Kanzlerkandidatur: Das Pokern beginnt
Am 23. Oktober 2016 schlug der damalige SPD-Vorsitzende Gabriel Herrn Walter Steinmeier als Bundespräsidenten vor. Er sollte dem umstrittenen Joachim Gauck folgen, der auf eine zweite Amtszeit verzichtete. Als Bundespräsident befürwortete Gauck deutsche Kriegseinsätze im Ausland, Hochrüstung und eine antirussische Haltung. Aber auch seine Bemerkungen zur sozialen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik zeigten einen Mangel an Widerspiegelung realer Prozesse.
Mit Walter Steinmeier folgt ihm ein Agenda-2010-Mann auf dem Schemel des Bundespräsidenten. Dieser ist genauso wie sein Vorgänger ein „Falke“. Er steht nicht nur für Sozialabbau, sondern für immer mehr und größere Kriegseinsätze (Mali, Irak, Syrien, Afghanistan, Sudan und Südsudan, Somalia, Horn von Afrika, Dschibuti, Kosovo, Mittelmeer, Libanon, Westsahara). Steinmeier trägt Mitverantwortung für den innerukrainischen Konflikt und die Verlegung von NATO-Streitkräften an die russische Grenze. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg stehen wieder deutsche Soldaten mit Panzern und Flugzeugen an der russischen Grenze, nicht weit von Petersburg (Leningrad) entfernt.
Mit der Entscheidung, Steinmeier zum Bundespräsidenten zu machen, wurde deutlich, daß Gabriel nicht als Kandidat im Wahlkampf 2017 gegen Frau Merkel antreten wird.
Als SPD-Pirouetten-Mann und als Wirtschaftsminister setzte er die Interessen des Monopolkapitals durch, z. B. bei Rüstungsexporten. Viele Menschen beobachteten mit Sorge, wie er sich für das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und dem Freihandelsabkommen CETA mit Kanada einsetzte. TTIP liegt auf Eis; CETA peitschte er mit Frau Merkel in Deutschland und der EU durch. Dazu bediente er sich einiger Tricks wie Zusatzerklärungen, die keine Auswirkungen auf das Abkommen haben. So ist es jetzt großen Unternehmen möglich, auf Grundlage der Investitionsschutzklauseln Klagen auf Schadenersatz gegen EU-Staaten zu erheben.
Seine Drehungen und Wendungen und seine politische Linie machten ihn als SPD-Chef für viele unwählbar. Es war klar, daß ein neuer Mann her mußte. Deshalb schlug die SPD-Führung Martin Schulz zum Ritter, der sowohl den Parteivorsitz übernehmen als auch Kanzlerkandidat werden soll. Dahinter steckt natürlich die Hoffnung, daß der SPD die Wähler nicht weiter weglaufen. Anders als in den Medien behauptet wurde, kamen der Rücktritt Gabriels und der Aufstieg Schulz’ nicht überraschend. Hierfür gab es ein klares Szenario. Es zeichnete sich spätestens bei seinem Abgang als Präsident des Europaparlamentes ab. In dieses Amt wurde Schulz am 17. Januar 2012 gewählt. Seit 1994 war er im Europaparlament. Schulz ist ein Mann des Kapitals, ein brillanter gewiefter Rhetoriker und Demagoge. Er kennt die Strukturen und die Machenschaften der Europäischen Union und insbesondere die bedeutungslose Rolle des Europaparlaments gegenüber dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission.
Eigentlich hätte er sich als Sozialdemokrat für eine demokratische Umgestaltung der EU einsetzen müssen. Das tat er jedoch nicht. Dafür gibt es sowohl objektive als auch subjektive Gründe. Die EU ist eine wirtschaftliche und politische Machtkonzentration von noch 28 europäischen Staaten, die untereinander einen freien Markt für Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Arbeitskräfteverkehr mit diversen Mechanismen haben. Dieser Markt ist nach außen hin durch ein raffiniertes tarifäres und nichttarifäres Handelsschrankensystem zum Nachteil Dritter abgeschottet. Gleichzeitig ist die EU ein politisches Instrument, um Machtansprüche in der Welt durchzusetzen. 22 EU-Staaten sind Mitglied der NATO. Schulz ist ein Befürworter der bestehenden EU. Er steht für eine transatlantische Agenda und die Militarisierung der EU-Außenpolitik.
Entscheidend für seine Kandidatur als Bundeskanzler ist jedoch seine Haltung zur bisherigen SPD-Wirtschafts- und Sozialpolitik. Von Schulz ist nicht bekannt, daß er die Absicht hat, die Agenda 2010 zu ändern. Sie ist verantwortlich für prekäre Arbeitsverhältnisse – Armut trotz Arbeit –, Kinder- und Altersarmut sowie sozialen Abstieg der „Mittelschicht“. Ende Januar erklärte Schulz, daß er beabsichtige, sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Verteidigung der Demokratie gegen Rechtspopulismus einzusetzen. Diese Aussage macht wenig Hoffnung. Sie weist auf das bekannte SPD-Credo: „Links blinken und dann rechts weitermachen.“ Mit dieser Politik werden Schulz und seine Partei scheitern, wie einst Kanzlerkandidat Steinbrück 2013. Eine erneute Wahlniederlage wird das Siechtum der SPD beschleunigen.
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