RotFuchs 227 – Dezember 2016

Kapitalismus führt zu Wohnungselend

Jobst-Heinrich Müller

Daß propagandistisch laut aufgezogene Wohnungsbauprogramme die Teuerungswelle nicht stoppen werden, belegen mehrere Marktberichte der Immobilienbranche. Eine Studie für Hamburg prognostiziert einen weiteren Anstieg der Mieten um 50 % bis 2030 und das trotz des „aufgrund anhaltend steigender Nachfrage“ aufgelegten Senats-Bauprogramms. Allzu durchsichtig ist, daß man diesen spekulativen Boom nicht durch marktwirksame Regulierung behindern will. Mit Scheinkompromissen mühen sich die verantwortlichen Politiker vielmehr, ihn am Laufen zu halten und städteplanerisch zu begünstigen. Lobbyistische Auftragsgutachter fordern „zur Vermeidung kriminalitätsgefährdeter Ghettoisierung“ eine 1:3-Durchmischung von Neubauvierteln ganz im Sinne der Investoren. Diese famose „Sozialmix-Direktive“ verlangt eine Zuteilung von zwei Dritteln des knappen Baulands für den freien Immobilienmarkt als Vorbedingung zur Errichtung von nur einem Drittel Sozialbauten, was das Geschäft munter anheizen wird. Nun können den Spekulanten selbst ökologisch wertvolle Flächen unter dem Vorwand sozialer Dringlichkeit zugeschanzt werden. Sogar bestehende Sozialbauten wurden mit der „Sozialmix“-Begründung entmietet und dem freien Markt übertragen. Auch Merkels Mietrechtsnovelle und das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Zuge der völlig mißratenen „Energiewende“ sind Wohnkostentreiber. In Ballungsgebieten werden alle Mieten weiter steigen und für immer mehr Bevölkerungsgruppen unbezahlbar gemacht. Schon kletterten in Nordrhein-Westfalen und München einige Sozial- und Genossenschaftsmieten auf 9,50 € pro Quadratmeter im Zuge sogenannter Aufwertungsmaßnahmen, Sanierungen und „Nachverdichtungen“ mit Luxus-Neubauten. Kontraproduktiv und gar nicht nachhaltig wirkt auch der oft gepriesene subventionierte privatunternehmerische Wohnungsbau mit „befristeter Sozialbindung“. Zuschüsse, Erleichterungen bei Grunderwerb und Steuern oder kürzere Preisbindungsfristen versüßen Immobilienhaien die Aneignung später unbeschränkt ausbeutbarer Liegenschaften.

Foto: Toni Tripp / r-mediabase.eu

Wohnraum ist eine Ware, deren Preis von der Nachfrage abhängt. Wohngebäude werden im Kapitalismus nicht als Unterkünfte zur Daseinssicherung der Menschen gebaut, sondern nur, um damit profitablen Handel zu treiben. Dem entsprach die jahrzehntelange Abschaffung und Privatisierung des öffentlichen sozialen Wohnungsbaus, die dem „sich selbst regulierenden freien Markt“ das Feld überließ. Mit wachstumsfördernden Gesetzesreformen, Sanierungs- und Bauvorschriften päppelte man die entsprechenden Branchen. Der gegenwärtige Boom entstand durch eine kapitalmarktbedingte verstärkte Nachfrage nach Grundbesitz und „Betongold“ – Investitionsobjekte mit besonders hohen Renditeaussichten. Ein ungesunder spekulativer Wachstumsrausch, der schon mehrmals als „Blase“ platzte. Dabei blieben mittelständische Häuslebauer und einige unterfinanzierte Unternehmer auf der Strecke, mit erheblichen Folgen für Staat und Bevölkerung. Luxusbauten, Ferienwohnungen und lukrative Kapitalanlagen decken faktisch keinen echten Wohnbedarf. Die vielen Wohnungssuchenden, die so etwas nicht bezahlen können, gehören als Mieter oder Käufer überhaupt nicht mehr zur Kundenzielgruppe des freien Immobilienmarktes. Der tatsächliche Bedarf an bezahlbarem Wohnraum läßt sich nach der jeweiligen örtlichen Sozialstruktur einschätzen. Sozialhilfebezieher, Alleinerziehende, Rentner, Bafög-Studenten, Niedriglöhner, alle, die den Löwenanteil ihres Einkommens zunehmend für Wohnkosten ausgeben müssen, gehören dazu. SPD, Grüne und CDU stellten mit ihren neoliberalen „Reformen“ (wie Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, Privatisierung kommunaler Liegenschaften und Bereiche öffentlicher Daseinsvorsorge, erzwungener Schuldensperre in den Kommunen, Neufassung von Rahmenbedingungen für Geschäftsmodelle und Finanzwirtschaft) die Weichen für die anhaltende Wohnungsnot. Daran werden auch Frau Nahles’ dreiste Beschwichtigungsmanöver nichts ändern.