. Aber es drängte mich auch, mir ein geistiges Fundament zu schaffen. Deshalb bewarb ich mich im Frühjahr 1966 an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg für das Fach Szenarium/Drehbuch. Ich bestand die Aufnahmeprüfung, doch vor dem Studienbeginn im Herbst war ich wieder schwanger. Heulend erschien ich im Rektorat, um mein Studium vorerst abzusagen. Mit zwei Kleinkindern studieren, das traute ich mir nicht zu. Im Rektorat tröstete man mich. Ich könne mich in zwei Jahren wieder bewerben, die Aufnahmeprüfung gelte dann noch. Als unser zweiter Sohn Sebastian 1966 zur Welt kam, wurden wir eine kleine glückliche Familie.

In der Zeit zu Hause mit den Kindern  konnte ich ihr Aufwachsen  intensiv erleben, schrieb beglückt Tagesaufzeichnungen über beide, vor allem über ihre geistige Entwicklung, was mich bereicherte und mir später als poetisch-authentisches Material beim Schreiben meiner Kinderbücher und Kinderfilme half. Ich schrieb weiter Gedichte und Geschichten, trat bei öffentlichen Lyrikabenden auf, hatte kleine Erfolge, aber mir fehlte etwas.

Durch eine Zufallsbegegnung mit Fritz Gebhardt, der im DEFA-Kurzfilmstudio Babelsberg arbeitete und den ich von Lyrik-abenden kannte, bekam ich eine Ermutigung. Fritz hatte mich gefragt, welches meiner Gedichte mir das liebste wäre. Ich zeigte  auf meine beiden kleinen Spitzbuben, die ich rechts und links an der Hand hatte. „Da! Das sind meine liebsten Gedichte.“ „Aber du willst doch nicht ewig zu Hause bleiben?“ Auf diesen Satz hatte ich gewartet. Auf seinen Hinweis bewarb ich mich im DEFA-Kurzfilmstudio Babelsberg. Ich bekam eine Stelle als Dramaturgie-Assistentin und konnte beide Kinder, jetzt zwei und fünf Jahre, im  kleinen Betriebskindergarten unterbringen, für nur 50 Pfennig Essengeld pro Kind pro Tag. Der Kindergarten war von den Frauen vom Frauenausschuß des Betriebes eingerichtet worden. Das war gesetzlich verankert, daß Betriebe den arbeitenden Frauen möglichst Kindergartenplätze im Betrieb bieten mußten. So konnte ich jeden Morgen mit meinen beiden Kindern zur Arbeit gehen, sie im Kindergarten gegenüber von meinem Büro abliefern, sie mittags streicheln und zum Feierabend mit ihnen nach Hause gehen. Als Mitglied des Elternaktivs organisierten wir für die Kindergartenkinder Filmveranstaltungen oder die Unterbringung im Betriebsferienlager in der Vorsaison an der Ostsee, für winzige Geldbeträge.

Die guten Gesetze zur Bildung und Förderung von Frauen kamen mir auch insofern zugute, daß mich das Kurzfilmstudio einige Zeit später zum Dramaturgiestudium an die Filmhochschule Babelsberg delegierte. Die Kinder konnten während des Studiums weitere Jahre im Kindergarten bleiben. Im Rahmen eines Frauen-Sonderstudiums absolvierte ich meine Studienzeit an der Hochschule für Film und Fernsehen von 1970 bis 76 und bekam Unterstützung, sowohl von meinem Betrieb als auch von der Hochschule. Diese hohe Belastung zwischen Arbeit, Hochschulstudium, Haushalt und kleinen Kindern war ein hartes Programm, das mich manchmal fast verzweifeln ließ. Denn ich wollte ja auch das Schreiben nicht vernachlässigen. Damals schrieb ich den Kindertrickfilm „Der Löwe Balthasar“ und den Kinderdokumentarfilm „Für Angela“ (Angela Davis), die beide vom Studio produziert wurden. Auch die Geschichte vom „Schneemann für Afrika“ fällt in diese Zeit, die für mich eine Zeit höchster Produktivität war, aber auch höchster Anspannung.

Die guten Gesetze zur Gleichberechtigung der Frauen in der DDR konnten mich natürlich nicht vor der Zerrissenheit aller arbeitenden Frauen schützen. Zwar hatten wir uns die Emanzipation ganz zu eigen gemacht, sie war im Alltag aber schwer durchzusetzen, wenn man einen sturen Mann hatte, der den Anteil an der Hausarbeit und Kinderbetreuung verweigerte. Und ich gehörte zu den Frauen, die die Gleichberechtigung mit dem Mann anstrebten und nicht gegen den Mann, so wie es Maxie Wander  in ihrem Buch „Guten Morgen, du Schöne“ vermittelte und wie es dem Zeitgeist in der DDR entsprach.

Dennoch waren die siebziger Jahre für uns junge Frauen ein großes Glück. Die Revolten der 68er Bewegung hatten uns ermutigt und im Privatleben ein wichtiges Mittel zur Selbstbestimmung gebracht: die „Anti-Baby-Pille“. Wir bekamen die Pille kostenlos auf Rezept. Familienplanung war nun nicht mehr von Männern dominiert. Für die meisten Frauen war das ein wichtiger Schritt zur Selbstverwirklichung. Diese Jahre des Aufbruchs habe ich damals kaleidoskopartig  in zahlreichen Liebesgedichten dargestellt. Sie sind im Gedichtband „Tausendunddritte Nacht“ im Märkischen Verlag Wilhelmshorst erschienen und von Christian Kożik als Chansons vertont worden. Mit zwei Kostproben möchte ich schließen:

Tausendundzweite Nacht

Und als die
tausendundzweite Nacht begann,
sagte der Sultan zu Scheherezade:
Na, schön!

Zwischen zwei Tränen
lächelnd schlief
Scheherezade ein.

So
begann das
Jahrhundert der Frauen.

Jahrtausendelang

wählten Männer sich Frauen aus.
Die warteten demütig, sanft, senkten
scheu den Kopf, die Lider, den Blick
nach innen gekehrt.

Ich habe meinen Nacken erhoben,
die Augen weit geöffnet, nicht
ohne Staunen sehe ich mich um.

Und wenn mir einer so gefällt,
daß mir der Atem stockt in seiner Nähe,
dann sag ich’s ihm vor allen – oder nie.

„Der Löwe Balthasar“ (Kurt Weiler, 1970)

„Der Löwe Balthasar“ (Kurt Weiler, 1970)

Ich wünsche allen am 8. März einen schönen Frauentag!