Junge Frau im Sozialismus (Teil 3)
Das zerrissene Ich war nun mein ständiger Begleiter. Die Arbeit im Kurzfilmstudio Babelsberg, das Dramaturgie-Studium an der Filmhochschule, die Prüfungen, das Schreiben von Gedichten und Filmgeschichten, meine zwei kleinen Spitzbuben mit dem Temperament von Max und Moritz, der große Haushalt mit vielen Gästen und einen Musiker-Mann aus edlem Macho-Urgestein, das war ein hartes Pensum. Christian unterrichtete Musik an der Filmhochschule und war sehr beliebt bei Studentinnen und Studenten. Großartige Chanson-Abende machte er mit ihnen und unterrichtete die Schauspielstudenten (Jutta Wachowiak, Gretel Schulze u. a.) oft bei uns zu Hause. So konnten unsere Kinder schon im zarten Alter Brecht-Eisler-Songs singen, die sie durch die Wand des Kinderzimmers hörten. Sebastian sang mit vier Jahren „Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es lagen drei Kaiser begraben im Park“ (statt in Prag!). Wir führten ein offenes Haus, und mancher, der den letzten „Sputnik“ (auf dem Berliner Außenring verkehrender Nahverkehrszug) nach Berlin verpaßte, fand bei uns einen Schlafplatz. Am meisten plagte mich neben der ständigen Erschöpfung die Sorge, für die Kinder nicht genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu haben. Zum Glück half mir meine Mutter in dieser Zeit sehr. Ohne sie hätte ich den Belastungen nicht standhalten können. Oft gab es heftige Kämpfe zwischen Christian und mir um geteilte Pflichten im Haushalt. Das verband mich mit Hunderttausenden arbeitender oder studierender Frauen im Land. Das folgende Gedicht spiegelt meinen Zustand von damals:
Heimkehr
Und als er wieder,
der Mann, so auftrumpfte
laut, mich so allein ließ
mit allem, nicht half
waschen, kochen und dasaß
wie ein Denkmal,
da kam der Tag, da brannte
ich durch, ritt ihm davon,
als Zirkusreiterin, Braut eines
anderen auf einem von
Chagalls weißen Pferden, das
trug die Geige im Maul.
So!
Allein war er,
leer das Bett, der Teller,
die Kinder weinten,
der Fernseher lachte.
Lange nicht kam ich zurück.
Dann – das weiße Pferd
ging uns durch, war nicht
gewöhnt an Autostraßen.
Und immer im Ohr
das Weinen der Kinder …
Zu Fuß, ermattet, kehrte ich heim.
Aber denkt nicht, ich wäre besiegt!
In diese Zeit fällt meine erste Dienstreise ins Ausland, zum Kinderfilmfestival nach Gottwaldov (heute Zlín) in die Tschechoslowakei. Ein Kollege vom Kurzfilmstudio war erkrankt, ich bekam kurzfristig seine Reisepapiere. Überglücklich bestieg ich an einem Tag im Mai den Nachtzug vom Berliner Ostbahnhof nach Prag. Ich richtete mich im Schlafwagenabteil ein und war schon im Nachthemd, als es heftig an der Tür klopfte. Ich nahm an, es sei der Schaffner, aber es war ein fremder Mann, der behauptete, ich läge in seinem Bett. Ich wies das empört zurück, obwohl es laut Fahrkarte leider stimmte. Wir stritten lange, bis er den Vorschlag machte, das obere Bett zu nehmen. Also kletterte er mürrisch nach oben. Auf diese kuriose Weise lernte ich Rolf Losansky, den damals schon sehr bekannten Kinderfilmregisseur, kennen (siehe RF 227 – Extra). Auch er war auf dem Weg nach Gottwaldov. Von Prag sollten wir fliegen, und ich war froh über meinen neuen Begleiter, der die Reiseleitung übernahm. Beim Festival sahen wir zauberhafte tschechische Kinderfilme. Die Tschechoslowakei war wie die Sowjetunion Vorreiter in Sachen Kinderfilm und besaß ein eigenes Filmstudio für Kinderfilme, die auch in Westeuropa bestens bekannt und geschätzt waren. Ich war selig über diese Fülle von großartigen Anregungen. Vor allem begeisterten mich die Filme in real-phantastischer Erzählweise wie „Wir drei und der Hund aus Petipsy“ (Regie: Ota Koval) oder „Vom Schneewittchen“ (Regie: Vera Simkova-Plivova).
Etwas Besseres als dieses Festival hätte mir seinerzeit nicht passieren können, denn meine Hinwendung zum Kinderfilm erhielt dort Bestätigung. Diese Filme waren ein Feuerwerk für meinen Geist. Auf der Heimreise erzählte ich Rolf Losansky meine Geschichte vom „Schneemann für Afrika“, die als Dokumentarfilm für Kinder im Kurzfilmstudio lag. Rolf überzeugte mich, das sei ein Stoff für einen Spielfilm. So begann meine Arbeit für das DEFA-Spielfilmstudio in Babelsberg. Ich bekam einen Exposé- und dann einen Drehbuchvertrag und sollte mit einem DDR-Frachtschiff eine Informationsfahrt nach Algier machen. In Ermangelung von Valuta ging es statt dessen ins befreundete Leningrad. Mit der Dramaturgin Gudrun Deubner und 25 Seeleuten war ich zehn Tage auf dem Frachtschiff „Hellerau“. Wir durchfuhren die Ostsee, traten dabei nur als siamesische Zwillinge auf – gegen die Avancen der Seeleute. Bei der Erkundung des riesigen Schiffes, in wilden Stürmen, beim Dorschangeln und bei Skatturnieren mit viel Wodka-Juice zeigten wir den Seeleuten, daß wir nicht aus Zucker, sondern freche, hartgesottene DDR-Frauen waren.
Der Höhepunkt kam im Containerhafen Leningrad, wo wir uns verirrt hatten. Die Hafen-Miliz hielt uns für „Seeschwalben“, also Nutten. Sie brachten uns zu unserem Schiff, zum Kapitän. Gudrun, viel älter als ich, beschwerte sich empört beim Kapitän über diese Verdächtigung, und das Lachen über uns hatte fortan die Mannschaft. Aber ich lernte, wie es auf einem Schiff zugeht, und schrieb sachkundig und voll Freude zusammen mit Rolf Losansky das Drehbuch „Ein Schneemann für Afrika“. Der Film hatte 1976 Premiere und wurde national wie international ausgezeichnet. Auch heute kennen viele Kinder den Film.
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